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„Wer war dabei als Finn gestürzt ist? Vortreten!" Oha. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Wolf niemals so böse auf mich sein würde. Der ganze Boden aus festem Gestein vibrierte unter seinem Aufruf. Etwa zehn Wölfe traten vor. Auch Samu. „Wer hatte Aufsicht?" Nun trat ein einzelner stämmiger Wolf vor. Er war bestimmt älter als Darwin selbst. „Demian. Sag mir doch bitte mal, wie das passieren konnte? Du bist einer meiner Erfahrensten." Der Wolf schwieg mit gesenktem Kopf. „Der ist selbst gefallen. Wir haben nichts gemacht.", murmelte ein anderer halblaut. Darwin fixierte den Redner mit den Augen. „Wenn das so ist. Wieso hat dann keiner etwas dagegen getan?" „Das glaubst du doch nicht wirklich, Alpha?!", keifte sein Beta verbittert. „Habe ich das gesagt, Samu?" Verwirrt schüttelte dieser den Kopf. „Damit eines klar ist. Mir ist bewusst, dass ihr Finn nicht hier haben wollt. Trotzdem bin ich mehr als enttäuscht von euch allen.", erklärte Darwin mit verschränkten Armen, „Denkt einer von euch mal an Samu? Er ist euer Beta. Wie wäre es mal mit ein bisschen Respekt?!" Die Meute schwieg. Die meisten schauten auf den Boden. „Ich will nie wieder etwas hören. Ist das klar?" Darwins Wölfe nickten eifrig. Der Alpha winkte Samu zu uns. Den Rest ließ er wegtreten. „Was ist wirklich passiert?", fragte Darwin als wir in seinem Büro standen. „Sie haben ihn über die Mauer gejagt. Vielleicht war es am Anfang wirklich nur scherzen. Aber plötzlich ist Finn nach hinten weggerutscht und gefallen." Samu lehnte sich an die Wand und rutschte daran herunter. „Mein Herz ist Sekunden stehen geblieben als er auf dem Hof lag und sich nicht mehr bewegt hat." Ich legte meinen Arm um seine Schulter. „Wo ist er im Moment?" „Im Wolfsdorf. Auf der Krankenstation." „Und du bist nicht bei ihm?" Er nickte. „Hast du vergessen, wie ich das letzte Mal auf Darron reagiert habe? Ich würde mich nicht im Griff haben. Alleine der Gedanke, dass Darron ihn anfasste." Samu schüttelte sich. „Ich vertraue seinem Bruder, aber ich muss es nicht sehen. Verstehst du?" Diplomatisch klopfte ich ihm aufmunternd auf die Schulter. „Irgendwann musst du dich daran gewöhnen.", entgegnete Darwin streng. Der Beta bewegte zustimmend den Kopf. „Das ist mir bewusst. Aber Finn und ich sind noch nicht gebunden." Fragend schaute ich den Alpha an. „Finn und Darron haben eine spezielle Vorgeschichte." Darwin schaute zum Fenster. Er rang mit sich, das konnte ich deutlich sehen. Dann setzte er sich neben uns auf den Boden. „Die meisten aus unseren Rudel stammen ursprünglich aus dem meines Vaters." Darwin scahute teif in die Augen seines Betas. „Finn und Darron wurden in einem anderen Rudel geboren." Samu stutzt. „Das wusste ich nicht." „Sie wurden nicht vom Alpha akzeptiert und für Freiwild erklärt. Vater und ich haben sie damals gefunden. Da war ich vielleicht zwölf. Die Brüder waren abgemagert und geschwächt. Vater hat sie sofort ins Rudel aufgenommen. Später habe ich erfahren, dass sie wie Hunde in Zwingern gehalten wurden. Daher kommt womöglich die spezielle Bindung zwischen den Brüdern." Darwin betrachtete seinen Beta prüfend. „Du wirst damit leben müssen. Die Verbindung wirst du nicht brechen können." „Das möchte ich auch überhaupt nicht. Es würde uns allen drei schaden. Ich möchte nur, dass er sich bindet. Dann ist das auch leichter mit Darron für mich." Ich zog den Beta näher an mich. „Lass ihn wieder gesund werden und rede dann nochmal mit ihm." Auf meinen Vorschlag hin lächelte Samu. „Das werde ich."

Taylor rief mich am Nachmittag auf dem Smartphone an. „Bist du gut gelandet?" Der Vampir bejahrte. Er berichtete von den vielen Teilnehmern. Einige hatten mit mir persönlich gerechnet. Doch Taylor hatte ihnen höflich ausgerichtet, dass ich sehr viele Verpflichtungen habe und mich nicht zerteilen konnte. Wenn mein Lieblingsvampir nur wüsste. Ich erzählte ihm die Kurzfassung der letzten Ereignisse. „Manchmal frage ich mich, was das soll. Es ist doch kindisch, was sie da abziehen." Taylor lachte. „Es sind eben Werwölfe." „Das meine ich nicht. Wie soll ich die Welt ins Gleichgewicht bringen, wenn ich es nicht mal bei einem Rudel Werwölfe schaffe?" Wieder ein leises Lachen. „Ach, Aaron. Keiner hat jemals behauptet, dass du es alleine schaffen musst. Außerdem ist Darwins Rudel kaum ein Maßstab. Sie sind so oder so total schrecklich." „Taylor!", protestierte ich tadelnd. „Ist doch wahr." Ich schüttelte bloß den Kopf. „Ich muss zurück.", murmelte der Vampir. Ich wünschte ihm noch eine schöne Konferenz.

Die Sitzung, die Taylor für mich absolvierte, dauerte eine volle Woche. In der Zwischenzeit pendelte ich zwischen dem Büro, unserer Wohnung und Alba Montem hin und her. Als der Vampir auf dem Flugplatz landete, war ich unendlich froh. Von den beiden Wolfsrudeln hatte ich erst einmal genug. Erst gestern war Finn auf die Feste zurückgekehrt. Darwin schwor seine Leute darauf ein, nichts mehr gegen den Wolf zu unternehmen. Ich bin gespannt, wie lange es diesmal anhalten wird.

„Wie war's?" „Richtig spannend.", knurrte Taylor gereizt, „Ein paar Einzelländer wollen Tasma Island nicht vollständig anerkennen. Im Prinzip ging es die gesamte Zeit nur um dieses Thema. Ächzend!" Grinsend drehte ich mich um. „Lach nicht!" Schnell atmete ich ruhig aus um das Lachen tief in meiner Kehle zu vertreiben. Dann drehte ich mich wieder zum Vampir, der es sich auf dem Sofa bequem machte.

„Wie seid ihr verblieben?" Taylor zuckte mit den Schultern. „Offiziell ist die Insel als freie Demokratie anerkannt. Aber du weißt ja, wie das ist. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern bis wir nichts Negatives mehr hören." Da musste ich ihm leider – so ungern ich das auch tat – zustimmen. So war die Welt nun mal. Engstirnig und altmodisch.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now