Kapitel 38 - Leise, Echo [I M M E R W I E D E R]

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Es ist wie ist, und dafür muss es keinen Grund geben.

Das war schon okay.

Ich betrachtete die Box genau, aber dennoch ziemlich unsicher. Ich spürte Nagisas besorgten Blick auf mir liegen, welcher mir wohl verdeutlichen sollte, dass ich das besser lassen sollte.

Es war mir egal. Ich wollte es jetzt erfahren.

Vorsichtig öffnete ich die Kiste. In ihr lagen einige beschriebene Blätter, ein paar Fotos und offensichtlich auch Dokumente, die einigermaßen wichtig aussahen. Ich wollte nach einer Urkunde greifen, stoppte aber mitten in der Bewegung. Mein schlechtes Gefühl, die Angst, das war es, was mich davon abhielt. Ja, es war Angst. Es war eindeutig Angst. Und ich konnte nicht mal den Grund dafür nennen.

Von dem Gefühl dazu verleitet nahm ich mir einige linierte Blätter um sie auf meinem Schreibtisch auszulegen. Ich nahm das Erste von links. Auf der Mitte des Blattes standen in ziemlich unordentlicher Schrift wahllos irgendwelche Wörter.

Unschuld
Verrat
Warum
Schuld
Vertrauen

Nachdenklich betrachtete ich die Worte. "Hilf mir mal", forderte ich Nagisa auf, welcher sich das Blatt nahm und es genauer ansah.
"Wobei?"
"Zu überlegen was das heißen soll", entgegnete ich kurz, während ich den Blauhaarigen dabei beobachtete, wie er das Papier umdrehte.

Ich kann nicht!

Kaum entzifferbar. Es sah so aus, als sei die Person, wahrscheinlich ich, während des Schreibens des Öfteren zusammengezuckt. Nagisa hielt sich eine Hand vor den Mund, so als sei er geschockt oder ähnliches. "Ich weiß wann das war!", rief er aufgewühlt, stand mit einer ruckartigen Bewegung auf und setzte sich wenige Sekunden später genauso plötzlich wieder auf den Stuhl. Ich sah ihn nur verwirrt an. "Das war im ersten Jahr in der Schule," fing er an. "Du warst den ganzen Tag etwas komisch drauf. Fast so, als seist du traumatisiert, oder so. Im Unterricht und in den Pausen hast du immer wieder zusammenhanglose Dinge geschrieben", er legte eine Pause ein, als hätte er gesagt, was er zu sagen hatte. Doch statt nichts mehr zu sagen, flüsterte er noch leise etwas. "Ich wollte dich fragen was los ist, aber du hast nicht reagiert..."

Zahlen. Buchstaben. Gedanken. So viele Gedanken. Warum hören sie nicht auf? Warum?!

Ich bin weg.

Es ist alles verloren, glaube ich. Nein, es ist nichts mehr zu retten. Gar nichts mehr.

In meinem Kopf blitzten Bilder auf, viele wirre Sätze, nichts was irgendwie zusammenhängend erschien. Es war zu viel. Mein Kopf tat weh, alles um mich herum drehte sich. Meine Sicht wurde verschwommen.

Der Junge geht auf und ab. Immer wieder und immer wieder. Als würde er vor etwas wegrennen wollen, aber immer wieder von einer Sackgasse aufgehalten werden, auf beiden Seiten, immer wieder und immer wieder.

Seine Schritte bewegen sich in Richtung Tür. Er geht aus dem Zimmer heraus, geht hinunter in den Flur, schnappt sich seine Jacke und zieht sich Schuhe an. Mit schnellen Bewegungen öffnet er die Tür und lässt sie kurz darauf mit einem lauten Krachen ins Türschloss fallen.

Seine Schritte hallen durch das monotone Treppenhaus, sein zittriges, lautes, dennoch so stilles Atem gibt ein noch viel lauteres Echo von sich.
Echos haben etwas Komisches an sich. Sie beweisen einem, dass man alleine in dieser viel zu groß geratenen Welt der Schatten existiert, jedoch können sie einem auch symbolisieren, dass es immer eine Person gibt, der man vertrauen kann; sich selbst. Es stellt immer wieder eine Reaktion da. Eine Reaktion auf seine eigene Aktionen, es war eine Imitation. Vielleicht auch so etwas wie Kritik.

"Es soll aufhören!", schrie ich verzweifelt, als ich Realität und meine Vision nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. "Es soll weggehen...", ich wurde mit jedem Wort leiser. Meine Angst wurde so viel größer. Ich zog meine Beine an meinen Oberkörper an, während ein lautes Echo meiner tausend Gedanken in meinem Kopf schwirrte. Immer wieder rief ich ihnen zu, immer wieder schrie ich, dass es mich in Ruhe lassen solle. Aber es half nichts.

Erst als ich spürte, wie ich umarmt wurde, kam ich wieder zu mir. Mir rannen warme Tränen das Gesicht herunter. Ich hatte angefangen zu weinen. Ich krallte mich an Nagisa, welcher mich umarmt hatte, fest. Fast so, als wäre er mein einziger Halt. Das Einzige, das mich davon abhielt, Dinge zu tun, die ich gar nicht tun wollte. Ich fühlte mich unsicher. Mein Leben lag nicht in meiner Hand, nein, ich konnte nicht mehr alleine darüber bestimmen. Es lag ganz an dem Jungen, der seit Jahren mein bester Freund war, wie mein Leben verlaufen würde.

Wenn er gehen würde, dann würde mein Leben enden. Schon wieder.

"Alles ist gut..", flüsterte Nagisa zu mir, während ich den Kopf, ohne wirklich auf meine Taten zu achten, weinend in seiner Schulter vergrieb. Im Moment stellte er keine Fragen. Er war einfach da. Er war einfach nur für mich da. Dafür wäre ich ihm Dankbar gewesen.

"Es soll verschwinden", schluchzte ich leise vor mich hin. "Es soll verschwinden, Nagisa..."

Ich war wieder der kleine, hilflose Junge von früher. Das Echo wurde leiser.

I Won't Disappoint You | Assassination Classroom FFWhere stories live. Discover now