24 | „Nenn mich nicht so."

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,,Angeline!", weckte mich Luke panisch auf, sodass ich aufschrak.

,,Was?!", zischte ich genervt und begab mich zur Sitzposition.

Er entfernte sich von mir und stand wie angewurzelt vor mir, während er an seiner Lippe kaute.

,,Was denn?"

,,Zuerst will ich nicht, dass du gleich austickst...", fing er an und ich wurde noch neugieriger.

,,Was hast du getan?"

Ich hatte das Gefühl, als würde mein Kopf gleich platzen und ich wollte sofort wissen, wieso er so anders drauf war.

,,Ich nicht-"

,,Luke, sag's schon!", unterbrach ich ihn schreiend.

,,Deine Eltern sind unten!"

Es lief mir eiskalt über den Rücken und ich verstummte.

Was suchten sie hier? War meine Mutter dabei? Wie kam es, dass beide kamen?

Ohne ein Wort zu sagen, stand ich auf und lief ahnungslos runter, als die beiden nervös auf der Couch saßen.

Langsam ging ich paar Stufen der Treppe runter, doch nicht ganz und blieb dann stehen. Die Hände neben meinen Hüften, sodass ich aufrecht stand und versuchte, so selbstsicher wie möglich zu wirken. Ich tat es sicherlich nicht. Dies wusste ich jetzt schon.

Mein Dad heftete den Blick auf mir und stand auf, wobei Mom dies sah und seinen Blick zu mir folgte. Sie stand ebenfalls auf.

Die schwarzen Haare hatte sie sich geglättet und ordentlich hatte sie sich auch angezogen - komischerweise. Dad sah auch echt gut aus und ich konnte fühlen, wie man mir die Verwirrung an sah.

,,Ehm... Dein Freund Luke hat uns rein gelassen.", fing mein Vater an und ich sah nach hinten, wo Luke mich gezwungen anlächelte. Den Blick erneut auf meine Eltern gerichtet, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sah sie analysierend an.

,,Dann hat er wohl einen Fehler begangen.", entgegnete ich sauer.

Ich wusste nie, wie man sich in so einer Situation verhält. Sollte ich sauer auf sie sein? Oder sollte ich die Zeit jetzt genießen, weil sie sich überhaupt Mühe machten, mich zurückzugewinnen?

Dad sah skeptisch zu Luke, der ein wenig hinter mir stand und dann wieder zu mir. Ich ahnte, was er erreichen wollte.

,,Du kannst anfangen zu sprechen...", fing ich an und lief die Treppen ganz runter. Ein wenig näherte ich mich zu ihnen, doch nicht sehr, denn zwischen uns waren gefühlte zwei Meter.
,,Ich verheimliche nichts vor Luke."

Mom sah Luke an, als würde sie sehr dankbar sein dafür, dass ich überhaupt diesen Satz sagen konnte. Sie war schließlich die Jenige, die wusste, dass ich nicht mit Menschen zurecht kam. Aber mit Luke schon.

,,Er hat mir schließlich zugehört und mir das Gefühl gegeben, dass sich doch jemand für mich interessiert. Das Gefühl, was ich hätte vor einigen Jahren erhalten sollen."

Mit diesen Worten sah ich meine Mutter intensiv an. Die Panik stieg in ihr, dass konnte ich sehen.

Irgendwann brach sie ihre Sturheit ab.
,,Ann..."

Ich schloss meine Augen und hielt meine Hand vor mein Gesicht, ehe sie weitersprechen konnte. Schnell öffnete ich meine Augen wieder und blickte sie an.

,,Nenn mich nicht so."

Mom verdrehte die Augen und Dad beobachtete uns nur.

,,Bitte komm zurück. Ohne dich... Ohne dich kann ich-"

,,Nicht essen?", unterbrach ich sie und lockerte meine Arme, sodass sie neben meinen Hüften erneut hingen.
,,Weil ich nicht mehr für dich kochen kann? Niemanden mehr anschreien, weil Ann nicht mehr im Haus ist?"

Langsam näherte ich mich ihr zu und blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

,,Was kannst du nicht? Soll ich noch weiter aufzählen?", fragte ich leise.

Ihre Augen sahen meine nicht mehr an, sondern den Boden. Die Sturheit überkam ihr und sie hörte mir nur zu.

,,Du wolltest mich doch eh nie haben. Was ist denn jetzt dein Problem? Ich bin weg. Ich habe mich aus deinem Leben verzogen, genau so, wie du es Mal sagtest: Verzieh dich aus meinem Leben, als ich genaue neun Jahre alt war."

Sie setzte den Blick auf mir und sah mich an.

Ich fing an zu grinsen, doch dies verblasste mir schnell wieder.

,,Du schaust mich genauso an, wie damals, als ich dir sagte, dass ich einen Kuss von dir will. Meinen ersten Kuss von dir, weil du mir das nie geschenkt hast."

Mir überkam die Wut, als ich mich zurück an die Tagen erinnern musste und auf Knopfdruck weiteten sich meine Augen. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren.

,,Du hast mir nicht das geschenkt, was eine Mutter hätte schenken sollen, weil du ein Niemand bist!", schrie ich aus Wut und sah, wie sie sich aufschrak.
,,Ein Niemand! So nanntest du mich auch, als ich Sieben war!"

Senke deinen Ton, Ann.
- Nein! Jetzt nicht.

,,Eine Versagerin, als ich acht war, weil ich alleine im Zimmer versuchte, das Einmaleins zu lösen und dabei scheiterte! Eine Hure, weil ich vergessen hatte, die Post zu öffnen, mit ebenfalls neun. Eine Schande, weil ich mich wehren wollte gegen den Schimpfwörtern in der Klasse, die an dich gerichtet waren und deswegen einen Eintrag vom Lehrer bekommen hatte, als ich zehn war!"

Das Schreien brach ich nicht ab. Im Gegenteil - ich wurde lauter.

,,Schlampe, als du sahst, wie ich dem Nachbarsjungen zu winkte und mich daraufhin schlugst. Alles wegen dir! Alles wegen dir ist das ganze passiert. Nur weil eine Versagerin kein Kind aufziehen konnte! Nur wegen dir!"

Mein Vater wollte mich stoppen und fasste mir am Arm, doch ich wich zurück und schrie, dass er mich in Ruhe lassen solle.

Langsam regte ich mich ab und sah ihr in die Augen, wie sie anfingen glasig zu werden.

,,Mir hätte es auch gereicht, wenn du einmal im Jahr versucht hättest mich glücklich zu machen, an meinem Geburtstag. Das hast du auch nicht gemacht. Stattdessen hast du mir das Gefühl gegeben, dass ich mein Geburtstag hassen sollte und das tue ich. Nicht einmal entschuldigen kannst du dich.", kam es leise von mir und diesmal nahm mich mein Dad in die Arme.

Automatisch drückte ich mein Kopf gegen seine Brust und fing an zu weinen. Dieses Gefühl war anders. Ich fühlte sowas zum ersten Mal. Doch die Wut in mir regierte stärker und somit versuchte ich mich von ihm zu lösen.

,,Lass mich!", schrie ich unter Tränen, ,,Du hast es ebenfalls nicht verdient Vater genannt zu werden!"

,,Ann, warte!", versuchte er mich zu beruhigen, doch ich regte mich nicht ab. Ich war zu tiefst verletzt. Plötzlich gelung es mir, mich von ihm zu entfernen.

,,Wieso habt ihr mich nie geliebt?!", schrie ich weiter, doch schluchzte dabei, ,,Was habe ich getan?! Womit habe ich das ganze verdient? Ich will euch nicht, Verstanden? Ich will euch und eure zu spät kommende, nicht echte Liebe nicht! Ich wollte eure Aufmerksamkeit, als ich ein Kind war. Ihr habt mir meine ganze Kindheit gestohlen. Ich hasse euch! Verpisst euch!"

Ich nahm mir ein Kissen und warf es gegen Dad.
,,Verpisst euch!"

Ich wiederholte diesen Vorgang und sah vor Trauer und Wut nichts mehr. Ich spürte nur noch, wie Luke mich versuchte zu beruhigen und meine Eltern das Haus verließen.

,,Ann! Ann, beruhig dich!"

Ich schrie weiter und konnte es nicht stoppen. Alles hatte sich in mir gesammelt, sodass ich nicht einmal annähernd versuchen konnte, das Schreien und Schlagen zu stoppen.

,,Lass mich!", schrie ich, doch Luke klammerte sich nur fester an mich und schaffte es mich zu stoppen.

,,Lass, Lass!"

Ich spürte seine Hand an meinem Hinterkopf, das er gegen seine Brust drückte.

Das Schluchzen von mir fand kein Ende und ich wusste, dass ich gerade einen Wutausbruch hatte.

Angel Ine Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt