Vor ihm

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Noch am selben Tag wurde meine Mutter vom Direktor in die Schule gerufen. Er erzählte ihr einfach alles. Das ich meine Hausaufgaben nicht mehr gemacht habe, das ich unentschuldigt von der Schule fern geblieben bin, meine Aussetzer in Mathe, Kunst und Geschichte. Sogar die Bilder, meine Gedanken, zeigte er ihr. Die Konsequenz meines Verhaltens zog er schnell - hätte schon viel früher gezogen werden müssen. Ich wurde bis auf weiteres für unbegrenzte Zeit der Schule verwiesen. Nein. Nicht bis auf weiteres. Ich könne erst wieder zurück in die Schule, wenn ich mit einem Psychologen über meine 'Probleme' gefachsimpelt habe und ich mich selbst wieder unter 'Kontrolle' haben würde.

Gibt es einen Menschen, der sich immer unter Kontrolle hat? 

Meine Mutter will das alles nicht wahrhaben. Sie will die ganze Situation nicht verstehen. Schiebt das alles auf den Angriff von Vater, wie die Lehrer es zunächst auch gemacht haben. Selbst für meine verletzte Wange findet sie in diesem Moment eine Entschuldigung. Ich bin es, die sie beruhigen muss. Das alles wäre für mich nicht sonderlich schlimm gewesen, doch ...

Sie macht sich Selbstvorwürfe. 

Sie gibt sich die Schuld für mein Verhalten. Sie hätte mich vernachlässigt, weil ihre Gedanken sich nur um meinen Vater gedreht haben. Ihren Ehemann. Besten Freund. Die Liebe ihres Lebens. Gibt es da noch mehr zu sagen?

Sie soll sich deswegen nicht schlecht fühlen. Sie hat seit Vater im Krankenhaus liegt die Hölle auf Erden. Doch meine Worte helfen ihr nicht.

Und so nehme ich sie still in den Arm.
Es ist die einzige Sprache, die sie erreichen kann.




Die nächsten Tage vergehen, ohne dass ich davon richtig Kenntnis nehme. 

Der Morgen beginnt, ich führe ein wenig Smalltalk mit meiner Mutter und verlasse dann das Haus um ein wenig meine Füße zu vertreten. Auch wenn meine Mutter mich am liebsten gar nicht mehr allein lassen würde, muss sie selbst los um arbeiten zu gehen. Wenn ich zurück komme - kurze Zeit nachdem ich mich erst auf den Weg gemacht habe - ist meine Mutter schon weg und ich habe das Haus für mich alleine. Dann liege ich oben auf meinem Bett und kann förmlich zusehen, wie die Zeit verstreicht. Es ist keine Motivation da, um irgendwas zu tun. Nichtmal auf Essen habe ich Lust.
Am späten Nachmittag verbringt meine Mutter wieder Zeit mit mir. Aber ich rede nicht viel und ich kann sehen, wie betrübt sie dadurch wird. Also bin ich dann doch lieber für mich, auch wenn es genauso schrecklich für sie ist.
Abends kommen die Gedanken wieder, es ist die schlimmste Zeit am ganzen Tag. 

Ich fühle mich erdrückt, erschlagen.

Immer wieder, da - da bleibt mir die Luft weg. Es fühlt sich immer mehr so an, als würde ich ersticken.

Als wäre er für immer fort.

Die Hoffnung, sie ist das Schlimmste.

Und in den Nächten, da kommen die Träume. Immer wieder wache ich auf, lasse meine Gedanken meine Psyche zerreißen. So wird das Klingeln meines Weckers zum schönsten Geräusch für mich. Es ist der einzige Grund, warum ich so früh aufstehe. Warum ich überhaupt aufstehe.

Und jeden Tag wiederhole ich das Gedicht, was ich erst vor kurzem geschrieben habe.

Die Sonne geht unter,
vorbei ist die Zeit,
die Stille erdrückt uns,
hervor kommt das Leid.

Die Nacht beginnt.
Die Natur legt sich nieder,
wir aber bleiben wach
und alte Gedanken kommen uns wieder.

Die Sonne geht auf,
der Morgen beginnt
Zeit kehrt zurück,
bevor sie uns wieder durch die Finger rinnt.

Der Tag steht da,
wir spüren die Natur,
wollen das Leben ändern
vergessen das zu oft nur.

Und jeden Tag verstehe ich es ein bisschen weniger. Verstehe weniger, warum ich es geschrieben habe. Warum ich es geschrieben habe, wenn sich doch eh nichts ändern wird. Es ist mein Tagesablauf. Tag ein - Tag aus.



Montag Nachmittag kommt mein Vater aus dem Krankenhaus nach Hause. Sein Körper ist von der Verletzung immer noch geschwächt - die Ärzte raten ihn weiterhin zur Ruhe. Das ist das Alter. Es hinterlässt nun auch bei ihm Spuren. Aber sein Geist ist erholt und fit. Würde es nur nach ihm gehen, würde er sofort wieder auf der Arbeit stehen, um mit seinen Kollegen hinter dem 'Monster' hinter zu jagen. Doch meine Mutter hält ihn davon ab.

Und ich bin ihr dankbar.
Denn egal wie es kommt, einen von beiden wird es irgendwann treffen.
Ihm oder mein Vater.

Der Gedanke macht mir Angst.

Trotz der Situation meines Vaters hat meine Mutter mit ihm über mich gesprochen. Nicht einfach so, denn sie hat bis Mittwoch Morgen damit gewartet. So hat sie mir die Chance gelassen, selbst mit ihm über meine 'Schwierigkeiten' zu reden. Das habe ich aber nicht.

Und das will ich auch nicht.
Mit niemanden.

Sie hat es ihm in abgeschwächter Form erzählt, trotzdem hat es gereicht. Meine Eltern sind davon überzeugt, dass ich zum Psychologen gehen soll.

Obwohl ich doch mit niemanden reden will.

Aber das kann ich niemanden sagen. Und so verlaufen die Tage und ich kann nichts machen außer darauf warten, dass ich bald einen Fremden anschweigen werde.

Doch, ich kann etwas machen. Ich kann 'normal' sein. Mich wie vor paar Wochen verhalten. Nur weiß ich nicht mehr wie es geht. Ich weiß nicht mehr, wie ich vorher war.

Vor ihm.


Das nächste oder über nächste Kapitel werde ich wieder aus Jeffs Sicht schreiben, wenn ihr wollt :D Die Geschichte geht langsam in die Endphase. Auch wenn noch so einige Kapitel geschrieben werden müssen. Oder wieder Mal muss ich mich selber verbessern: Am Anfang habe ich an 14 Kapitel gedacht, dann an 40-50, dann an 70 und jetzt eher doch an 100 ... Jetzt beginnt das letzte drittel/viertel der Geschichte :)

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)जहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें