Dank dir

1.5K 160 17
                                    


Als ich zurück in meine Klasse komme, werde ich von allen Seiten angestarrt. Der Lehrer will mir gerade etwas sagen, doch da scheint er meine verletze Wange zu bemerken. Schnell schließt er seinen Mund wieder. Wortlos gehe ich zu meinem Platze und setze mich. Es dauert einige Sekunden, bis die unruhige Stille bricht, als unser Mathelehrer das Wort erhebt. Ohne weiter auf meine Abwesenheit einzugehen, fährt er mit der Behandlung des neuen Themas Stochastik fort.
Beim Klang der Pausenglocke springe ich von meinem Platz auf, schnappe mir meine Jacke und die schon vorher zusammengepackten Sachen und stürme nach draußen. Damit weiche ich von meiner Gewohnheit ab, auf Lilli und Ben zu warten, damit wir zusammen zum Erdkunderaum laufen können.

Ich brauche einfach frische Luft.

Und kann dabei nicht von ihnen umgeben sein. Ich kann es nicht ertragen, immer so tun zu müssen, als wäre alles okay.

Nicht jetzt.

Die Bäume stehen fast alle komplett nackt da, lassen die Welt ein wenig grauer wirken. Der Himmel ist zugezogen, aber obwohl die Wolken so schwer scheinen, regnet es nicht. Das einzige Leben, welches auf dem Schulhof herrscht, ist das Gekreische der Fünft- und Sechstklässler, die laut Schulordnung ihre Pausen draußen verbringen müssen. Einige Mädchen spielen Eierhüpfen, die meisten Jungs Fußball. Paar Gruppen stehen am Rande und reden, einige haben auch ihr Pausenbrot mit rausgenommen. Früher habe ich es gehasst, meine Pausen draußen verbringen zu müssen. Meistens habe ich mich daher in die Bibliothek der Schule verschanzt und in Bücher geblättert, ohne sie richtig zu lesen. Heute würde ich gerne wieder so klein sein, bloß diesmal mit meinen Freunden draußen aktiv werden.

Ich verlasse den Schulhof über einen kleinen Trampelpfad, meinen Rucksack nur über eine Schulter hängend. Ich kann mich nicht ausruhen, wenn ich bei der Lautstärke nicht einmal meine eigenen Gedanken hören kann. Eine Bäume-Ansammlung umgibt mich, die zu groß ist, um sie nur als Wall zu bezeichnen, aber zu klein, um es Wald zu nennen. An den meisten Tagen wird der Pfad immer überwacht von der Pausenaufsicht (Schüler dürfen das Schulgelände vor Schulschluss nicht verlassen, außer zur Stundenpause von den Oberstufenschülern), zwei/drei Lehrer machen sich jedoch nichts daraus und das ist heute auch mein Glück. Ich laufe solange, bis ich den Pausenhof nicht mehr sehe, die Rufe der Kinder dennoch hören kann. Ich will nicht zu nah oder zu weit entfernt sein.

Ich lasse die Tasche von meiner Schulter rutschen und lehne mich gegen einen größeren Baum. Mein Handy ziehe ich aus meiner Jackentasche und überprüfe die Nachrichten.
Ich habe eine Nachricht von Ben – wo ich denn sei – doch ich antworte ihm nicht. Von Jeffrey habe ich keine.

„Du hast gleich Unterricht.", reißt mich seine Stimme in die Wirklichkeit.

„Seit wann bist du hier?", frage ich verwundert und sehe mich nach ihn um.

„Ich bin seit der Nacht meistens in deiner Nähe." Ich höre hinter mir die Blätter auf den Boden rascheln. Sofort drehe ich mich um. Mein Herz hämmert unüberhörbar in meiner Brust. Die ganze Kraft meiner anderen Muskeln scheint sich dort zu versammeln.

„Wirklich?"

„Warum vertraust du nie meiner ersten Antwort und hinterfragst immer alles, Mal'ach?" Er stellt sich direkt vor mir. Seine Hand hebt meinen Kopf an, so dass ich zu ihn hinaufschauen muss.

„Ich ..." Ich brauchte die Bestätigung. „Ich wollte es ein zweites Mal hören. Vielleicht verhöre ich mich ja."

In seinen Augen ist etwas, was ich nicht deuten kann. Der Daumen seiner Hand unter mein Kinn streicht über meine Wange. Erst als ich es brennen spüre, denke ich an meine zerschundene Wange. Ich habe ganz außer Acht gelassen, dass auch er mich so sehen wird.

Die zerkratze Wange drehe ich von ihm weg. Es ist mir unangenehm vor ihm.

„Wieso drehst du dich von mir weg?" Die gewohnte schärfe klingt seiner Stimme mit bei. Mit einem Ruck dreht er mein Gesicht wieder zu sich. Sein Griff ist nun härter.

„Ich will nicht, dass du mich mit den frischen Wunden siehst.", sage ich. Ich habe wieder Angst, etwas Falsches zu sagen.

Er schnaubt. „Warum?" Während er auf meine Antwort wartet, streicht er mit seiner freien Hand über mein Rücken. Sofort schießen mir seine Worte wieder ins Gedächtnis.

Du gehörst mir Mal'ach.

„Weil ich will, dass du mich weiterhin schön findest." Es ist das Ehrlichste, was ich je zu ihm gesagt habe. Und ich merke es erst, als die Worte bereits meinen Mund verlassen haben. Ich will, dass er mich schön findet.

Ich brauche es.
Denn ... wenn er es nicht tut ... wen soll ich dann glauben?

Ich schließe meine Augen aus Furcht. Nicht die Furcht vor ihm direkt, sondern vor seiner Antwort.

„Mal'ach. Sieh. Mich. An."

Ein Wimpernschlag und seine Eisblauen Irden fesseln wieder meinen Blick.

„Mal'ach, sie mich an. Schau dir meine ganzen Narben an. Unzählige ... du würdest sie nicht alle zählen können. Du warst schön. Du bist schön. Diese Narben werden dich noch einzigartiger machen." Wieder streicht er über meine Wange. „Genau wie die Narben auf deinen Rücken. Und all die, die noch kommen werden." Es ist eine zärtliche Drohung. Ich schwanke zwischen Geborgenheit und Sorge. „Abgesehen von deiner äußeren Schönheit, ist es die innere, die dich für mich so anziehend macht."

Geborgenheit.

Und so stehen wir eine Weile da, bis die Pausenhoflaute verebben.

„Du hast gleich Unterricht.", wiederholt er seinen ersten Satz zu mir.

„Ich weiß.", spreche ich abwesend. Unser Blick bricht noch immer nicht.

Ich sehe wie sich sein Adamsapfel bewegt. „Du solltest zurück." Sein Daumen fährt wieder über meine Wange.

„Das sollte ich, ja." Doch ich rühre mich nicht.

„Und warum machst du dich dann nicht auf den Weg?"

Ich ziehe meine Schultern kurz nach oben. Richte mein Gesicht auf meine Schuhe. „Jetzt würde ich sowieso zu spät kommen. Dann hätte ich wieder die gesamte Aufmerksamkeit meiner Mitschüler."

„Andere stehen gerne im Mittelpunkt."

„Ich nicht." Ich presse meine Lippen zusammen.

„Wieso hast du dich bei mir Bedankt?", wechselt er das Thema. Seine Stimmlange ist plötzlich ganz anders.

„Was?" Er hat seinen Kopf leicht schief gelegt.

„Deine SMS. Du hast mir ‚Danke' geschrieben. Doch wofür?"

„Achso, ich -", ich bin von der Frage ein wenig überfordert, „ich -", schwer atme ich aus. „Fand es war an der Zeit."

„Das Beantwortet noch immer nicht meine Frage." Sein Daumen übt Druck auf meine Wunde aus.

„Ich wollte dir Danke sagen, weil ... du der Erste bist, dem ich glauben kann, wenn er von Schönheit redet. Du bist der, der mir gezeigt hat, dass auch ich schön bin. Du hast mir eine ganz neue Welt eröffnet."

Mit seiner Hand lässt er von meinem Gesicht ab. Er lächelt mich an. Mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln. „Du bist die Erste – abgesehen von mir selbst – die auch meine Schönheit erkannt hat. Ich danke dir Mal'ach."

Ich schlucke. Und bin glücklich. Und weiß nichts mehr.

Ich weiß nicht mehr, weshalb ich ihn als Monster bezeichnet habe. Ich weiß nicht, wieso ihn andere als ein solches darstellen. Ich wüsste nicht, wie er für mich eins werden könnte.

Ich weiß es nicht.
Und ich will es nicht wissen.

Nicht mehr.


Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt