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In den nächsten Wochen folgte alles seinen gewohnten Gang. Taylors Vermutung hatte langsam Hand und Fuß.

Am Abend schaltete ich den Rechner endlich aus und ging rüber ins Vorzimmer. Samu hockte lässig auf dem Sofa. Ein Dauergrinsen hing in seinem Gesicht. „Also?" Grinsend setzte ich mich ihm gegenüber. Der Beta schaute mich ein wenig irritiert an. Dann kam die breite Linie von einem zum anderem Ohr zurück. „Finn hat sich an mich gebunden." „Herzlichen Glückwunsch!" Ich nahm den Beta kurz in den Arm. Wobei. Machte man das überhaupt? Egal. Samu freute sich jedenfalls. Wie üblich brachte er mich nach Hause bevor er sich verabschiedete.

Darwin und Taylor kuschelten eng umschlungen vorm Fernseher. Echt unfair! Aber besser als wenn sie sich wieder in die Haare bekamen. Zu dritt schauten wir unsere Lieblingsserie und fielen anschließend müde ins Bett. „Sag mal, Darwin. Wieso ist dein Bett auf Alba Montem großer als unser eigenes hier?", murmelte Taylor ins Kissen. „Vielleicht, weil das hier nur für maximal zwei Menschen ausgelegt ist. Meines ist für zwei stämmige Werwölfe gebaut.", gab er die Frage ungeniert zurück. „Ich bin müde.", knurrte ich zwischen den beiden. Wirklich. Zwischen den beiden fühlten ich mich wie ein Tal eingerahmt in hohe Bergen. Dabei waren sie kaum größer als ich! Ungeachtet meiner Wenigkeit quatschte der Vampir einfach weiter. „Kannst du für uns auch eins bauen?" Ich spürte ein Nicken an meinem Kopf. Dann war es still.

Dieses Wochenende war es endlich so weit. Tristans zwanzigster Geburtstag. Dabei wirkte er immer so verdammt erwachsen. Viel mehr als einer von uns drei. Trevor hatte Darwin persönlich auf Castel Sanguis zur Feier seines jüngsten Sohns eingeladen. Den ehemaligen Kerker des stolzen Schlosses hatten die Vampirbrüder in eine Partyarea umfunktioniert. Nichts erinnerte an die einst dunklen Gemäuer. Die bunten Laser schwirrten munter durch die Luft. Dazu ein perfekt abgestimmter Beat aus den gut getarnten Boxen. Es gab eine große Tanzfläche und einen abgetrennten Sitzbereich. Die ganze Fläche füllte sich stetig mit Gästen. Die halbe Stadt musste hier sein. Aber das war ganz normal für Tris' Partys. Ein Gemisch aus Vampiren, Menschen und Werwölfen schob sich durch die Gänge. Darwin hatte sich gleich am Anfang für die Sitzgruppe entschieden. Er hatte sich nur kurz Zeit genommen um dem Geburtstagskind zu gratulieren. Taylor nahm seinen Bruder ganz fest in den Arm. „Happy Birthday." „Danke." Natürlich drückte ich Tris auch kurz bevor ich das Geschenk überreichte. Schokopralinen mit Blutkapseln. Eben die Dinger, welche wir neulich im Olymp entdeckten.

Wenig später zog mich Taylor auf die Tanzfläche. Zu einer Schnulze. Eng umschlungen schunkelten wir im Takt. Ich legte meinen Kopf auf Taylors Schulter und betrachtete ihn stumm. Ein breites Lächeln schlich auf mein Gesicht. „Weißt du eigentlich wie sehr ich dich liebe?" Ich möchte normalerweise keinen Kitsch. Aber dieses Lied zwang mich praktisch dazu. Der Vampir schaute mich an und blieb stehen. „Ist dir bewusst, dass du das noch nie direkt gesagt hast?", grinste er. Verwirrt hielt ich inne. Hatte ich das wirklich noch nie laut gesagt?

„Das sieht unser Werwolf wohl genauso." Ich folgte Taylors Blick. Am Rand lehnte Darwin an der Wand und beobachtete uns verträumt. Er nickte uns zu, zeigte mit dem Kopf dabei auf die Sitzecke. Wir folgten schmunzelnd seiner stummen Aufforderung. Es gab ein kleines Eck in der Sitzgruppe von dort man die Tanzfläche super überblicken konnte. Genau dorthin führte uns der Alpha. Hier konnten wir ungehindert über die Tänzer lästern.

Auf einmal winkte Tristan seinen Bruder zu sich. Ich nutzte es um mich an den Wolf zu kuscheln. „Habe ich wirklich noch nie gesagt, dass ich euch beide liebe?" Darwin grinste nur verschmitzt. Das war Antwort genug. Von der Tanzfläche her kam eine kleine Rauchwand angeschwemmt. Jemand hatte wohl an der Nebelmaschine herumgespielt. „Das riecht komisch.", bemerkte Darwin und zog mich auf die Füße. Er führte mich den Gang entlang. „Wo willst du hin?" „An die frische Luft."

Soweit kamen wir nicht. Von oberhalb der Treppe hörten wir metallisches Klirren. Nur Vampire kämpften heute noch mit Schwertern. Darwin drückte mich an die Wand, gab mir stumm zu verstehen, hier zu bleiben. Er schlich weiter nach oben. Ich blieb versteckt in der Biegung stehen. ‚Komm schnell her.' Ich schaute mich um. Niemand war zu sehen. ‚Aaron! Jetzt!' Da wurde mir bewusst, dass die Stimme in meinem Kopf war. Darwins Stimme, wie ich mit Verspätung bemerkte. Eilig schlich ich den Pfad nach oben. Dort an dem steinernen Treppenabsatz kauerte der Werwolf und suchte mit den Augen eine Fluchtroute. Ich duckte mich neben ihn und versuchte einen Überblick zu erlangen.

Das hier war sicherlich keine Übungstruppe. Sondern die Knights des Schlosses im Einsatz. Ich wollte Darwin unbedingt fragen, wie er das vorhin gemacht hatte. Doch es war einfach der falsche Zeitpunkt. Ich würde durch mein Gequatsche nur unnötig auf uns aufmerksam machen. Schließlich besaßen auch Vampire ein feines Gehör.

Der Werwolf deutete mit den Fingern eine Richtung an. Eine schmale Schneise zeichnete sich zwischen den Knights und ihren Gegnern ab. Nicht sichtbar, wenn man nicht darauf achtete. ‚Folge mir unauffällig.' Ich nickte. Geduckt wagten wir uns durch die Schneise. Die Ritter drängten die Eindringlinge weiter zurück. Dadurch entstand ein breiter Gang für uns. Darwin packte mich am Arm und rannte im Affenzahn los. Flucht war normalerweise nicht üblich für Werwölfe. Durch meine Wenigkeit blieb ihm kaum etwas anderes übrig. Viele Gänge und Abzweigungen später landeten wir in einem gläsernen Pavillon. Hier wartete bereits Trevor mit seiner Leibgarde. „Ihr habt ewig gebraucht.", bemerkte der Schlossherr ungerührt. „Wo ist Taylor?" Der Vampir antwortete nicht. „Ich gehe ihn suchen." Darwin gab mir einen Kuss und lief los. Ich blieb unter dem Schutz der Vampiren zurück. Ich fragte einen der Gardisten nach der Möglichkeit einer zweiten Fluchtroute. Er nickte. Das beruhigte mich zumindest ein bisschen. Meine Hoffnung wurde jedoch bald zerstört. Darwin kam auf uns zu. In seinem Arm ein schwankender Tristan. Aber kein Taylor in Sichtweite.

„Wo ist er? Wo ist Taylor?" Panisch hüpfte ich um den Wolf herum. Bis er mich in seinen Armen festhielt. Schweigend schaute er mich an. Er wirkte frustriert. „Ich konnte nur Tristan wegziehen. Taylor habe ich nicht zu fassen bekommen.", erklärte er geknickt, „Die Wachen haben die Verfolgung aufgenommen." Fassungslos starrte ich den Alpha an. Kein Wort wollte meine Lippen verlassen. Dabei türmten sich in mir so viele offene Fragen.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now