Kapitel 42 - Vergebung

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PoV: Ren

Samstag Nachmittag saß ich in meinem Zimmer auf meinem Bett und sah mir Unterlagen aus dem Unterricht an. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum Gakushū mich angelogen hatte. Die ganze Zeit über. Hätte er nicht einfach die Wahrheit sagen können? Ich hätte ihm helfen können. Ich hätte ihm helfen können, davon loszukommen, seine Probleme auf andere Art zu vergessen, wenn nicht sogar zu lösen. Meine Gedanken wurden durch das Klingeln meines Handys unterbrochen.
Murakami. Was will sie jetzt von mir?
Ich nahm den Anruf ab.
"Ja?"
"Gakushū ist im Krankenhaus", sagte sie sofort. Sie wirkte sehr aufgebracht, ziemlich hektisch.
"Was?", langsam realisierte ich ihre Worte. "...ich bin so schnell ich kann da", ich wollte zu Gakushū. Sofort. Mich interessierte nicht, was passiert war. Ich wollte einfach nur zu ihm.
"Schreib mir, wenn du in Tokyo bist, ich warte dann am Eingang auf dich."

Ich legte auf und lief schnell aus meinem Zimmer heraus. Als ich die letzte Treppenstufe erreicht hatte, traf ich auf meinen Vater.
"Re-", weiter kam er nicht, da ich ihn unterbrach.
"Keine Zeit", ich schnappte mir schnell meine schwarz-rote College Jacke sowie meinen Schlüsselbund und ging zur Tür, welche ich hastig öffnete.
"Wo willst du so schnell hin?", fragte er mich.
"Krankenhaus", ohne auf seinen verwirrten Blick einzugehen ließ ich meinen Vater im Flur stehen und schloss die Tür hinter mir. Während ich so schnell ich konnte zum Bahnhof rannte, erhaschte ich einen Blick auf meine Uhr.
14:26. Der Zug fährt in neun Minuten. Sollte ich schaffen.
Als ich den Bahnhof wenig später erreicht hatte, suchte ich in meiner Jackentasche nach meinem Portemonnaie, in dem sich meine Jahreskarte befand. Als ich mein Portemonnaie gefunden hatte, guckte ich zur Sicherheit nochmal nach, ob das Ticket auch wirklich dort war. Nachdem ich fündig geworden war, hatte ich noch vier Minuten Zeit, bis der Zug kam. In diesen vier Minuten kaufte ich mir an einem Kaffeeautomat noch einen Kakao. Mit diesem lief ich schnell zu den Bahngleisen.

Als der Zug angekommen war, stieg ich ein und suchte mir einen freien Platz. Glücklicherweise hatte ich Kopfhörer dabei, sodass ich während der Fahrt Musik hören konnte.
Ein weiterer Grund nach Tokyo zu ziehen. Es dauert von hier aus ewig, bis man dort ist.

Nach einer Stunde war ich endlich am Bahnhof. Kurz nachdem ich Gakushūs Cousine geschrieben hatte, rannte ich aus dem Bahnhof heraus den Weg zum Krankenhaus. Ich sah Murakami schon durch die automatisch aufgehende Glastür, als ich das Gebäude erreicht hatte. Ich verlangsamte mein Tempo, lief aber immer noch schnell zu ihr. Ohne ein Wort zu sagen wurde ich von dem jüngeren Mädchen am Handgelenk mitgezogen. Als ich ihr versicherte, ihr zu folgen, ließ sie mich im Fahrstuhl los und in unserer Zieletage alleine neben ihr her laufen. Ohne anzuklopfen öffnete Murakami die Tür zu Gakushūs Krankenzimmer. Sie trat ein, ich folgte. Die Türkishaarige deutete auf einen Stuhl, auf den ich mich setzen sollte. Als ich mich gesetzt hatte, sah ich zu Gakushū, welcher mich auch ansah, dann jedoch wieder wegblickte. "Hey..", sagte ich leise. Sein Blick richtete sich wieder auf mich. "Wie... Wie geht's dir..?", fragte ich vorsichtig.
"Hm...", gab er nur von sich, sagte nichts.
"Was ist passiert..?", Gakushūs Blick löste sich von mir. Er starrte stattdessen an die Decke.

