Sternhimmel

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Ich habe ihm geschrieben.

Und jetzt.

Jetzt muss ich nur noch darauf warten, dass er meine Nachricht liest, mir eventuell antwortet und er mich abholen kommt.

Drei kleine Schritte.

Die meine Geduld zerreißen.

Und Zweifel hervorhohlen.

Ist er überhaupt noch Besitzer dieser Nummer? Wird er mir antworten? Holt er mich direkt ab, sodass ich mich gar nicht mehr von meinen Liebsten verabschieden kann?

Mit der Faust schlage ich mir gegen meinen Kopf.  Was denke ich da. Ich werde mich so oder so nicht verabschieden können. Das würde nur Fragen aufwerfen. Außerdem würden meine Eltern mich sowieso nicht gehen lassen.

Kraftlos sinke ich zusammen. Es ist die richtige Entscheidung. Es ist die beste Entscheidung. Es ist die einzige Entscheidung, die ich hätte treffen können.
Und dennoch verlangt sie alles von mir ab.

"Lu?", höre ich meinen Vater vor meiner Zimmertür sagen. Leise klopft er an und öffnet sie dann. "Was liegst du denn da auf den Boden?" 

Resigniert atme ich aus. Meinen Arm strecke ich in die Höhe und zeige auf meine Zimmerdecke. "Ich beobachte die Sterne." Erst dann lasse ich den Arm wieder neben meinen Körper fallen.

"Da fällt mir ein, du wolltest die Decke doch immer neu streichen." Auch er schaut nun an die Decke zu den Sternen, die meine Schwester mit mir vor ein paar Jahren rangemalt hat und sich in bunter Vielfalt über mein Zimmer erstrecken. "Sollen wir das demnächst angehen? Ich bin ja noch Krankgeschrieben." Ich höre das Lächeln und die Verzweiflung aus Dads Stimme heraus. Er ist ein Arbeitstier. Er kann nicht ohne seine Arbeit. Vor allem nicht jetzt, nachdem Jeffrey in angegriffen hat.

Schon immer war er besessen von diesem Fall. 

"Nein, schon gut.", lehne ich ab. "Ich mag den Sternhimmel." Meine eigenen Worte erstaunen mich. Denn erst durch diese Worte wird mir bewusst, dass ich tatsächlich so empfinde. 

"Das klang aber vor einiger Zeit noch anders." Mein Vater kommt zu mir und setzt sich neben mich auf den Boden.

"Das stimmt.", spreche ich langsam und schaue zu meinem Vater. "Aber ...", ich suche nach der richtigen Beschreibung, "er erinnert mich an eine einfachere Zeit. Nein, nicht eine einfachere Zeit. Sondern an eine Zeit, in der sich alles so viel leichter für mich angefühlt hat." Bei der Erinnerung muss ich tatsächlich schmunzeln. Seit wann habe ich diese Sichtweise? 

Alen und ich waren an den Tag alleine zu Hause gewesen. Jedenfalls fühlte es sich für mein Siebenjähriges Ich so an, da mein Großvater auf der Couch im Wohnzimmer eingeschlafen war. Alen war krank und sauer, dass sie nicht bei der Übernachtungsfeier von ihren Freundinnen dabei sein konnte und sie so auch die Nachtwanderung verpassen würde. Sie liebt es einfach die Sterne zu beobachten.
Darauf kam ich auf die Idee, ihr den Nachthimmel zu ihrem Zimmer zu bringen. Doch das wollte sie nicht. Denn ihr Zimmer sollte nicht mit irgendeiner Farbe angemalt werden. Also bot ich ihr mein Zimmer an. Schließlich war ich der Meinung, dass so ein paar Sterne nichts ändern würden. Außerdem wollte ich für sie da sein, so wie sie für mich immer da war, wenn ich Krank war. Und dien ganzen Abend verbrachten wir schließlich damit, Sterne in allen Farben aus meinem Tuschkasten an meine Zimmerdecke zu malen. Anschließend haben wir unter "freiem Himmel" übernachtet, bis unsere Eltern uns geweckt haben.
Damals war ich so stolz auf das Ergebnis. Mit meiner kindlichen Faszination habe ich einfach übersehen, dass die Sterne alles andere als perfekt sind.

Aber ... jetzt wird mir klar, dass ...

das sie Perfekt sind.

Und ich habe die letzten Wochen gebraucht, um diese Tatsache zu erkennen.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora