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Ich musste nachdenken. Ich hatte einen Teil davon schon mal gelesen. ‚Wilde' nennt man heute Menschen. Mit Fledermaus und Hunde waren definitiv Vampire und Werwölfe gemeint. Die Lehre des Lebens ist die Biologie. Sogar einer der Kurse hatte diesen Titel. Vielleicht lag die Antwort des Rätsels in ihm selbst? Ein Verbund kann vieles sein: Clan, Rudel, Gemeinschaft. Ratlos stand ich vor der steinernen Tafel. Ich ließ meinen Blick ein wenig schweifen. Irgendetwas übersah ich da gerade. Ich ging in Gedanken alle Schriften durch, die ich gelesen hatte. Dabei fiel mir ein Wort auf. Es hatte heute mehrere Bedeutungen. Doch damals stand es für ein und dieselbe Sache.

„Cladelfa.", sagte ich stottern gegen die Symbole. Wie Termiten furchten sich neue Symbole in den Stein. Noch ein neues Rätsel? Davon war nie die Rede gewesen! Nervös wartete ich. Plötzlich standen Logan und Trevor direkt neben mir und beobachteten das Tun auf der Tafel. Endlich waren die imaginären Steintermiten fertig. Das Bild zeigte die Symbole für Cladelfa. Familie.

„Du hast das Rätsel gelöst." Trevor klang beeindruckt. Ich war selbst erstaunt. Das soll es gewesen sein? Hätte das nicht jeder gekonnt, der ein bisschen recherchierte? Möglicherweise war die Tafel nicht das Problem und die Aufgabe als Friedenswächter war die Herausforderung an sich. Das Publikum klatschte Applaus für mein Gelingen. Logan klopfte mir lobend auf die Schulter. Dann wurde ich in die Mitte der Bühne geschoben. Sofort fiel mir ein Vampir in der ersten Reihe auf. Er warf mir einen undefinierbaren Blick zu. Zwischen Argwöhn und Mitleid war alles dabei. Als wollte er sagen, tut mir leid, dass es dich erwischt hat. Logan ging zurück zum Rednerpult um allen mitzuteilen wie stolz er auf mich sei. In Gedanken dachte ich an vor ein paar Monaten, als Logan noch eine ganz andere Meinung von mir hatte – aber er schien es gekonnt selbst auszublenden. Auch Trevor ließ es sich nicht nehmen mich zu loben. Ich riss meinen Blick von diesem komischen Vogel weg und schaute mich weiter im Saal um. Den meisten Gästen stand die Verwunderung ins Gesicht geschrieben. Lediglich Darwins Rudel war sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis. Neben mir tauchten endlich Taylor und Darwin auf. Ich sollte vielleicht mal zuhören. Beide wirkten beunruhigt. „Was ist los?", wisperte ich ohne die Lippen zu bewegen. Ich erhielt keine Antwort. Wahrscheinlich weil jeder der Gäste einfach nur die Ohren spitzen musste um mitzuhören. „Wir möchten Sie alle nun gerne zu einem kleinen Brunch einladen.", hörte ich Logan sagen. Im selben Moment fühlte ich Taylors Hand in meiner. Ein leichtes Ziehen signalisierte mir ihm zu folgen. Er führte mich zurück hinter die Bühne. Darwin folgte uns. Der Werwolf blickte immer wieder über seine Schuler als ob er etwas befürchtete.

Während sich ein Großteil der Gäste in der Vorhalle zum Brunch angestellten, wurden Taylor, Darwin und ich in einen separaten Raum geführt. Gerade hatte ich mich an den Tisch gesetzt, auf dem eine kleine Mahlzeit bereitgestellt war, da kam auch schon Trevor ins Zimmer gestürzt. Im Schlepptau ein paar Gäste, die er mir unbedingt persönlich vorgestellten musste. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Taylor genervt die Augen verdrehte. „Verwandte. Die Lords von Stein.", flüsterte er mir zu bevor er von seinem Rotwildblut kostete. Ich wandte meinen Kopf zu den Neuankömmlingen. Ein etwa Neunzigjähriger und einer um die zwanzig. Aber bei Vampiren wusste man ja nie. „Darf ich Lord Lorenz von Stein und seinen jüngsten Sohn Lothar von Stein vorstellen?" Trevor verwies erst auf den Älteren, dann auf den Jüngeren. „Sehr erfreut." Artig bot ich meine Hand dar. Doch der Gruß wurde verweigert. Lorenz von Stein betrachtete mich abschätzig. Also versuchte ich es bei Lothar von Stein. Er schüttelte meine Hand flüchtig. Dabei musste er aus dem Schatten seines Vaters treten. Ich erkannte ihn sofort als den Vampir aus der ersten Reihe wieder. So schnell wie er vor mir stand, verbarg er sich wieder im Schatten. Lord von Stein wandte sich an Trevor und sagte etwas in einer anderen Sprache. Ich schielte zu Taylor. Doch seinem Schulterzucken konnte ich entnehmen, dass er genauso viel verstand wie ich. Von Darwin ganz zu schweigen. Der lümmelte auf dem Sofa und döste vor sich hin. Die von Steins verabschiedeten sich mit einem kurzen Nicken. Trevor folgte ihnen nach Draußen.

„Wer war denn das?", murmelte Darwin schläfrig. „Der Stiefbruder meines Großvaters." Taylors Stimme klang sehr gereizt, was sich auch auf das Glas in seiner Hand auswirkte. Er hielt das arme Ding so fest, dass es drohte zu bersten.

„Großvater? Wie alt ist der Kerl?" „Um die zweihundert.", erwiderte Taylor gelassen, „Großvater ist nur hundertfünfzig Jahre alt geworden." Darwin und ich schauten erst uns und dann den Vampir ratlos an. „Dein Ernst? Der Kerl ist zweihundert?!" Er nickte. „Ich mag ihn nicht. Er wollte Vaters Stellung in der Stadt übernehmen als Großvater zu Staub zerfallen ist. Aber mein Opa hat in einem Testament alles geregelt um die Rangordnung sicher zu stellen." „Deine Verwandtschaft ist echt kompliziert.", sagte ich leise vor mich hin. „Ich weiß.", murmelte Taylor und entspannte sich etwas, „Das kommt dabei raus, wenn einzelne Personen Jahrhunderte lang uneingeschränkt herrschen können." Stille kroch in den Raum und breitete sich unangenehm aus. „Wollen wir an die frische Luft?", stelle ich die Frage in den Raum. Sofort standen Darwin auf. „Aber erst checke ich die Lage." Die Tür schloss sich hinter dem Alpha. Taylor und ich standen uns schweigend gegenüber.

„Ich habe deine Verwandten noch nie gesehen.", stieß ich ein Gespräch an. „Kannst du auch nicht. Sie leben auf Tasma Island. Ein Land jenseits des großen Teichs. Die sollen da noch wie im Mittelalter leben. Jedenfalls herrschen dort Vampire. Die Lords von Steins um genau zu sein. Die Menschen zahlen ihnen Schutzgeld oder bieten ihre Dienste an. Werwölfe sind dort angeblich ausgerottet." Ich zog die Augenbrauen hoch. „Schau mich nicht so an. Ich kenne selbst nur Geschichten und ich werde mich hüten in dieses Land zu reisen!" „Denkst du die Gerüchte sind wahr?" Er zuckte mit den Schultern. „So wie die beiden Darwin vorhin angesehen haben, traue ich ihnen alles zu." „Gut, dass die nicht hier leben." Taylor nickte. Das Schweigen kehrte zurück.

„Rückt er dir wieder auf die Pelle?" Ratlos schaute ich den Vampir an. „Wen meinst du?" Im selben Moment kehrte Darwin zurück. Taylor zeigte auf den Ankommenden. Natürlich so, dass er es nicht bemerkte. Ich grinste und zeigte mit den Fingern ein paar Zentimeter. Der Vampir lächelte verschwörerisch.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now