Vereint

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Meine Stimme ist verschwunden. Mit meinen Lippen forme ich stumm seinen Namen, während er plötzlich seine Hand von meiner Wange nimmt und sie betrachtet. 

Nein.
Er betrachtet nicht seine Hand, er betrachtet den Tropfen auf seinem Finger.

Den Tropfen, der meine Träne ist.

Mit einer schnellen Bewegung lasse ich ab von meinem Hals und wische mir mit der Rückseite meiner Hände über meine Wangen, doch immer mehr Nass strömt an ihnen entlang.

Und es stolpert.
Und schlägt wie wild.
Und lässt all mein Gefühle kollabieren. 

Ich räuspere mich, merke wie sich meine Wangen und meine Nase rot färben und will mich wegdrehen, damit er mich in diesem Gefühlschaos nicht erleben muss. Doch bevor ich irgendwelche Anstalten machen kann, werde ich von ihm an seine Brust gezogen. Seine Arme umschließen, umhüllen, beschützen mich. Lassen mich nicht los und halten mich, so dass ich meinen zittrigen Beinen nachgeben kann. Mein Gesicht vergrabe ich in seinen Pullover und sein vertrauter, erdiger Geruch umgibt mich. Meine Finger finden Halt an eben diesen Stoff. Nein. Ich klammere ihn so an mir, damit er nicht schon wieder verschwinden kann. Denn die Angst - er könne mich verlassen - bleibt.

Und es stolpert.
Und schlägt wie wild.
Und lässt die Angst ins Unterbewusstsein sickern.

Als mich meine Beine gar nicht mehr halten, sinkt er mit mir in dieser Umarmung zu Boden. Dann lockert sich seine Umarmung leicht - schließlich muss er mich nicht mehr auf den Beinen halten - und dennoch ist er mir näher als zuvor.
Seine Stirn an meiner und unsere Blicke vertieft ineinander.

Und es stolpert.
Und schlägt wie wild.
Und lässt mich für den Moment frei Atmen.

Denn wir sind vereint.


Und dann höre ich den Knall.

Es geschieht ohne Vorwarnung, ohne, dass ich damit gerechnet hätte.
Doch das hätte ich müssen. Schließlich ist das alles meine Schuld.

Den Schmerz spüre ich nur langsam aufkommen. Ein pochendes, brennendes Gefühl, welches nach und nach intensiver wird, bevor die Datenverarbeitung meines Gehirns richtig funktioniert.

Ein vertrauter Schmerz, der mir schon so lange verwehrt gewesen ist. Mit meinen Fingerkuppen streiche ich sanft über die erhitzte Stelle meiner Wange.

"Du hast mich warten lassen.", knurrt er mit seiner tiefen Stimme. "Es war riskant auf dich zu warten." Sein Zorn ist unverkennbar.

"Du hast mir doch die Wahl gelassen.", kommt es kleinlaut über meine Lippen, bevor ich über meine Worte richtig nachgedacht habe.

Wieder. Ein Knall.  Das Schellende Geräusch von seiner Hand auf meiner Haut.

"Ich rede von deiner Nachricht!", brüllt er. "Ich bin gekommen um dich zu hohlen, aber du bist nicht erschien." Seine Augen blitzen gefährlich auf.

Meine Nachricht. Die ich ihm von meinem Handy geschickt habe. Er hat tatsächlich darauf reagiert. Er wollte mich hohlen. Er hat mich nicht im Stich gelassen. All meine Zweifel waren umsonst.  Nur hatte ich zu dem Zeitpunkt mein Handy nicht mehr.

"Du wolltest mich tatsächlich zu dir hohlen.", flüsterte ich mir selber zu.

Und es stolpert.
Und schlägt wie wild.
Und lässt mich eine Wolke höher schweben.

"Nein, nein. Das ist ein Missverständnis!" aufgrund der ganzen Glücksgefühle ziert ein dämliches Grinsen mein Gesicht.

Doch bevor ich die Situation erklären kann, spüre ich seine Hand zum dritten Mal.
Und es ist nicht negative.
Es ist der Beweis, dass er tatsächlich vor mir kniet. Das er tatsächlich da ist. Dass das alles nicht nur ein Gehirn-Gespinst ist. 

"Jeffrey.", sage ich bestimmt und verhindere so einen vierten Schlag. Namen haben Macht. "Ich wollte das du mich hohlst. Ich habe auf deine Antwort gewartet. Doch bevor ich eine erhalten habe, hatte ich mein Handy schon nicht mehr. Und keine Nummer von dir. Ich war die ganze Zeit total fertig und habe gehofft, dass du zu mir kommst und habe mir ausgemalt, dass du mich nicht mehr haben möchtest. Und ich war so glücklich, als ich das kleine Büchlein und deine Nachricht gefunden habe."

Er atmet tief ein und aus. Ich nutze den Moment, um nach seiner Hand zu greifen. "Jetzt sind wir doch wieder zusammen.", murmle ich und starre auf unsere verschlungenen Hände. 
Auch sein Blick senkt sich, bis seine Stirn wieder an meiner liegt.

Und es stolpert.
Und schlägt wie wild.
Und lässt mich das Glück fühlen.

"Ja.", sagt er ebenso leise wie ich. Seine Hand drückt er fest zusammen, sodass meine Haut unter seiner Berührung weiß wird. "Ja.", murmelt er wieder.

Und ich nicke leicht.
Glücklich.
Auf meiner Wolke.
Mit freiem Atem.
Der Angst nicht im Fokus.
Mit kollabierten Gefühlen.
Vergessenen Kummer.
Erschütterten Körper.

Vereint.


Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt