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Zwei Wochen dauerte es bis ich ohne Schwindel aufstehen konnte. Zum Thema ‚ein paar Tage'. Der Alpha hatte mir berichtet, dass mein Kopf mit einer Holzverstrebung kollidierte und ich schlussendlich auf einem Haufen Säcke voll mit gemahlenem Mehl gelandet war.

Jetzt lief ich im Inneren der Hauptburg von Alba Montem herum. Samu ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen. Der Kerl ging mir Zusehens auf die Nerven. Wie sollte ich von hier entkommen, wenn dieser blöde Beta ständig in meiner Nähe war? Ich setzte mich auf die breite Fensterbank. Die Sonne strahlte mir entgegen. Darwin hatte alle angewiesen, dass ich nicht nach draußen durfte. Es war so ein herrlicher Tag und ich konnte nicht raus. Und das alles nur wegen dieser Prophezeiung von der ich nach wie vor nichts wissen wollte. Seufzend wünschte ich mir einen Sonnenstrahl auf der Haut zu spüren. Ich bin ein Couchpotato. Trotzdem vermisste ich die Wärme der Sonne. Taylor fehlte mir genauso sehr. Was er wohl gerade machte? Die Vampire hatten sich zurückgezogen. Bei der Situation mit den Runen an der Bergmauer legitim. Neben mir tippte Samu auf seinem Smartphone herum. Er war ähnlich angefressen wie ich. „Glaubst du eigentlich an diese Prophezeiung?", fragte ich frei heraus. Ein wütender Blick traf mich in Mark und Bein. „Denkst du, ich würde dich sonst bewachen?" „Es war der Befehl deines Alphas.", konterte ich. „Mag sein.", räumte er ein, „Aber das ändert nichts an meiner Überzeugung." Fehlanzeige. Den konnte ich nie überreden mich laufen zu lassen.

Ich blinzelte wieder in die Sonne. „Wenigstens zehn Minuten könntet ihr mich an die frische Luft lassen.", maulte ich gereizt. „Klär das mit dem Alpha." „Was soll er mit mir klären?" Plötzlich stand Darwin neben uns. „Ich möchte nach Draußen.", muffelte ich, „Selbst im Gefängnis darf man das!" Der Anführer des Rudels betrachtete mich forschend. Eigentlich ging ich nicht von einer Antwort aus. Doch der Wolf überraschte mich. „Gut." „Was?!" Samu und ich schauten uns ungläubig und verwirrt an. „Wie eine Antwort aus einem Mund.", grinste Darwin belustigt, „Du darfst raus. Wenn du dich an meine Bedingungen hältst." Beleidigt rümpfte ich die Nase. „Und die wären?" „Du bleibst auf dem oberen Plato. Du weichst nicht von meiner Seite. Du wirst keinen Fluchtversuch wagen." Ich nickte. Was hätte ich auch sonst machen sollen? Er hatte schließlich nicht erwähnt, dass ich keine Fluchtroute planen durfte.

Ein paar Minuten später folgte ich Darwin durch das große Eichentor. Ich atmete erleichtert die gute, frische Luft ein. Bis zur obersten Wehrmauer ließ mir der Herr des Berges freie Hand. Ich setzte mich seitlich zwischen zwei Zinnen. Die Sicht auf den Rest der riesigen Burganlage war frei. Über mir wolkenloser Himmel. Sonnig. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Was wollte man mehr? Ach ja. Ganz schnell weg von hier! Von wegen ‚kein Gefangener'. Darwin ließ mich nicht aus den Augen. Seufzend schweifte mein Blick wieder über die Anlage. Ohne fremde Hilfe war es schlicht unmöglich hier raus zu kommen. Ich konnte nicht einmal die Vampire um ein Ablenkungsmanöver bitten, weil mein Smartphone vermutlich noch in meinem Zimmer lag. Moment.

„Darwin?" Sofort hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Alphas. „Weiß Taylor, dass es mir gut geht?" „Glaubst du, er geht ran, wenn ich anrufe?" „Darf ich ihn anrufen? Ich will ihn nur sagen, dass alles OK ist." So gleich schüttelte Darwin den Kopf. „Kommt nicht in Frage!" Na gut. Einen Versuch war es schließlich wert gewesen.

Im Tal wurde das unüberwindbare Tor des ersten Verteidigungsrings geöffnet. Der Lkw, der nun ganz unten parkte, war mir nicht entgangen. Flink nutzte ich meine Vampiraugen. Die Aufschrift gehörte zur großen Bäckereifabrik im Industrieviertel unserer schönen Stadt. Langsam setzten die Kopfschmerzen ein und ich beendete die Fernsicht. Nach einiger Zeit verließ der Lkw wieder die Burg. Die Werwölfe kontrollierten ihn kaum. Mein Fluchtmittel hatte ich nun gefunden. Aber wie sollte ich unbemerkt zur letzten Ebene gelangen und wann kam der Truck wieder? „Verkauft ihr das Mehl der Mühle?" Darwin studierte mich eingehend bevor er nickte. „Ja. So halten wir das Rudel über Wasser. Wieso fragst du?" Lächelnd sah ich ihn an. „Ich bin auf Mehlsäcken gelandet. Schon ein bisschen seltsam für eine Burg voller junger Werwölfe. Findest du nicht?" Auch Darwin lachte kurz. „Wollen wir wieder reingehen?" Ich fügte mich. Für den Moment hatte ich alles was ich brauchte. Den Zyklus des Mehllasters würde ich noch irgendwie herausfinden.

Mit Darwin hatte ich eine Abmachung getroffen. Jeden Tag durfte ich zwei Stunden draußen auf der obersten Wehrmauer sitzen. Er begann mir zu vertrauen. Ich ihm aber nicht. Zuletzt nicht wegen der Sachen von vor vier Jahren. Für mich blieb er der unverantwortliche Wolf von damals. Egal, wie hoch er in seinem Rudel geschätzt wurde. Knapp einen verdammten Monat war ich nun hier. Darwin hatte oft versucht mir diese Prophezeiung schmackhaft zu machen. Doch ich blockte ihn jedes Mal ab.

Immerhin kannte ich den Fahrplan des Lkws. Donnerstags um 12.00 Uhr traf er ein und eine halbe bis dreiviertel Stunde später machte er sich wieder auf den Weg. Es gab nur ein Problem. In 45 Minuten schaffte ich es nie ungesehen nach unten. Mein erster Fluchtversuch hatte die Folgen, dass der Alpha sämtliche Durchgänge sowie Tore ausnahmslos bewachen ließ. Frustriert knirschte ich mit den Zähnen. „Probleme?", fragte meine Wache. „Nein. Alles Bestens.", log ich, „Wo ist Samu überhaupt?" „Der Alpha wollte ihn sprechen. Ich bin Finnley." Freundlich reichte er mir seine Hand, die ich artig schüttelte. „Willst du hier raus?", fragte er ungeniert. Irgendetwas war faul an Darwins Anhänger. Trotzdem nickte ich. „Heute ist Mittwoch. Morgen kommt ein..." „Der Mehltransporter.", vervollständigte ich den Satz, „Ich weiß." Finnley lächelte. „Ich kann dich runterbringen." Skeptisch zog ich die Augenbrauen hoch. „Darwin wird das nie erlauben." Wieder lächelte der Wolf nur. „Ich scheiß auf Darwin. Er wird immer der kleine dumme Welpe bleiben, der nie dazu lernt." OK. Jetzt war ich irritiert. „Aber du gehörst doch seinem Rudel an." „Ich bin ein Schläfer von Logan. Eingeschleust für den Fall, dass Darwin dich erwischt." Ich nickte. Überzeugt war ich von dem Blonden noch nicht. „Du musst Darwin vormachen, dass es dir wieder schlechter geht und im Bett bleiben willst. Kurz bevor der Lkw eintrifft, hole ich dich ab und wir verschwinden von hier." „Darwin wird wissen, dass du mir geholfen hast." „Mag sein. Ich diene nur meinem Alpha und das ist und bleibt Logan." In der Tür stand plötzlich Darwin. Ich konnte nur hoffen, dass er nichts von unserem Plan mitbekommen hatte. Finnley nickte ihm kurz zu und wollte gehen. Im gleichen Moment täuschte ich einen Schwächeanfall vor. Sofort stand Darwin neben mir um mich zu halten. „Alles OK?" Ich hielt mir meine Hand an den Kopf. „Mir ist schwindelig. Kannst du mich vielleicht auf mein Zimmer tragen?", fragte ich zuckersüß. Darwin strich mir nachlässig über die Wange. „Sicher." Er hob mich in seine Arme und trug mich durch die unendlichen Flure seiner Burg.

Ob es hier wohl noch mehr Schläfer wie Finnley gab? Darwin hatte jedenfalls den Köder geschluckt. Er ließ mir noch einen Tee bringen. Auch das Frühstück wurde mir ans Bett gebracht. Gegen Mittag wurde ich zunehmend unruhig. Um mich zu beruhigen betrachtete ich die Landschaft vorm Fenster.



Das Leben zwischen den StühlenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant