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„Ihr wolltet etwas über unser Leben hier erfahren.", riss mich Muraz aus meinen Gedanken, „Habt Ihr spezielle Fragen?" Ich überlegte. Natürlich wollte ich mehr wissen. Doch Taylor kam mir zuvor. „Wie überlebte ein Vampir hier? Ich habe hauptsächlich Vampire und Werwölfe gerochen. Kaum Menschen oder wilde Tiere." „Nun, das ist richtig. Die Wahrheit ist, wir Vampire können uns hier kaum ernähren. Die wenigen Menschen, die hier leben, sind so großzügig und spenden uns Vampiren hin und wieder Blut. Einige Vampire trinken Werwolfsblut um nicht zu verhungern." Ich stutzte. Genau wie Taylor und Luraz.

„Ist Werwolfsblut nicht giftig?" Muraz nickte zustimmend. „In rauen Mengen ist es das." „Wann hast du zuletzt etwas getrunken?", erkundigte ich mich. „Etwa vor zwei Wochen.", antwortete der Gastgeber nach kurzem Überlegen. „Steht hier so wenig zur Verfügung?" Er schüttelte den Kopf. „Ich habe meine Vorräte gegen Steine eingetauscht." Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Er hungerte um seinem Geliebten ein anständiges Grab zu schenken.

„Und Lucky? Hat sie genug zu essen?" „Sie jagte seit Jahren im Wald kleine Tiere. Hin und wieder tauschte sie ihre Beute gegen Obst oder Gemüse. Ich bin stolz, dass sie so selbstständig ist." Nickend dachte ich nach. Mein Blut müsste eigentlich genießbar sein. Mit den Violen von Luraz konnte unser Gastgeber einen neuen Vorrat anlegen. Taylor verzog den Mund, was so viel wie ‚lass es sein' bedeutete. Er hatte meinen Gedanken längst erraten. Ich konnte aber nicht anders. „Wenn ich dir mein Blut anbiete, nimmst du es dann an?" Lächelnd verneinte Muraz. „Bei mir würde es sicherlich umkippen. Ihr könnt Euer Blut gerne spenden, wenn Ihr möchtet." „Wieso sollte es bei dir schlecht werden?", setzte Taylor nach. „Weil ich kein Blut mehr anrühren werde." Schockiert starrte ihn sein Zwilling an. „Aber, Bruder, das wird dein Tod sein!" Der Vampir nickte entschlossen. „Das ist mir bewusst." „Und Lucky? Was wird aus ihr?" „Sie hat sich vor Jahren in den Wolfsburschen von nebenan verguckt. Er will sie zur Frau nehmen sobald sie volljährig ist. Die beiden werden dieses Haus von mir erben."

Es war traurig. Doch Muraz würde sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Seine Worte hatten das untermauert. Luraz war den Tränen nahe. „Ich habe dich gerade erst wiedergefunden!", flehte er bitterlich, „Wieso willst du so dringend fort?" Der Zwilling zog seinen Bruder an sich. „Es ist etwas, das du nicht verstehst, Luraz. Flip war mein Leben. Er hat ein zu tiefes Loch hinterlassen. Vampire leben viel zu lange. Oft über viele Jahrhunderte und mit mehreren Existenzen, mehreren Partnern. Ich möchte das nicht. Ich will ein Leben. Das Leben mit Flip." „Das verstehe ich wirklich nicht! Was ist mit Lucky? Du kannst sie hier nicht alleine lassen in dieser Wildnis." Sein Bruder lächelte ihn sanft an. „Sie ist nicht allein. Genauso wenig wie du." Die Zwillinge maßen sich an Blicken.

„Wie lange hat er?", flüstere ich Taylor zu. „Kommt darauf an, wie er sich ernährt hat. Vielleicht nur Monate. Es könnten auch Jahre werden." „Ihr solltet euch schlafen legen. Morgen führe ich euch zum Tor." Taylor und ich folgten seiner Bitte. Ich kuschelte mich an Darwins Fell und Taylor sich an meinem Rücken. Perfekt gewärmt schlief ich ein.

