Schreien, schluchzen, schlagen

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Es fühlt sich an, als läge mein Herz in meinen Magen. Meine Gedanken sind ein Wirrwarr, unverständlich für andere, falls ich sie in Wörter fassen müsste und vor allem unverständlich für mich. Meine ganze Welt wurde innerhalb weniger Tage auf den Kopf gestellt. Ich fühle mich, als wäre ich eine andere Person, als hätte ich die Rolle mit jemand anderen getauscht. Unfreiwillig.
Meine Ärmel ziehe ich über meine Hände und wische mir damit meine Tränen weg. Ich will mich unter meiner Bettdecke verstecken und all meinen unverständlichen Gefühlen entkommen.
Die Fahrt über versucht keiner von uns beiden die Stille zu brechen. Immer wieder wiederhole ich gedanklich seine Worte. Wieso meinte gerade er, dass er mein Wesen erfassen kann? Wieso fühlt es sich so gut an, seiner Stimme zu lauschen? Wieso überfällt mich immer wieder der hinterhältige Gedanke, dass er mich wirklich versteht?
Alles Fragen, die ich von mir schütteln möchte.
An einem Haus am Stadtrand, kommt der Wagen schließlich zum Stehen. Ich warte auf ein Zeichen von ihm, dass ich mich rühren kann, aber es kommt keins.

„Erinnerst du dich wieder an Billys Geburtstag?", fragt er nachdenklich.

Angespannt starre ich ihn an. Wieso ist es ihm so wichtig? „Nein. Ich hatte noch keine Gelegenheit, dass Video zu sehen oder mit meiner Mutter darüber zu reden. Sie wollte es aber noch."

„Was ist dir geblieben von deiner Erinnerung?"

Ich kneife meine Augen zusammen. „Wie meinst du das?"

„Naja, die haben es bestimmt nicht geschafft, alles zu verdrängen. Was weißt du noch?"

„Moment.", meine Stimme klingt misstrauisch, „wen meinst du mit die?" Ich halte die Luft an und zähle in Gedanken bis Zehn.

„Die Psychiater, zu denen du, sowie auch die anderen Kinder auf den Geburtstag geschickt wurden."

Was?
Mein Hals ist ganz trocken. „Ich war noch nie bei einem."

„Doch. Du erinnerst dich anscheinend nur nicht mehr dran. Ich habe deine Krankenakte gelesen. Sowie auch die, der anderen Kinder. Es ist eine Schande, dass alle versuchen meinen großen Tag zu verbergen. Also – an was erinnerst du dich?" Der Unterton, der in seiner Stimme mitschwingt, gefällt mir nicht. Eine Gänsehaut breitet sich in meinen Nacken aus.

„Ich -", ich schließe meine Augen und rufe die Szene wieder vor mein inneres Auge, „Ich erinnere mich an Joel. An das Gespräch, dass wir über ihn hatten. Ich erinnere mich an den Geruch des Essens, an die Cowboyhüte und an meinen Freund, der mit mir da war. Ich erinnere mich ... an einen Schuss. Das etwas Schlimmes passiert ist. Ich -", meine Stimme bricht, „habe keine Erinnerungen mehr. Die Blockade taucht wieder in meinen Kopf auf und ich öffne meine Augen.

Seine Sonnenbrille hat er ausgezogen, wie gelähmt sieht er mich an und ich blinzle einige Male, da mein Auge beginnt zu jucken. Wie auf einen Reflex reagiert er, denn er zieht ein kleines Fläschchen aus seiner Hosentasche und beginnt damit seine Augen zu bewässern.

„Erzähl du es mir doch. Sag mir, was damals geschehen ist.", fast flehend klingt meine Stimme.

Heftig beginnt er mit den Kopf zu schütteln. „Deine Mutter hat zu verantworten, dass du keine Erinnerungen mehr hast, also soll sie sie mit dir auch wieder erleben. Ich habe das Video extra auf eure Festplatte deponiert, damit ich es während ihr Fernsehen seht einfach anschalten kann. Dass ihr dann Kindervideos seht, die auf dieser Festplatte drauf waren, war echt ein Glückstreffer." Er redet, als wäre ich gar nicht anwesend. Als würde er sich selbst einen genialen Plan erklären.

In meinen Kopf schreie ich ihn an. Rede wütend auf ihn ein, schluchze und schniefe. Äußerlich bleibe ich ruhig.
Ich kenne sein Gemüht einfach nicht.
Ich will um mich schlagen. Ich will ihn schlagen.
Es wäre einfach göttlich.

Aber alles was ich tue, ist mir auf die Lippe zu beißen.

Stimmt es, was er sagt? Hat meine Mutter mich wirklich zum Psychiater geschickt? Hat sie es mir wirklich all die Jahre verschwiegen?
Ein Kloß bildet sich in meinen Hals.

„Folge mir."

Folge mir.
Folge mir.
Nein!
Nein!
Schreien, schluchzen, schlagen.

Aber ich folge ihn. Auch wenn mein Körper zittert. Auch wenn ich es nicht will. Ich folge ihm.
Ich habe Angst. Ich weiß, dass es nichts Gutes ist, nichts Gutes sein kann, was er mir zeigen möchte. Ich weiß es.
Mein Körper bebt und vor Furcht klammer ich mich an seinen Arm.
Auch wenn er es ist, vor dem ich Angst habe. Vor dem ich Angst haben sollte. Ich klammer mich an ihn, als wäre ich ein kleines Kind, das gerade aus einen Albtraum erwacht ist.

Als wäre er ein Halt in mein Leben.

Er reagiert nicht auf mich. Unbeirrte schreitet er weiter, Schritt für Schritt, die ich ihn nachtue. Weiter.
Wir betreten das Haus. Ein muffiger Geruch steigt mir in der Nase und ich beginne durch den Mund zu atmen. Sonst ersticke ich sicherlich.
Angst.
Meine Umgebung nehme ich kaum war. Die Treppe zieht er mich halb hoch, denn auf meinen Beinen stehe ich nicht mehr so sicher.

„Ich will keinen deiner Morde sehen.", sage ich instinktiv. Ich weiß, ich glaube es zu wissen, dass er mir das zeigen will.

Leises Lachen ertönt von ihm. Die letzten Stufen zieht er mich rauf.

„Ja oder nein?", frage ich. Meine Stimme ist das komplette Gegenteil zu meiner derzeitigen Verfassung.

Er zieht mich in seine Arme und hält sein Mund an meinem Ohr. „Es ist nur für dich.", haucht er.

„Aber ich will es doch gar nicht.", winsle ich.

Mit seiner Hand zieht er mein Gesicht zu sich nach oben, sodass ich mich nicht weiter in seinem Pullover verstecken kann.

„Wieso?"

„Weil du es dir verdient hast.", spricht er liebevoll. Mit der freien Hand öffnet er die Tür, an die er leicht gelehnt steht. Schnell rucke ich meinen Kopf zur Seite.

„Wieso?" Der Kloß im Hals lässt mich kaum sprechen.

„Als Strafe." Er lächelt süffisant, bevor er seine liebkosende Hand von meinem Kinn entfernt und mir ihr nun an meinen Haaren zieht. Hin in den Raum, unter den ich unter keinen Umständen möchte.

Aber ich muss.



Für einen Moment vergesse ich, dass es besser wäre, nur durch meinen Mund zu atmen. Und es ist ein Fehler.
Bestraft er mich, weil ich Billys Geburtstag vergessen haben?
Aber warum sonst? Was habe ich getan?
Der unangenehme Geruch von vorhin schlägt mir wieder entgegen, nur dieses Mal deutlich intensiver. Schweiß, Fleisch, Blut und Tod.
Trotz allen Befürchtungen, übergebe ich mich aber nicht.

„Sieh hin, Mal'ach.", befehlt er. Alles Liebevolle, jede Gnade ist aus seiner Stimme verschwunden.

„Zwing mich nicht.", bitte ich ihn, die Augen fest zugekniffen.

„Willst du, dass ich dir deine Augenlider wegbrenne?", droht er. Und ich weiß, dass er es nicht nur bei der Drohung lassen würde.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt