Vergangenheit - Teil 2

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„Du – du warst in den Jungen verliebt?" Seine Stimme klingt ungläubig. Ich denke, ich habe ihn noch nie so fassungslos gesehen.

Es fasziniert mich.

„Wieso ... warst du in ihn verliebt?"

Ich zucke mit den Schultern. „Er war anders. Ich dachte immer, dass er der einzige ist, der mich verstehen konnte. Doch dafür wurde er von den anderen Kindern und Erwachsenen komisch behandelt. Er tat mir leid."

„Du hast mit dem Jungen geredet. Nicht viel, aber mehr als die anderen mit ihm geredet haben." Er selbst beginnt in Erinnerungen zu schwelgen.

„Ja. Also eigentlich vermute ich es nur. Er stand seinen Bruder sehr nah. Durch Liu bin ich überhaupt aufmerksam auf ihn geworden."

„Wieso durch Liu?" Er scheint nun wirklich keine Ahnung zu haben.

„Eine Freundin von mir hat sich in ihn verliebt. Er ist mit demselben Bus wie sie immer zur Schule gefahren. Beide haben nie miteinander geredet, doch irgendwas muss sie an ihm faszinierend gefunden haben. Sie hat mich dazu gedrängt, ihn mit ihr auszuspionieren."

Er schweigt und hört mir aufmerksam zu.

„Wir sind oft auf einen hohen Baum geklettert, gegenüber von e-", ich stoppe, denn fast hätte ich mich versprochen, „gegenüber von seinem alten Wohnhaus. Wir dachten er würde uns dort nicht bemerken, wobei ich mir da nicht mehr ganz so sicher bin. Zwei Wochen, nachdem die Woods dort eingezogen sind, bin ich vom Baum gefallen. Ich habe mich auf einen Ast gestützt, der unter meiner Last brach. Der Aufprall auf den Beton des Bürgersteigs verursachte mir höllische Schmerzen. Die Mutter hatte draußen im Garten gearbeitet und hörte mein Schluchzen, worauf sie sich beeilte, zu mir zu kommen. Während die Mutter versuchte mich zu trösten, hatte meine Freundin sich hinter den Stamm hoch im Baum versteckt. Ich war wütend auf sie, doch ich verlor gegenüber der Mutter kein Wort."

„Ich erinnere mich.", flüstert das Monster ganz selbstverständlich. Gespannt sehe ich ihn an, doch weiter redet er nicht.

„Sie hat mich ins Haus getragen. In die Küche. Sie hat mich auf eine Arbeitsplatte gesetzt und gefragt wie ich heiße."

Da habe ich schon nicht mehr geweint. Ich mag es nicht, vor anderen Tränen zu vergießen. Ich fühle mich dann immer so ... schwach. Etwas was man sich in dieser Welt leider nicht erlauben darf. Denn die Schwachen werden ausgenutzt. Nur die Starken überleben, nur die am besten angepassten sind in einer Gesellschaft wie dieser Überlebensfähig. Survival of the fittest. Das habe ich im Biounterricht gelernt. Der Rest wird Selektiert. Wobei es jetzt eher weniger um die physische Anpassung geht, als um die psychische.

„Und geantwortet hast du mit: Wie der Teufel." Er spricht, als wäre er in Trance. Meine Augen reiße ich weit auf. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich daran erinnert, wenn ich mich schon selber kaum daran erinnere.

„Ja, das habe ich. Ich habe geantwortet mit einer Mischung aus Stolz und Scham. Und die Mutter hat gelacht und geantwortet: ‚Lucifer ist ein schöner Name. Aber sicher trägst du die weibliche Form oder?' Und ich habe genickt und gelächelt und dann habe ich ihn bemerkt. Den Jungen im Türrahmen, der mich so neugierig ansah. Sonst habe ich ihn nur in der Ferne mit seinem Bruder gesehen, als wäre er ein Schatten von Liu."

„Aber Liu war auch da. Wieder einmal war der Junge nur ein Schatten von ihm.", unterbricht er mich.

„Liu hatte ich erst bemerkt, als die Mutter ihn bat, einen kalten Wachslappen zu holen. Sie selbst ging los und holte einen Ärztekoffer und ich war mit den Jungen alleine."

„Und ich habe dich die ganze Zeit nur angestarrt. Bis ich gefragt habe, wie das passieren konnte."

„Und geantwortet habe ich mit: ‚Ich bin gefallen.' "

„Worauf ich dich mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen habe."

„Und ich gesagt habe: ‚Hast du denn noch nie von den Fall von Lucifer gehört?'"

„Und ich habe mit den Kopf geschüttelt."

„Worauf ich anfing zu erklären, dass Lucifer einst der schönste Engel von Gott war, bis er in Ungnade geriet und er fiel."

„Und ich habe dich gefragt: ‚Du siehst aus wie ein Engel, aber wieso solltest du fallen?'"

„Und ich blieb stumm, denn deine Mutter und dein Bruder betraten wieder die Küche. Deine Mutter gab mir ein Eis und ich wollte dir antworten, aber ich traute mich nicht."

„Weshalb du mir am nächsten Tag einen Brief in den Briefkasten geworfen hast." Seine Hand steckt er in seine Hosentasche und als er sie wieder herauszieht, kommt ein vergilbter und zerknitterter Zettel zum Vorschein. Er reicht ihn mir.

„Du hast ihn noch?", flüstere ich erstaunt. Mein Herz setzt aus. Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben. Zitternd nehme ich den Zettel entgegen und falte ihn behutsam auf.


>Weil ich nicht hineinpasse.<


Wieder und wieder lese ich die Wörter, die mein damaliges Ich mühevoll geschrieben hat. Dann sehe ich ihn an. Seine Augen treffen meine und wieder bleibt mein Herz stehen. „Du bist es.", flüstere ich. Auch wenn ich es zuvor schon wusste, wird es mir erst jetzt richtig klar.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Where stories live. Discover now