Der Duft von Gebratenem weckte meine sensible Nase. Verschlafen gähnte ich und öffnete die Augen. Muraz und Lucky deckten fleißig den Tisch. Auf der kleinen Feuerstelle am Fenster brutzelte ein Stück Fleisch. Ich wollte nicht wissen, was das mal gewesen war. Dem Geruch nach versprach es lecker zu sein. Lucky grinste mich an und winkte mich an den Tisch. Schnell weckte ich meine Gefährten. Zusammen frühstückten wir noch kurz. Dann gab uns Muraz einen kleinen Rundgang durchs Reservat. Es gab nur ein einziges zementiertes Haus. Die Blutbank. Dort spendete ich ein wenig Blut. Der Verwalter der Bank sprach mir hundertfach seinen Dank aus.

Am späten Nachmittag führte uns Muraz in die Nähe des Tors. „Weiter kann ich nicht gehen. Hoffentlich könnt Ihr etwas ändern, Aaron. Die nachfolgenden Generationen sollen frei und in Frieden leben." Lucky winkte uns zu, dann lief sie mit ihrem Ziehvater zurück in den Wald.

In der Zivilisation angekommen, entschuldigte sich Luraz und zog sich zurück. Bis zu unserer Abreise bekam ich ihn nicht mehr zu Gesicht. Schade. Ich hätte mich wirklich gerne von ihm verabschiedet.

Am Flugplatz wartete mal wieder die Maschine. Mit einem letzten Blick stieg ich seufzend ein. Ob ich in meinem kurzen Menschenleben in diesem Land etwas bewirken konnte? Die Zuversicht würde zuletzt sterben. Hoffentlich. Vielleicht konnte ich die Bevölkerung zu kleinen Veränderungen bewegen. Muraz würde ich zumindest damit glücklich machen.

Darwin setzte sich auf seinen demolierten Platz. „Ich werde mir meine Kralle abbrechen.", schimpfte er leise. Der Alpha brachte mich zum Schmunzeln und gleichzeitig auf andere Gedanken. „Keine Sorge. Wir fliegen nur noch nach Hause.", versuchte ich ihn zu beruhigen. Der Wolf schmunzelte. „Das sind fast neun Stunden." Grinsend tätschelte ich seine Hand.

Natürlich wurde der Start für Darwin wieder die reinste Hölle, was für Taylor die perfekte Gelegenheit darstellt um den Werwolf auszulachen. Ich warf dem Vampir einen warnenden Blick zu. Mein bester Freund zuckte nur lächelnd mit den Schultern. In der Luft wurde mein Sitznachbar ruhiger. Er nahm meine Hand in seine Hand und drückte sie. Sein Blick blieb auf einem fixen Punkt. „Darwin.", flüsterte ich, „Sieh mich an." Ganz langsam gab er seinen sicheren Punkt auf. Ich musste mich oft wiederholen. Doch schließlich sah er mich an. „Besser?" Er nickte. Seine Augen leuchteten richtig. Er traute sich sogar kurz an mir vorbeizusehen. „Denkst du, Taylor ist beschäftigt?" Ich lugte über meine Schulter. Der Vampir hatte uns den Rücken zugewandt. In seinen Haaren waren die Bügel der Kopfhörer zu sehen. „Ich denke schon. Wieso?" Der Werwolf blickte mich gequält an. „Ich habe Hunger." „Hinten ist eine Küche." „Ich weiß. Aber da komme ich nie an." Kurzer Hand zog ich den Wolf am Handgelenk hoch. Überrascht stolperte Darwin hinterher. Die Bordküche war so wie man es sich vorstellte. Klein und eng. Wir konnten nicht mal Rücken an Rücken stehen. Trotzdem zwängte sich Darwin in den Spalt hinter mich als ich das Steak in die Mikrowelle steckte. „Was wird das?" „So fühle ich mich sicherer. Ich kann jeden Luftzug, jede Veränderung spüren." Ernsthaft? Ich konnte mir grade so das Lachen verkneifen. Eigentlich ein bisschen gemein, denn der Alpha konnte nicht für seine Flugangst verantwortlich gemacht werden. Es war einfach nicht seine Natur. Er war ein Wolf, kein Vogel. Was sollte ich auch sagen? Schließlich genoss ich seine Nähe.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now