Kapitel 21 - Atemzug

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"... Ich hab eine Fassade aufgebaut, hinter die nie jemand gelangen sollte." als ich endete, schien Ren nach den passenden Worten zu suchen. Ohne eine Antwort zu erwarten, sprach ich weiter.

"Rette mich, bitte..."

Wir saßen einfach da, ohne ein Wort zu sagen. Ren hatte seinen Arm um mich gelegt, während ich beinahe auf seinem Schoß saß. Es war schon etwas komisch, aber ich mochte es irgendwie. Jedoch bemerkte ich, wie Rens Blick konstant auf meinem Arm blieb. Dann zog er mich vorsichtig mit sich hoch und wies mir an, ihm zu folgen. Ich folgte ihm mit ins Bad, wo ich mich etwas umsah. Links neben mir befand sich eine Dusche mit einer komplett durchsichtigen Wand, die verhindern sollte, dass der Boden nass wird. Gegenüber von mir befand sich eine einstufige Treppe, welche herunter in einen großen Whirlpool führte. Ren holte aus einem von drei Fächern, die in der Mitte einer viereckigen Säulen eingebaut waren, Verband und Desinfektionsmittel heraus. Widerwillig zog ich meine Ärmel hoch und ließ mir von Ren meinen nicht verbundene Arm desinfizieren und dann doch verbinden. Dasselbe am anderen Arm, nur dass der Verband gewechselt wurde.

"Das wird viel zu warm." beschwerte ich mich bei Ren, weicher währenddessen die Sachen an ihren Platz zurücklegte.
"Aber dir ist es nicht zu warm, jeden Sommertag Langärmliges zu tragen?", erwiderte er skeptisch.
"Daran gewöhnt man sich." argumentierte ich.
"An den Verband kannst du dich auch gewöhnen."
"Aber ich muss ihn nicht tragen."
"Du musst auch nicht unbedingt langärmlige Sachen tragen."
"Doch."
"Wer sagt das?"
"Mein Gewissen. Weißt du eigentlich, wie unangenehm es ist, zu zeigen, dass man sich selbst absichtlich Schaden zufügt?", wir gingen aus dem Badezimmer hinaus hoch in Rens Zimmer, als er seine Antwort überlegte.

Sein Zimmer war in zwei Abschnitte aufgeteilt. Der untere Abschnitt hatte in der rechten Ecke ein Sofa und zwei runde Sessel, beides in hellblau-weiß. Davor war ein Flachbildfernseher an der Wand angebracht. Auf der linken Seite war ein kleiner begehbarer Kleiderschrank sowie ein in der Wand eingebautes, großes Bücherregal. Der zweite Abschnitt, der wenige Treppenstufen höher gelegen war, bestand aus seinem Bett, dessen Matratze auf einer Art Kasten stand, der an den Seiten einige Lichter eingebaut hatte, und seinem Schreibtisch, welcher vor einer Fototapete stand, die eine schwarz-weiße Stadt zeigte. Insgesamt war der Raum ziemlich hell und in weiß gehalten, vereinzelt auch hellblau.

"Kannst du nicht einfach damit aufhören?", fragte Ren mich dann, nachdem wir uns auf das Sofa gesetzt hatten.
"Nein."
"Wieso?"
"Der Schmerz... der Schmerz hilft, den Schmerz zu verarbeiten. Es ist, als würdest du Feuer mit Feuer bekämpfen."
"Wird das Feuer so nicht nur noch größer?"
"Schon. Doch im ersten Moment ist das Feuer wie viele Sandkörner, die das Feuer ersticken. Nach einiger Zeit siegt jedoch das Feuer und der Sand verbrennt. Alles beginnt von vorne, nur immer wieder um einen Funken größer."
"Dann werde ich das Wasser spielen, das benötigt ist, damit das Feuer erlischt."

Plötzlich verstummte ich. Das hatte ich nicht erwartet. Es war, als würde die Schlinge, die fest um meinen Hals gebunden war, und mich dazu brachte, zu ersticken, ein wenig gelockert werden. Mit solch einfachen Worten hatte er es tatsächlich geschafft, meine Hoffnung zu erweitern. Ich war gefangen im Dunkeln, doch über mir sah ich auf einmal einen winzigen, leuchtenden Punkt, den ich zuvor nie erkannt hatte. Mein erloschener Lebenswille wurde wieder angezündet. Auch wenn die Flamme klein, nahezu bedeutungslos war, sie war da.

Ich kann wieder atmen. Aber wieso tut atmen so sehr weh?

"Wir werden gemeinsam eine Lösung finden, Gakushū," ich nickte langsam, noch immer etwas überwältigt. "Womit tust du das?", fragte er mich dann. Nach langem Zögern bewegte ich meine zitternde Hand zu meiner Jackentasche, aus welcher ich eine Rasierklinge nahm, um Ren - wenn auch wortlos - zu antworten. "Darf ich?", er deutete auf das Metall. Ich nickte kurz und hielt ihm den silberfarbenen Gegenstand hin.
"Sei vorsichtig...", ich war mir unsicher, ob er meine Worte gehört hatte. Der Braunäugige fuhr mit dem Finger über die scharfe Seite des dünnen Metalls. Er schnitt sich aus Versehen in die Fingerkuppe. Er ließ die Klinge fallen und kniff die Augen zusammen. Ich seufzte. "Das meinte ich...", Ren nickte verstehend.
"Ich hätte wirklich aufpassen sollen.. Das tut weh.."
"Ist ja auch der Sinn dahinter..", murmelte ich leise, bevor ich Ren an der Hand aus dem Zimmer ins Badezimmer oben zog, um das Blut abzuwaschen.

"Gehts wieder?", fragte ich ihn.
"Ja."
"Du hast die Klinge nicht zufällig wieder aufgehoben, als ich kurz geblinzelt hab, oder so?", und erneut liefen wir in Richtung Rens Zimmer.
"Nein. Sollte da noch liegen."
"Dann würde ich hoffen, dass niemand in dein Zimmer gekommen und sie gesehen hat."
"Wird schon nicht, in der kurzen Zeit."
"Man weiß nie."
"Aber man kann hoffen."
"Wissen ist besser als Hoffnung."
"Nicht immer."

I Won't Disappoint You | Assassination Classroom FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt