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Die anderen Menschen wurden zu einem Transporter gebracht. Lothar und ich steuerten eine Limousine an. Der Vampir mit dem Armband hielt uns die Tür auf. Er wirkte noch sehr geschwächt, versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen. „Einsteigen.", befahl der Thronfolger von Tasma Island. Ich gehorchte und krabbelte auf den Rücksitz. Die Handschellen machten es nicht gerade einfach. Die anfänglich kleinen roten Ränder waren breiter geworden. Es tropften bereits ein wenig Blut herunter. Der ausgehungerte Vampir auf dem Beifahrersitzt tat mir ehrlich leid. Die gesamte Fahrt lang beobachtete er mich. Lüstern. Nach Blut lechzend. Bei Lothar war die Tatsache ebenfalls angekommen. Er sagte etwas zum Fahrer. Der Beifahrer wurde bleicher. Auf dem Seitenstreifen kamen wir zum Stehen. Der Fahrer und Lothar stiegen aus. Sie zerrten den Dritten aus dem Fahrzeug. Das war die Gelegenheit für mich zu fliehen. Ehe es meine Kidnapper reagieren konnten, flitzte ich aus dem Auto. Leider hatte ich das Begleitfahrzeug übersehen. Sofort wurde ich eingefangen. Frustriert ließ ich mich zurückbringen.

Der Vampir mit dem Armband kniete vor Lothar von Stein. Er redete auf den jungen Fürsten ein. Der Dolch in Lothars Hand entging mir nicht als ich seitlich zum Schauspiel gezogen wurde.

„Was hast du vor?" Der Fürstensohn lachte. „Du sprichst immer noch nicht meine Sprache?" grinste er spöttisch, „Nun ich will mal nicht so sein." Er winkte mich zu sich. „Dieser Mischling hier, will etwas, das mir gehört.", erklärte er und zeigte auf den knieenden Vampir. „Hat er dir etwas weggenommen? Also gestohlen?", bohrte ich nach. „Er hat es versucht. Beim ersten Mal habe ich es durchgehen lassen, aber jetzt ist der Mischling dran!" Bedrohlich hob er den Dolch hoch. Ohne zu denken sprang ich zwischen die beiden. Zu meinem unverschämten Glück blieb die Klinge in den dicken Gliedern der Handschellen stecken. Ich stöhnte schmerzerfüllt auf. Die Kanten meiner Fesseln bohrten sich tief in mein Fleisch. Das Blut floss ungehindert an meinen ausgestreckten Armen herunter. Geschickt konnte ich den Dolch wegschleudern. Mehr Glück als Verstand. Aber es funktionierte.

Lothar starrte mich entsetzt an. „Was genau ist so wichtig, dass es einen Mord rechtfertigt?", zischte ich ihn wütend an. Dabei schielte ich auf meine Handgelenke. Die Schnittwunden wollten einfach nicht versiegen. Hinter mir regte sich der hungrige Vampir. Vor mir zog der Fürstensohn einen weiteren kleineren Dolch. Natürlich. Ich, Idiot, hatte ja unbedingt die andere Klinge rund vier Meter weit schleudern müssen. Verdammt! Was sollte ich nun machen? Mein Blutverlust machte sich langsam bemerkbar. Mir wurde schwindelig. Reflexartig hockte ich mich auf den Schotterweg, auf dem wir standen. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zum Mischling, wie ihn Lothar genannt hatte. Er hatte einen ausdruckslosen Blick. Als hätte er bereits abgeschlossen, bereit zu sterben. Sinnlos zu sterben. Aber das war nun wieder meine hier total ungefragte Meinung. Was ich als nächstes tat – und ich habe keine Ahnung, was sich mein Unterbewusstsein im Halbabdrivten dachte –, beeindruckte den Vampirmischling. Ich hielt ihm meine tropfenden Handgelenke vor den Mund. Schüchtern blickte er mir in die Augen. Zustimmend nickte ich. Mit aller Vorsicht leckte er das Blut ab. Ich konnte seine Reißzähne sehen, doch er nutzte sie nicht.

„Was?!", zischte Lothar hinter mir. Ich hörte eilige Schritte auf uns zukommen. „Wie heißt du?" Den einzigen Satz, den ich auf tasmanisch zusammen bekam. „Tinur.", antwortete er und legte seinen Kopf auf meinen Schoß, „Ich spreche auch Eure Sprache, Saier." Die Schritte in meinem Rücken stoppten abrupt. „Du!", fauchte Lothar ungehalten, „Du wiederwertige, kleine Kakerlake! Du wagst es mich zu hintergehen?!" Tinur stand auf und zog mich mit sich hoch. „Sag mal. Von was redest du?", erkundigte ich mich. Was hatte der bloß immer für Probleme. „Diese Missgeburt neben dir. Ich habe ihn zum Vampir gemacht. Er ist verpflichtet mir sein Blut zur Verfügung zu stellen bis ich ihn freilasse." Mir schwante böses. Jetzt kam bestimmt der Teil, den ich verbrochen hatte. Ich sollte mich wirklich mehr mit Geschichte und Regel anderer Länder vertraut machen. „Er darf nur dann Blut trinken, wenn ich es ihm erlaube oder jemand ihm freiwillig sein Blut zur Verfügung stellt.", erklärte Lothar weiter, „Ist letzteres der Fall und es handelt sich um ein Vampirwesen, wird dieser automatisch zu seinem neuen Meister. Du hast mich damit um meine Blutquelle gebracht! Um meinen Diener!" Wütend sammelte er seine Dolche ein und bellte den Umstehenden etwas zu. „Er will weiterfahren.", wisperte Tinur und führte mich zum Wagen. „Wohin fahren wir?" „Zu einem Tempel im Hochgebirge, Saier. Seid unbesorgt, man wird Euch nichts Schlimmes antun." Das beruhigte mich selbstverständlich. Nicht! Immerhin hatten die tiefen Wunden aufgehört zu bluten. Vampirenzymen sei Dank. Der Autokorso setzte sich währenddessen wieder in Bewegung.

Unsanft knallte ich mit dem Kopf ans Fenster. Sofort war ich hellwach. Wann bin ich nur eingeschlafen? Draußen dämmerte es bereits. Lothar von Stein hockte mit verschränkten Armen neben mir und ignorierte mich gekonnt. Damit hatte ich ja nun wirklich kein Problem. Tinur hatte ständig ein wachsames Auge auf mich. Neugierig lugte ich nach Draußen. Wir durchquerten ein Waldstück und kamen schließlich auf einem Parkplatz zum Stehen. Tinur öffnete Lothar und mir die Tür. Der Fürst bellte Befehle durch die Gegend. Irgendjemand gab ein Pfeifsignal ab, das sogleich erwidert wurde. „Ab hier geht es nur zu Pferd weiter.", erklärte der Vampir neben mir. Von einem schmalen Pfad aus, kamen zwei stattliche Tiere angelaufen. Eines trug einen Reiter auf seinem Rücken, das andere trabte friedlich hinterher. Ich wurde zu dem Reiter aufs Pferd gesetzt. Lothar dagegen bekam sein Eigenes. „Kommst du nicht mit?" Tinur schüttelte den Kopf. „Nur Reinblütern ist es gestattet den Heiligen Tempel zu betreten.", erklärte er, „Ich werde selbstverständlich auf Euch warten." Der Reiter trieb das Pferd voran.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now