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„Vater und Tris haben vor ein paar Tagen ebenfalls über so eine Prophezeiung geredet." Seufzend zog ich die Augenbrauen hoch. „Ernsthaft?" Der Vampir nickte. „Wir sollten das ernst nehmen." Ich war alles andere als begeistert. „Wir sollten das erst mal für uns behalten." Diesmal nickte ich zustimmend. Es klopfte. Lewis und Tris standen in der Tür. „Vater wünscht dich zu sehen, Aaron." Natürlich erfüllte ich Trevors Wunsch. Tris führte mich zum Arbeitszimmer des Oberhaupts. Er ließ mich alleine eintreten und schloss leise die Tür. Ich setzte mich vor den breiten Schreibtisch. Trevor zog gerade ein Dokument aus einem Umschlag. „Kennst du den Stammbaum meiner Familie?" Ich schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich kenne nur dich, Taylor und Tristan." Das Oberhaupt legte mir das Dokument vor. Natürlich war der Stammbaum für mir mit unbekannten Symbolen verschlüsselt. Sie glichen jedoch denen aus dem alten Buch von Darwin.

„Entschuligung. Ich kann das nicht lesen.", sagte ich ehrlich. „Das habe ich befürchtet." Kopfschüttelnd erhob sich der Vampir und wanderte durchs Zimmer. „Heutzutage können immer weniger die Schrift der Ersten lesen oder gar schreiben. Es ist ein Jammer. Dann werde ich es dir beibringen müssen." Verwundert sah ich ihn an. „Wozu?" „Es existieren eine Vielzahl von Schriften, die interessant für dich sein könnten." Ich verstand immer noch nicht. Aber eine Befürchtung kroch aus meinem Unterbewusstsein. Trevor glaubte doch nicht auch an diese Weissagung. Oder doch?

„Hast du jemals von der Prophezeiung über einen Hybriden gehört?" Unbemerkt verdrehte ich die Augen und spürte wie ich nickte. Warum tat ich das? Richtig! Ich bin schlecht im Lügen. Aber Trevor gegenüber war das jetzt blöd. Wie sollte ich das erklären? Bin ich eigentlich noch zu retten?

„Woher kennst du sie?" Trevor klang verwundert, aber auch interessiert. „Darwin hat mir davon erzählt als ich auf seiner Burg war. Er denkt, dass ich das bin." Der Vampir nickte. „Und was denkst du?" „Wieso sollte grade ich das sein? Ich bin ein halbwegs guter Student und leben noch bei meinen Eltern. An mir ist nichts Besonderes." Trevor lachte. „Aaron. Selten ist jemand zuvor besonders, wenn er zum Helden einer Prophezeiung wird. Niemand wird als Held geboren. Helden werden gemacht!" Ich zog eine verzweifelte Schnute. „Und wenn ich kein Held sein will?" „Nun. Wir können uns das Schicksal nicht aussuchen. Nur versuchen vorbereitet zu sein." Ich seufzte frustriert. „Wie wäre es mit einem Kompromiss?", schlug Trevor vor, „Ich unterrichte dich in der Schrift der Ersten und dann werden wir sehen, ob es noch andere Hybriden mit deinen Eigenschaften gibt." Sollte ich ihm sagen, dass Darwin diese Option bereits geprüft hatte? Alle waren sich so sicher, dass ich der Auserwählte war. Nur ich nicht. Machte das einen Unterschied? Hm. Ja, ich denke schon!

Vorerst ließ ich mich auf Trevors Vorschlag ein. „Darf Taylor mitlernen?" Trevor verzog das Gesicht. „Bitte. Mit ihm konnte ich schon immer besser lernen. So eine Art Wettstreit würde meine Lernmoral hochhalten.", erklärte ich, „Das funktioniert in der Uni auch." Es war ihm ein Graus. Aber er stimmte zu. „Gut, gut. Es kann nicht schaden, wenn er die Schriften ebenfalls lesen kann." Ein schmales Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen. „Wir fangen morgen früh an. Jetzt geh und ruhe dich gut aus." Ich bedankte mich kurz und schlüpfte durch die Tür. Tristan wartete dort an der Wand gelehnt. Er geleitete mich zurück ins Gästezimmer. Ungefähr zehn Schritte entfernt, hörten wir bereits Taylor und Lewis streiten. Wir guckten uns kurz an und entschlossen uns vor der Tür zu warten. In diesen Kleinkrieg musste sich schließlich keiner von uns beiden einmischen. Tris und ich lehnten an der Wand und horchten.

„Was ist dein gottverdammtes Problem?!" „Aaron IST das Problem!", keifte Lewis zurück, „Er hat dich sogar um deinen rechtmäßigen Platz in deiner eigenen Familie gebracht!" „Was fällt dir eigentlich ein? Das war nie Aarons Schuld! Ich habe etwas Verbotenes getan und wurde dafür bestraft. Ganz einfach." „Seitdem dackelst du ihm hinterher wie ein Hund seinem Herrchen." Ich linste zu Tris, wie er zu mir. Vielleicht sollten wir den Streit stoppen bevor er eskalierte. Taylor reagierte leider sehr aggressive, wenn man ihn oder mich beleidigte. Bevor es schlimmer werden konnte, platzten Tris und ich ins Zimmer.

„Weil du gerade so schön schlecht gelaunt bist.", begann ich an meinen besten Freund gewandt, „Dein Vater erwartete uns morgen zum Unterricht." Sprachlos starrte mich der Vampir an und vergaß für ein paar Momente den Streit. „Ich habe Semesterferien. Da werde ich mich hüten etwas Neues zu lernen.", sagte er ruhig bevor er seufzte, „Also was bringt mich zu dieser Ehre?" „Hatte keine Lust alleine zu Lernen." Taylor verdrehte die Augen.

„Nachher gibt es Abendessen.", meldete sich Tristan zu Wort ehe er das Zimmer verließ. „Bis dahin will ich dich nicht mehr sehen!", knurrte der Vampir seinen Partner an. Lewis knurrte zurück und fletschte bedrohlich seine Zähne. Taylor erwiderte es. Seine Fangzähne wirkten größer, bedrohlicher. Sein Liebster machte einen Schritt zurück. Bevor er von dannen zog, warf er mir einen Todesblick zu. Ich konnte darüber nur Lachen.

„Was war es diesmal?" Taylor warf mir einen wütenden Blick zu, der mich zum Schweigen brachte. „Sind meine Eltern hier?" Er nickte. „Einem Stockwerk über uns. Willst du zu ihnen?" „Die streiten bestimmt ebenfalls. Also nein. Sie wissen sicherlich, dass ich hier bin." „Tris hat es ihnen gesagt, ja." Deprimiert setzte sich Taylor aufs Bett. Ich nahm ihn in den Arm. „Ich weiß, du willst es nicht hören. Aber wie lange soll das noch so weitergehen?" „Das sagt ausgerechnet derjenige, der einen ganzen Monat verschwunden war!" „Du wusstest doch, wo ich gewesen bin. Ich wollte dich anrufen. Aber Darwin hat es nicht zugelassen." Taylor legte seinen Kopf in meinen Schoß.

„Was wollte Vater von dir?" „Er hat mich auf die Prophezeiung angesprochen. Wieso denken alle, dass ich das bin? Kannst du mir das mal sagen?" „Was wäre so schlimm daran?" Ich strich sanft durch seine langen schwarz-roten Haare. „Die Prophezeiung bezieht sich auf die ganze Welt. Ich will diese Verantwortung nicht.", antwortete ich ehrlich. Taylor lachte. „Das sieht dir ähnlich." „Hör auf zu lachen!" Er wischte sich die Lachtränen aus seinen roten, leuchtenden Augen. „Denkst du, ich wollte mit siebzehn die Verantwortung für einen Hybriden?" Böse schaute ich auf ihn herunter. „Du hast mich gebissen! Was habe ich bitte verbrochen?" Taylor lächelt mich schmal an. „Als ob es dir nicht gefallen hat." Ich grinste kopfschüttelnd zurück. „Lass uns essen gehen."

Im Speisesaal traf ich auf meine und Taylors Familie. Es herrschte Schweigen. Die Stimmung? Auf jeder Beerdigung war sie besser! Stumm wurde gegessen. Meine Eltern und ich bekamen gebratenes Huhn mit Beilagen. Die Vampire genossen ihr Blut. „Und was gibt's bei dir?", scherzte ich und zeigte auf Taylors Glas. „Huhn. Wie bei dir.", lächelte er und hielt mir spaßeshalber das Glas hin. „Das ist der Moment, wo ich mich freue nur ein Hybrid zu sein." Wir lachten uns an. Lewis warf mir wieder einen seiner Todesblicke zu. In letzter Zeit machte er das häufiger als in den letzten vier Jahren.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now