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„Au! Was sollte das?" Oder auch nicht. Taylor setzte sich kommentarlos neben mich. Mein Blick fiel auf Darwin. Er hatte einen Handabdruck auf der rechten Wange. Dieser stammte hundert pro vom Vampir neben mir. Ich stupste ihn leicht an, worauf er seinen Arm um mich legte. „Geht es dir besser?" Ich musste die Worte fast von seinen Lippen lesen so leise drückte er sich aus. Das tat er sicher nur wegen meiner augenblicklichen Überempfindlichkeit gegen laute Geräusche gegenüber. Taylor rollte etwas zwischen Finger und Tisch hin und her. Es war ein zwölfseitiger durchsichtiger Würfel mit blauem Schein.

„Kommt er dir bekannt vor?" Der Vampir hielt mir das blaue Ding vor die Nase. Ich schüttelte den Kopf. Dieses Teil hatte ich sicher noch nie zuvor gesehen.

„Und ihr?" Auffordernd schaute er die elf Wölfe gegenüber an. „Das ist der Würfel von gestern.", antwortete einer der Werwölfe gequält. „Ja, genau." Taylors Blick wanderte zu mir. Eine Aufforderung lag darin. Ich wusste nicht, was er von mir wollte. Er seufzte. „Kannst du dich überhaupt noch an irgendwas erinnern?" Rasch schüttelte ich den Kopf. Taylor goss mir Wasser nach.

„Was ist mit euch?" Die Werwölfe wichen alle seinem Blick aus. Das bedeutet wohl ja. „Bin ich sehr peinlich gewesen?" Einer der Wölfe lachte. „Das waren wir alle." Demian, der ebenfalls mitgespielt hatte, rückte mit ein paar Details heraus. Sie hatten eine – für mich – verschärfte Art von Wahrheit oder Pflicht gespielt. Zu zwölft. Jede Zahl des Würfels stellte einen Spieler dar. Wen es erwischte, musste ein Schnapsglas leeren und sich dann für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden. Ich hatte mich betrunken mehrmals für Wahrheit entschieden. Wie konnte ich nur so blöd sein? Demian berichtete breit grinsend, was ich so erzählt hatte. Unter anderem wie sehr ich für Darwin schwärmte, Taylor aber mindestens genauso lieb hatte. Die beiden Rudel wussten nun, dass ich gerne schwimme und tauche. Das Peinlichste war wohl mein detaillierter Bericht über die Nacht meiner Verwandlung durch Taylor und Darwin. Danach hatte mich der Alpha kurzer Hand aus dem Spiel genommen und ins Bett verfrachtete.

Ich lugte zu Taylor. Der hatte allerdings nur einen tadelnden Blick für mich übrig. Das wiederum bestätigte irgendwie nur die Geschichte.

„Wieso kommt es mir so vor als wenn ich der Einzige ohne Erinnerungen bin?" „Bis zu deinem Ausstieg waren wir alle noch ganz fit.", brummte einer von Darwins Wölften und goss sich Wasser in seinen Becher. „Mit anderen Worten, wenn du sie nach ihren Antworten fragst, wissen sie ebenso kaum noch, was sie gesagt haben.", erklärte Darwin hinter mir. Sanft massierte er mir die Schläfen.

Den restlichen Tag verbrachten wir auf Alba Montem. Die meisten Gäste sowie Bewohner schliefen bis zum Abend. Taylor und ich setzten uns auf der Mauer des obersten Verteidigungsrings und schauten ins Tal.

„Feiert dein Bruder wieder eine seiner legendären Partys?" Taylor lachte. Nebenbei bemerkt. Das erste Mal auf der weißen Feste. „Du meinst seinen Geburtstag zur Walpurgisnacht? Aber sicher.", grinst der Vampir, „Mein Bruder gibt sich das ganze Jahr über seriös. Nur an einem Tag nicht." Er zwinkerte mir zu. „An zwei.", korrigierte ich, „Silvester ist er auch nicht bessern."

Am Montag musste ich mich praktisch ins Büro zwingen. Noch dazu hatten Taylor und Darwin mit Finn Wachdienst. Der ältere Werwolf wartete bereits vor der Tür und diskutierte mit einem Angestellten des Bürgermeisters. Er war durch seine Dienstkleidung einfach zuzuordnen.

„Ich habe dringende Kunde!", sagte der Mann in Blau. „Zum hundertsten Mal. Aaron ist noch nicht eingetroffen!", entgegnete Finn genervt. Am Zucken seiner Nase, wusste ich, dass wir bemerkt wurden. Er behielt den Beamten trotzdem im Auge. „Das wurde langsam auch Zeit.", knurrte Finn ohne seine Augen abzuwenden. Der Mann in Blau schaute ihn irritiert an. Da drehte Finn seinen Kopf in unserer Richtung. „Der Kerl hier labert mir bald ein Ohr ab!" Der Beamte atmete auf als er uns bemerkte. „Der Herr Bürgermeister schickt mich. Es gibt ein paar sehr dringende Angelegenheit zu klären." Ich nickte und schloss die Tür auf. Der Mann in Blau folgte mir unaufgefordert. „So geheim, dass er mir nicht einmal ein Stichwort sagen wollte.", maulte Finn halblaut zu Darwin gewandt. Ich nickte dem Alpha zu und schloss die Tür zum Vorzimmer. Der Alpha sollte den anderen Wolf erst mal beruhigen.

Misstrauisch beäugte der Mann Taylor, der an der Fensterbank parallel zu meinem Schreibtisch lehnte.

„Nun. Sie wollten mir etwas mitteilen?" Der Mann starrte Taylor auffordern an. Er starrte nur lässig zurück. Ich räusperte mich laut. Der Bote zuckte zusammen. „Taylor bleibt. Also. Was wollten Sie mir berichten?" Endlich fand er sich. Dabei wäre es mir lieber gewesen nicht zu hören, was er zu sagen hatte. Lothar von Stein. Er war wieder auf freiem Fuß. Angeblich wegen eines Verfahrensfehlers. Aber das konnte ich irgendwie nicht glauben.

„Der Herr Bürgermeister wünscht sich, dass Sie nicht mehr alleine durch die Stadt gehen möchten." „Das tut er sowieso nie.", brummte Taylor in seinen nicht vorhandenen Bart. Es reichte aus um den Boten zu erschrecken. Was hatte der bloß für ein Problem?

„Vielen Dank für die Information. Ich werde mich natürlich hüten alleine um her zu wandern, wenn das den Bürgermeister beruhigt." Der Mann in Blau nickte und verließ fluchtartig das Büro. „Der hat wohl ein Problem mit Werwölfen." Finn war immer noch oder schon wieder am Rummaulen. „Wenn es dich tröstet: Er schätzt auch keine Vampire." Taylor ließ sich aufs Sofa dem gegenüber der Werwölfe fallen. „Lothar von Stein. Er war wieder frei. Diesmal legal." Ich stellte die Information in den Raum und wartete. Darwin schaute mich an wie einen Geist. „Denkst du wirklich, mein Cousin taucht hier auf? Der weiß doch gar nicht, wo Torrens auf der Landkarte ist, auch wenn er schon mal hier war." „Er hat bestimmt noch Verbündete, Taylor." Da stimmte ich Darwin zu. Luraz und Tinor hatten damals keinen der Black Union festsetzen können. Diese ließen sich sicher schnell reaktivieren. „Mach keinen Stress, Darwin. Lothar wird hier nicht aufkreuzen. Der wird bei seinem Vater unterkriechen."


Das Leben zwischen den StühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt