36 | „Entscheidungsidiotin."

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,,Mom kommt später mit Lyve und ich habe Hunger. Wollen wir zusammen kochen?", fragte er und ich verstummte.

Ich wusste nicht, wie man kocht.
Wahrscheinlich war ich das einzige Mädchen, das wirklich keine Ahnung hatte zu kochen und das war verdammt peinlich.

,,Ich lache dich nicht aus. Im Gegenteil! Ich kann ja auch nicht Mal so gut kochen. Wir werden es beide lernen, Abgemacht?"

Seine Augen funkelten und seine Zähne blendeten mich.
Was war das für eine Verbindung, die ich andauernd zu ihm spürte? Es war ganz anders. Als würde er mir so nah, aber gleichzeitig so weit sein.
Er wollte Dinge mit mir unternehmen, die noch nie jemand mit mir machen wollte. Nicht einmal meine Familie.
Dafür war ich ihm sehr dankbar.

Ein Lächeln schenkte ich ihm.
,,Abgemacht.", entgegnete ich.
Zusammen gingen wir in die Küche.

,,Hast du Lust auf etwas bestimmtes?", fragte er mich, während er die Schränke abcheckte.
Ich seufzte lachend.
,,Als hätte ich in meinem ganzen Leben unzählige verschiedene Mahlzeiten gegessen..."

Er musterte mich verwirrt und ich war mit verschränkten Armen an dem Kühlschrank gelehnt.

,,Ich habe keine Ahnung von Essen, will ich damit sagen.", machte ich unschuldig deutlich.

Er lächelte. Und dieses Lächeln löste etwas in mir aus. Ich hasste es dieses Gefühl zu verspüren, obwohl es mir gefall. Ich hatte Angst. Angst davor verletzt zu werden, da ich sowas nicht kannte.

,,In Ordnung. Dann muss ich wohl entscheiden...", gab er bekannt und suchte sich irgendetwas raus. Er hielt eine Nudelpackung in der Hand und las die Rückseite.

Langsam näherte ich mich ihm zu und merkte, wie er sofort angespannt wurde.

Er mag es nicht.
Lass es!

Im selben Tempo entfernte ich mich von ihm und er lachte gezwungen.

,,Kannst du Menschen nicht nahe stehen?", fragte er leise.

,,Nicht wirklich. Ich denke dann immer, dass ich etwas falsches tue.", fing ich an zu erzählen und er legte die Nudeln in einen Topf,
,,Manchmal, da fühle ich mich so selbstsicher, aber es gab auch schon Momente, wo ich mich einfach nicht bereit fühlte. Du musst wissen, ich kann mich nie entscheiden zwischen zwei Dingen. Ich könnte nicht einmal sagen, ob ich aus einer blauen oder rosanen Tasse trinken soll."

Er lachte und holte Hühnchen aus dem Gefrierschrank raus.

,,Es ist einfach so. Wie nennt man das?"

,,Jemand mit einem hohen Entscheidungsdefizit.", antwortete er und meine Augen weiteten sich.

,,Defi- was?", fragte ich überrumpelt und mit großen Augen. Luke lachte und sah mich an.

,,Entscheidungsdefizit.", wiederholte er sich und ich nickte nicht überzeugend.

,,Ja. Genau. Bin Entscheidungsidiotin.", entgegnete ich schulterzuckend, während er grinste und anfing das Fleisch zu schneiden.

Ich beobachtete alles genau und versuchte es mir einzuprägen.
Naja, man würde es doch immer wieder Mal gebrauchen, oder nicht?

Luke sah mich auffordernd an, während ich ihn verwirrt.
,,Was stehst du da so rum? Willst du mir nicht helfen?"

,,Du sagst mir doch gar nicht, was ich tun soll!", schoss ich unschuldig zurück und er nickte, ließ das Schneiden des Fleisches und gab mir drei Tomaten in die Hand. Anschließend holte er noch eine Schale und etwas löchiges, mentalisches, welches auch sehr scharf aussah.

,,So, Ann... Du nimmst die Tomate, reibst dies an diesem Ding und versuchst nur die Haut von der Frucht zu haben. In der Schale muss das Tomatenwasser sein."

,,Seit wann ist eine Tomate nh Frucht?", entgegnete ich mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Er klatschte sich leicht auf die Stirn und sah mich dann wieder an.

,,Egal. Tue einfach das, was ich sagte, okay?"

Ich nickte mit einem zuckersüßen Lächeln und tat was er sagte.

Es überraschte mich, wie ich nicht dran dachte mich zu schneiden. Mich schneiden zu wollen. Wie damals, als ich es an meinen Beinen tat.
Ob die Wunden heilen?
Ob man sie noch sehen kann?

,,Luke, so?", fragte ich und er sah die Schale an.

,,Ja, genau. Jetzt alle Tomaten."

,,Für was ist das überhaupt?", fragte ich, während ich die Tomate weiter an dieses Ding rieb, wessen Bezeichnung ich immer noch nicht kannte.

,,Na, für die Soße.", antwortete er und würzte das Fleisch.

Als ich fertig war, bereiteten wir das restliche vor und saßen uns dann an die Theke mit Tee.

,,Du fängst an Tee zu mögen...", sprach er nach einer langen Stille und ich lächelte schwach.

,,Du doch auch."

Wieder entstand die Stille und diesmal unterbrach ich sie.

,,Ich mag es, wie du Lyve behandelst, als wäre sie deine leibliche Schwester.", fing ich an und er sah mich überrascht an.
,,Nicht jeder könnte so etwas machen."

,,Lyve ist alles für mich. Wenn ihr etwas passieren würde, könnte ich mir niemals verzeihen.", entgegnete er und ich nickte.

Klar, könntest du das nicht.
Wie auch?

,,Sie hat echt Glück. E-Eigentlich sollte es auch so sein. Ich meine, Kinder sind die einzigen unschuldigen Wesen auf der Erde. Okay, vielleicht auch andere Tiere, aber Kinder zählen zum größten Teil dazu.", erklärte ich und benutzte meine Hände dabei,
,,Ich finde, dass Kinder all die Liebe und Fürsorge verdient haben, denn nur so können sie sich entwickeln.
Die Art, wie man mit den Kindern redet, entwickelt sich zur inneren Stimme von ihnen. Wenn deine Mutter dich Versager nennt, dann bist du auch ein Versager - so wäre die Logik von den Kindern."

Er hörte mir intensiv zu und unterbrach mich auch nicht.

,,Und ich finde es so verdammt schlecht von Menschen, die ihre Kinder schlecht behandeln. Ich meine, man kann Dinge verbieten, aber man müsste diese auch in angemessenen Worten erklären können ohne dabei das Kind zu beleidigen. Vorallem die Menschen, die ihre Aggresivität als Ausrede nehmen sind die schlimmsten. Die kannst du komplett vergessen, da wollen wir erst gar nicht anfangen."

,,Stimmt."

,,Und wenn ein Kind andauernd in solchen schlechten Verhältnissen aufwächst, dann ist eine Veränderung sehr schwer für sie. Es wäre so, als wärst du schon dein ganzes Leben lang vegan und irgendwann entscheidest du dich doch Fleisch zu essen. Und um das zu können, kostet es dich jede Menge Zeit. Es klappt nicht von Heute auf Morgen. Niemals."

Kurz herrschte Stille und wir sahen uns nur in die Augen, als Luke plötzlich meine Hand nahm und ich total zitterte.

,,Angeline. Du hattest mir ein Teil von deiner Geschichte erzählt, die du niemandem sonst erzählt hast. Du hast mir das erzählt, weil du etwas von mir verlangst. Ich will nur, dass du weißt, dass ich hier bin für dich. Egal, welche Uhrzeit, egal, ob wir Mal eine Diskussion haben - Nichts wäre für mich besser, als der Person, die es wirklich verdient hat, die Fürsorge zu geben, die sie nie hatte. Beschuldige dich nicht selbst, dass brauchst du im Moment wirklich nicht. Lass dir Zeit und versuche deine Gefühle zu verstehen. Ich bin bei dir.", sprach er, ohne einmal den Blickkontakt zu beenden.

Ich wollte weinen. Weinen, da ich sowas noch nie hörte. Ich hatte noch nie von irgendjemandem gehört, dass ich ihm so viel bedeute.
Wieso sollte sich eine Person so um mich kümmern, wenn ich ihm nichts bedeute?
Das war zu viel für mich. Ich konnte es nicht.

Sofort zog ich meine Hand weg und sah auf mein Tee, während Luke einfach kurz hustete.

,,D-Danke und tut mir leid. Es war zu viel.", sprach ich stotternd und nervös und sah ihn an.
Er lächelte.

,,Kein Problem. Bin immer da."

Angel Ine Where stories live. Discover now