Wendung - Teil 2

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Ganz genau verfolgt das Monster mit seinem Blick das, was er verloren hat. Und es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.
Es kostet ihn all seine Kraft seine Impulse - die alle so heftig auf ihn einströmen - zu unterdrücken. Und es ist die grausamste Art, wie man ihn quälen könnte. 
Jeder Schritt von ihr, der sie weiter von ihm distanziert, macht es ihm schwerer - unmöglicher - sich gerade jetzt so ruhig zu verhalten. Und er fühlt sich so Verraten, so belogen. 

Es ist mehr als nur Wut.

Es ist Enttäuschung.

Eine Enttäuschung, die er das letzte Mal gespürt hat, als seine eigene Mutter ihn hinrichten wollte.

Bitter.
Grausam.
Verlogen.

Ganz anders sieht der Polizist auf seine Tochter.
Glücksgefühle  - verbunden mit den Schmerzen ihres reinen Anblicks - durchströmen ihn. Es ist das Gefühl des Gewinnens. Das Wissen, dass er nach all den Jahren endlich einmal gegen dieses Monster gewonnen hat. Einen Triumph, der verbunden mit dem Überleben seiner Tochter sich nicht besser anfühlen könnte. Und als sie endlich bei ihm angekommen ist, will er nichts mehr als sie in seine Arme zu schließen, doch noch ist sie nicht in Sicherheit.

Zu aller erst muss er dafür Sorgen, dass sie aus diesem Gebäude verschwindet und sich auf den Weg ins Krankenhaus befindet.
Es hat höchste Priorität, an was anderes darf er gar nicht denken.

"Thomas, ich habe den Mörder in Visier und er ist Entwaffnet. Kannst du Lucia -" Die Stimme des Alten ist wieder klarer, auch wenn er verzweifelt versucht seine enorme Wut auf das Monster zu unterdrücken. Was würde er jetzt am liebsten mit ihm anstellen, was würde er jetzt tun, wenn seine Tochter nicht hier wäre.

"Ja, ich nehme sie.", sagt Thomas eilig, steckt seine Waffe weg und kommt auf Lucia zu. Sofort als er bei ihr ist, sackt sie zusammen. Es scheint, als hätten alle Kräfte sie verlassen. 

Hilflos.

Gerade so kann er sie auffangen. Mit beiden Armen drückt er sie gegen seine Brust, um ihr ein wenig Halt zu geben. Dabei versucht er behutsam keinen Druck auf ihren Rücken auszuüben, denn weiß er noch nicht, wie schlimm ihre Verletzungen sind, gar woher das Blut eigentlich stammt. Unbeholfen bemerkt er die Tränen, die dem Mädchen über die Wange laufen und Schuldgefühle breiten sich in ihn aus, wie er auch nur eine Sekunde daran denken konnte, seinem Freund nicht geholfen zu haben.
Es war die richtige Entscheidung hier her zu kommen.
Es war die richtige Entscheidung Lucia zu retten.

"Hey-hey. Nicht weinen Kleine.", spricht Thomas fürsorglich. "Wir sind hier. Ich rufe jetzt Verstärkung und dann bringe ich dich hier raus. Jetzt wird alles wieder -" Thomas stolpert über das Wort 'gut'. Kann er das so einfach sagen? Schließlich weiß er es nicht. Er weiß nicht, was das Mädchen die ganze Zeit durchmachen musste und ob sie sich jemals davon erholen wird. "- wieder besser." Beendet er schließlich den Satz.
Er kann ihr keine falschen Versprechungen machen.

Bei seinen Worten beginnt Lucia unruhig zu werden.

Sie weiß ganz genau was das Bedeutet. Welche Bedeutung seine Worte für Jeffrey haben werden.

Lucia kennt Thomas von Geburt an. Er ist der engste Vertraute ihres Vaters. Er ist der Onkel, den sie nicht hat. Er hat damals dafür gesorgt, dass ihre Eltern sich kennen lernen. Ohne ihn wäre sie also  wahrscheinlich nicht geboren wurden.

Umso schwerer fällt ihr die Entscheidung, die Lucia im Unterbewusstsein gefällt hat, als sie Jeffrey nicht das Messer gegeben hat.
Als sie sich dazu entschieden hat, das Messer zu behalten. Und noch immer sind ihr die Konsequenzen nicht klar.

Dennoch tut sie es.

Es ist eine mechanische Bewegung, als sie sich an Thomas krallt und das Messer in sein Rücken stößt. Eine kleine mechanische Bewegung, die alles verändern wird. Denn sie trifft ihn nicht irgendwo, sondern direkt ins Herz.
Ganz automatisch greift sie nach der Waffe in Thomas Halfter, als dieser beginnt in ihr Ohr zu husten. Nun ist es ist nicht mehr er der sie aufrecht erhält. Denn verzweifelt klammert sich Thomas nun doch an Lucias Rücken, doch die Schmerzen bemerkt das Mädchen gar nicht. Sie ist wie in Trance.

Mit einer leichten Bewegung löst sie Thomas von sich und wie ein weit entfernter Betrachter sieht sie zu, wie er langsam zu Boden sinkt. Als wäre es nicht sie, die das gerade getan hat. Erst als sein Blick - erschrocken, ungläubig, vorwurfsvoll - ihren trifft, scheint sie aufzuwachen.

Lucias Sicht

"Thomas! Lucia, w-was hast du gemacht?", höre ich meinen Vater im Hintergrund schreien. Doch noch immer kann ich mein Blick nicht abwenden. Abwenden von diesen leeren, vorwurfsvollen Augen. Die Sekunden, in denen das Leben aus ihnen weicht, fesseln mich als wären es Stunden. 

Ich bin gefangen.

Erst als der Körper komplett reglos am Boden liegt, schaffe ich es meinen Blick abzuwenden. Und ich sehe zu meinen Händen, die Blutverschmiert sind und wie die eine die Schusswaffe hält und die andere das Messer.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich das Messer aus seinem Leib gezogen habe.

"Lucia!", schreit mein Vater wieder. Und sofort schnellt mein Kopf zu ihm. Noch immer hat er die Waffe auf Jeff gerichtet, noch immer empfindet er ihn als gefährlicher. 

"Lass die Waffen fallen, Lucia.", spricht er, als wäre er in einen Albtraum gefangen. Seine beiden Arme zittern. Ich weiß, dass er Jeff erschießen will.

"Nein.", spreche ich mit ruhiger Stimme. Ich hebe meinen Arm mit der Pistole und richte sie auf meinem Vater. "Lass du deine Waffe fallen." Ich fühle mich wie eine Statue.

"Lucia, bitte." Tränen strömen über die Wangen meines Vaters, sein Gesicht zu einer Trauernden Grimasse verzogen. 

"Lass die Waffe fallen Dad. Und das Funkgerät. Und deine Autoschlüssel.", angestrengt versuche ich ihn anzulächeln. "Versuche einfach nach Hause zu kommen und lass uns gehen." 

Langsam legt er die von mir geforderten Gegenstände zu seinen Füßen. Mit leichten Tritten befördert er sie zu mir. "In ein paar Tagen ist Weihnachten, Lucia. Deine Schwester wird kommen. Komm du auch.", fleht mein Vater. Seinen Arm streckt er nach mir aus.
Ich müsste ihn einfach nur nehmen.

"Es tut mir Leid.", flüstere ich und schüttle leicht mit meinem Kopf. "Es geht nicht." Schlagartig überzieht Kälte meinen Körper. Alle meine Härchen stellen sich auf und meine Gliedmaßen fangen an zu zittern. Ich merke wie ich schwächer werde und Spüre die neuen Narben auf meinen Rücken. Schmerzen, die mir die ganze Zeit verwehrt gewesen waren.

Ich spüre, wie das Adrenalin langsam meinen Körper verlässt.

Ich merke, wie ich müde werde.
Wie meine Beine mich nicht mehr halten wollen.
Wie sich eine Träne aus meinen Auge stiehlt.
Ich bin erschöpft.

Und auf einmal steht Jeffrey vor mir. Er hebt die Pistole, die Schlüssel und das Funkgerät auf und drückt mich an sich. Drückt mich fest an seine Brust.

"Gehen wir.", murmle ich. Eingekuschelt an seinen Pullover. Ich will nicht mehr an diesen Ort sein.

"Ja.", sagt er ohne Emotionen. Doch in seinen Augen geht mehr vor. Aber darauf ansprechen kann ich ihn nicht. Nicht hier. 

Und meine Füße bewegen sich Richtung Ausgang.

"Warte Lucia!", schreit mein Dad wieder. "Wieso?"

Für einen Augenblick bleibe ich stehen. Das hat er verdient. Er ist es Wert, dass ich mich für meine letzten Worte an ihn umdrehe. Ich starre ihn stumm an, bevor mir die richtigen Worte einfallen. "Er ist jetzt mein zu Hause." Und wieder zwinge ich mich eine Sekunde zu lächeln. "Ich hab dich lieb, Dad. Dich und Mom." Und ich schlucke, denn die Wörter kommen schwerer über meine Lippen als gedacht.

Schnell sehe ich zu Jeff und dann wieder nach vorne. Während wir gemeinsam in die Freiheit laufen und meinen Vater hinter mir lassen, ringe ich um fünf weitere Worte. Fünf Worte, die für Jeffrey wichtig sein könnten. Und ich sage sie mit fester Stimme.
"Ich hätte dich nie verraten."

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt