Auf unbegrenzte Zeit

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Es sind nicht viele Tage vergangen - so scheint es mir - als meine Eltern mir die 'frohe Botschaft' beim Abendbrot mitteilen. Sie haben einen Psychologen für mich gefunden. Vielleicht kein guter, wenn er so schnell für mich Zeit hat. Aber es ist egal. Einen Fremden werde ich sowieso nicht vertrauen. 

Niemanden werde ich vertrauen.

Oder es liegt am Geld. Schleicht sich ein weitere Gedanke in meinem Kopf. Daran, dass mein Vater Privatversichert ist. 

Bei der Mitteilung hätte ich mich fast an meinem Brot verschluckt. Meine Mutter hatte es ganz nebenbei erwähnt. als wäre es keine große Sache. Sie wollen mich damit nicht bedrängen, aber alleine durch die Tatsache, dass sie mich dahin schicken wollen, tuen sie es. Hastig habe ich weiter gekaut und den großen Klumpen runtergeschluckt.

Ich wollte es mir nicht anmerken lassen.

Sowie ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, dass mir das Essen schwer fällt. Jeden Bissen zwänge ich mir herunter. Und jede Mahlzeit werde ich nach unten gerufen. Meinem Vater ist sofort aufgefallen, dass ich abgenommen habe. Das ich in den wenigen Wochen einiges von meiner vorher eh schon schlanken Figur abgebaut habe. Nichtmal meine Mutter oder ich haben es bemerkt.

"Wenn ich zum Psychologen gehen werde, versprecht ihr mir denn etwas?", habe ich meine Eltern zwischen zwei Bissen gefragt. Es ist die einzige Reaktion, die ich ihnen auf die Neuigkeit gezeigt habe.

"Natürlich Püppi. Was willst du denn?" Meine Mutter hat gelächelt. Sie hielt es für ein gutes Zeichen. Sie hält alles immer als gutes oder schlechtes Zeichen. Sie sieht die Dinge nie neutral.

"Ich will, dass ihr Alen von Vaters Angriff erzählt. Ich musste es auch erfahren. Es ist unfair ihr es nicht zu sagen." Den letzten Rest an Brot habe ich mir in den Mund gestopft. Meinen Teller habe ich in die Spülmaschine eingeräumt.

"Aber sie kommt über Weihnachten doch hierher. Dann kann ich persönlich mit ihr darüber reden." Eine bessere Antwort fiel meinem Vater offensichtlich nicht ein.

"Trotzdem. Ich wäre auch sauer, würdet ihr mir so eine Sache verschweigen." Mit diesen Worten habe ich die Küche verlassen und bin in mein Zimmer gestürmt.


***


Angespannt sitze ich auf einen schicken Sessel. Er ist zu schick, als dass er bequem sein könnte. Meine Beine ziehe ich an meinen Körper heran, sodass meine Füße neben meinem Po platz finden. Mit den Fingern meiner einen Hand tippe ich auf meinem Knie, mit dem anderen Zeigefinger wickle ich immer wieder eine Haarsträhne hinter meinem Ohr auf. Solange bis eh weh tut. Solange bis ich wieder die Schmerzen spüre. 

Als sich die Tür öffnet schaue ich auf. Eine großgewachsene, attraktive Frau mittleren Alters betritt den Raum und kommt direkt auf mich zu. Ihre hellbraunen Haare hat sie zu einem strengen Knoten in ihrem Nacken befestigt. Keine Strähne löst sich aus ihrer Friseur, sowie ihr Make-up makellos aufgetragen ist. Als sie bei mir ist reicht sie mir die Hand. 

"Frau Dr. Meyer.", stellt sie sich mit einem offensichtlich aufgezwungenen Lächeln vor. Wortlos mustere ich sie ein paar Sekunden, bis ich meine Hand von meinen Haaren löse und ihre Hand schüttle. 

Als sie merkt, dass ich gar nicht vorhabe mich vorstellen, nimmt sie leicht schräg gegenüber von mir Platz.

"Lutzia, richtig?"

Mir juckt es in den Fingern sie zu verbessern. Luci-a, nicht Lutzia. Aber ich mache es nicht. Mein Name sollte für mich keine Rolle mehr spielen. Es ist ein Name, der nicht mehr zu mir passt. 

Anstatt auf ihre Frage zu reagieren, fange ich wieder an mit meiner Haarsträhne zu spielen.

"Okay." Sie presst ihre Lippen zusammen, räuspert sich kurz und schaut dann in ihre Akten, mit denen sie das Zimmer betreten hat.

Während sie die Akten so hält, fällt mein Blick auf einen goldenen Ring an ihren Finger.  Sie ist verheiratet. Ob sie wohl Kinder hat?

Ich hätte nicht gerne einen Psychologen als Ehemann oder Mutter. Jedes Wort würde analysiert werden, jede Gestik. Sie würden die Psyche des Menschen so gut verstehen, dass sie in jeder Situation perfekt reagieren. Sie würden nichts falsch machen, man selbst hingegen so viel. Es würde kein Streit geben, denn die Fehler würden sie verstehen. Fühlt man sich da nicht schlecht? Ist es nicht wichtig sich auch zu streiten? Die Wut an jemanden rauszulassen?

"Weißt du schon, was du nach der Schule mal machen möchtest?" Es ist nicht die Frage mit der ich gerechnet habe, aber vermutlich ist sie Klüger als die Gedachte. Denn wie viele sprechen schon direkt zu Beginn - ohne gute Überleitung - über ihre 'Probleme'?

Ich lege meinen Kopf etwas schief und schaue sie weiterhin an. Ob ich sie so wohl in den Wahnsinn treibe?  Ich hätte für sowas nicht die Geduld. 

"Okay. Ich verstehe." Sie schließt die hellbraune Akte und legt sie zur Seite. Ihre Beine überschlägt sie und ihre Hände faltet sie vor ihren Knien zusammen. "Du willst nicht mit mir reden. Du willst mit niemanden reden. Das würde ich an deiner Stelle auch nicht wollen.", sie unterbricht kurz und kratzt sich an ihrer schlanken Nase. "Gibt es denn etwas, was du lieber tätest?" 

Will sie mich so wirklich zum reden bringen? Mit der Masche 'ich bin wie du.'? Bei wie vielen hat es wohl geklappt?

Ich habe dafür wirklich keine Geduld.

"Hören sie.", ich setze mich gerade auf meine Sitzmöglichkeit hin. Stütze dann meine Ellbogen auf meinen Knien ab und falte meine Hände wie sie. "Sie liegen verdammt richtig. Ich hab kein Bedürfnis mit ihnen zu reden. Heute nicht, morgen nicht, oder sonst irgendwann. Sie können gerne versuchen ihre Tricks an mir anzuwenden, aber die ziehen bei mir nicht. Es ist also verschwendete Lebenszeit. Ich wollte nach der Schule immer einer Hilfsorganisation beitreten. Habe mich schon über eine gute in Indien informiert. Aber das steht vermutlich auch in ihren Akten. Wissen sie was? Sie sollten besser mit meiner Mutter oder meinem Vater über mich reden. Die haben viel mehr über mich zu sagen, als ich selbst. Oder meine Lehrer. Klassenkameraden gehen auch. Lukas würde ich vielleicht nicht Fragen, denn den hat irgendwann mal jemand richtig ins Gehirn geschissen." Der letzte Satz ist perfekt. Mehr muss und will ich dazu nicht sagen. Also höre ich meine Rede auf und setze mich wieder wie vorher auf den Sessel.

Gerade als ich sie ausgeblendet habe, fängt sie wieder an zu sprechen. "Hattest du schon öfter Konflikte mit diesem Lukas?" Sie scheint mich genau da zu haben, wo sie mich hinbringen wollte. Als würde ich das nicht wissen. Als wüsste ich nicht, dass ich ihr mit diesem Satz ein Leckerli vorgeworfen habe. 

Genervt drehe ich meinen Kopf in ihrer Richtung und zeige es ihr mit meinem Gesichtsausdruck.  Als sie etwas weiteres sagen will, schnaube ich und blende sie aus meiner Welt aus. Ich muss hier nur solange sitzen, bis die Stunde vorbei ist und meine Mutter mich abholt.

Und das zweimal die Woche. 

Auf unbegrenzte Zeit.

Nein, nicht unbegrenzte Zeit.

Bis ich mich ihr öffne und kein 'Problem' mehr habe.

Ich lache.

Ich habe mich nicht vertan. 

Ein innerer Film spielt sich vor meinen Augen ab, wie ich mit dieser Frau freudig-ironisch anstoße und wir uns beide lächelnd "bis auf alle Ewigkeit" zurufen. Im Hintergrund ist Feuerwerk zu sehen. Und ich trinke ein Schluck, denn das ist immer noch besser, als mit ihr über meine Situation zu sprechen.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Where stories live. Discover now