"Ich halte es nicht mehr aus... Es gibt doch eh niemanden, der mich noch braucht", ich war leicht geschockt. Hatte er versucht sich umzubringen? Zutrauen würde ich es ihm. Ich hofftw nur, dass ich unrecht hatte und da zu viel reininterpretierte.
"Do-"
"Nein. Ich habe dich enttäuscht."
"Nein, hast du ni-"
"Du musst nicht lügen. Auch wenn ich mir wünsche, dass es keine Lüge ist", er setzte sich auf. Ich schaute auf seine Arme, welche diesmal nicht von Stoff bedeckt waren. Jetzt, wo ich sie mir länger ansehen konnte, sahen die Wunden tiefer aus, als ich glauben wollte. Ich vermutete, dass sie wohl hätten genäht werden müssen, wäre es nicht zu spät dazu gewesen. Ich konnte nicht fassen, dass er sich das in den letzten Tagen angetan hatte, aber sich dennoch nichts hatte anmerken lassen. Er war die ganze Zeit so stark geblieben. Und ich hatte nicht bemerkt, wie mein Freund leidete, innerlich zerbrach.

"Warum..?", war das einzige, was ich herausbekam. Ich wusste, dass ihn irgendwas zerstörte, doch ich wusste nicht was. Ich wollte die Gründe wissen. Ich wollte endlich Klarheit.
"Weil ich es nicht mehr aushalte. Mein größter Wunsch ist es, zu sterben."
Also doch. Er wollte sterben. Aber wieso?
"Und warum das..?", seine Miene verfinsterte sich augenblicklich.
"Das Leben ist nicht perfekt. Es ist schmerzvoll", er machte Anstalten, noch etwas sagen zu wollen, blieb dann aber doch still. Ich sah ihn an.

"Soll ich euch alleine lassen?", meldete sich nun die Verschiedenäugige zu Wort, wahrscheinlich um ihrem Cousin einen unangenehmen Moment zu ersparen. Dieser nickte stumm. Das türkishaarige Mädchen verließ kurz darauf den Raum.

"Es mag vielleicht im Moment alles aussichtslos scheinen, aber es gibt einen Ausweg. Einen, der nicht dein Grab verspricht...", ich schaute zu dem Violettäugigen, welcher mich mit einem undefinierbar leerem Gesichtsausdruck ansah.
"Nein."
"Doch, sicher scho-"
"Nein, Ren. Es ist zu spät.", seine Stimmlage klang kalt, jedoch trotzdem hilflos. Scheinbar merkte er mir an, dass ich seinen Worten nicht glauben konnte, dass ich überfordert und aufgebracht war. "Tut mir leid. Es tut mir unglaublich leid, dass ich so egoistisch bin. Ich bitte dich nur ungern; aber kannst du mir verzeihen?"

"Du musst dich für nichts entschuldigen!", rief ich, ohne auf meinen viel zu lauten Ton geachtet zu haben. Der Sechzehnjährige zuckte augenblicklich zusammen, schien sich aber schnell wieder fassen zu können. Kurz bevor ich etwas sagen wollte, klingelte mein Handy. Ich sah auf das Display. Mein Vater.
"Geh ran", forderte Gakushū mich augenblicklich auf. Ich nickte widerwillig.

"Hallo?"
"Ren, ich weiß, es kommt plötzlich, aber könntest du bitte so schnell wie möglich nach Hause kommen?", sagte mein Vater sofort.
"Muss das sein?"
"Wäre schön, wenn ja. Also?"
"Mh...", ich sah kurz zu dem Orangehaarigen, welcher mir nur stumm zunickte. Er hatte wohl das Gespräch mit anhören können. Ich seufzte. "Na gut. Ich bin in anderthalb Stunden da."

I Won't Disappoint You | Assassination Classroom FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt