Kunstwerke - Teil 1

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Unsere Deutschlehrerin kam erst am Ende der Stunde wieder ins Klassenzimmer. Sie tat so, als wäre alles in bester Ordnung und als wäre nichts weiter vorgefallen.
Mich wunderte es nicht weiter. Ich wusste, dass es noch ein Nachspiel für mich geben würde.

Zu der Naturwissenschafts-AG erschien ich nicht. Ich hatte mich am Anfang des Schuljahres freiwillig angemeldet, doch verspürte ich keine sonderlich große Lust über Alkane, Alkene und Alkine zu sprechen. Ich verbrachte die Zeit in der Schulbibliothek. Statt jedoch zu lesen, setzte ich mich in einen der Sessel und starrte die Wand an.

Ich dachte nach.
Ich dachte über die letzten Wochen nach.

Nachdem die Siebte und Achte Stunde überbrückt waren, ging ich zur Sporthalle. Vor der Halle traf ich Elina, sie hatte den gleichen Sportkurs wie ich gewählt. Zusammen gingen wir rein und zogen uns unsere Sportklamotten an. Eineinhalb Stunden wurde Badminton gespielt. Bis das letzte Mal an diesem Tag die Pausenglocke ertönte und wir nach der Zehnten Stunde endlich nach Hause entlassen wurden.

All das passierte, als wäre ich gar nicht selbst beteiligt gewesen. Als wäre ich nur ein Zuschauer meiner Selbst gewesen.



Inzwischen sitze ich an meinem Schreibtisch. Mit meinem Finger tippe ich immer wieder auf das helle Holz. Mir ist langweilig. Ich weiß nichts mit mir anzufangen.

Ich könnte rüber zu Elina gehen und den Abend mit ihr verbringen, doch wirklich Lust habe ich dazu nicht. Ich könnte meine Hausaufgaben bearbeiten, aber das will ich nicht. Ich sehe keinen Sinn dahinter, mir in meiner Freizeit Mathe, Geschichte und Erdkunde reinzuprügeln, wenn ich das doch später eh nicht brauche.

Vor paar Wochen habe ich es geliebt.
Ich habe es geliebt zu lernen.
Geliebt mein Wissen zu erweitern.

Aber was bringt es, wenn ich dahinter keinen Sinn mehr sehe?

Irgendwann liege ich in einer Kiste und da brauch ich das Wissen garantiert nicht. Nicht mehr.

Ich könnte doch ...

Ich stehe auf und gehe zu meiner Kommode. Ich öffne die oberste Schublade und hohle Farben und Pinsel raus. Unter meinem Kleiderschrank ziehe ich eine neue Leinwand hervor und drapiere sie auf dem Boden, wo ich Schmierblätter runtergelegt habe.

Ich könnte mein Kunstprojekt fertig machen. Ich könnte es anpassen.

Meine Haare knülle ich zu einem Dutt zusammen. Ich ziehe ein altes Hemd meines Vaters über und schiebe die Ärmel nach oben. In der Hocke sitze ich vor der leeren Leinwand.

Aber was soll ich zu meinem Thema machen?

Wir sind von unserer Lehrerin freigestellt wurden, welches Thema wir wählen. Ihre einzige Voraussetzung war, dass wir Ölfarben verwenden. Eigentlich war ich schon fertig, denn morgen ist der Abgabetermin. Doch ich kann mich nicht mehr damit identifizieren. Meine erste Arbeit ist nicht mehr von mir.

Ich kaue auf meinen Lippen. Welche Arbeit wäre nun wirklich meine Arbeit?
Ich lasse mir Zeit zum Überlegen. Wechsel immer wieder meine Sitzposition und rühre ständig neue Farben an.

Dann denke ich wieder an den heutigen Tag.
Denke daran, wie ich in der Bibliothek saß.
Denke daran, wie ich da an die letzten Wochen gedacht habe.
Denke daran, wie ich mich in den letzten Wochen gefühlt habe.

Denke an ...

Den kleinen Prinzen. An die verlorenen Jungs. An die Krankenschwester.

Denke daran, wie mir die Luft zum Atmen wegblieb.

Denke an meine Kindheit, meinen Erinnerungen. An den kleinen Prinzen und Peter Pan. Wie die Geschichten den Drang nach Freiheit in mir auslösen. Wie sich die Bilder meiner Kindheit mit denen der Bestrafung von Jeff vermischen. Wie die Krankenschwester mich verfolgt und mich umbringen will. Wie ihre leeren Höhlen mich anstarren und mich verurteilen. Wie sie mir zeigen, wie ich und meine Liebsten enden werden.

Denke daran, dass ich schuld an alldem bin.

Schuld.

Und fange an, an meine Albträume zu denken.



Allwissende Sicht

Der Körper des blonden Mädchens bebt. Ihre Haut wird jede Minute blasser und kühler. Sie ist kurzatmig. Sie selbst bekommt von alldem nichts mit. Zu sehr ist sie in ihren schrecklichen Gedanken versunken.

Es dauert eine ganze Zeit, bis zu einen der Pinsel greift. Doch bevor sie den ersten Strich setzten kann, legt sie ihn wieder weg. Entschlossen streicht sie mit ihrer Hand über die Farbe und beginnt die Leinwand in dunklen Tönen mit ihren Händen zu grundieren. Als sie fertig ist, schnappt sie sich weitere Leinwände und tut es denen gleich. Zwischendurch wischt sie sich mit ihren verschmierten Händen durch das Gesicht und ihren Haaren. Das sie dabei die Farbe auf ihren Körper verteilt ist ihr gleich. Sie ist viel zu fokussiert auf ihre Arbeit. Auf ihre Gedanken.

Denn ihre Gedanken malt sie nieder.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon