Kapitel 2

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"Der höhere Mensch hat Seelenruhe und Gelassenheit,
der Gewöhnliche ist stets voller Unruhe und Aufregung."

Zumindest hat das Konfuzius vor mehreren Jahrtausenden gemeint, aber da hatte er wahrscheinlich noch nicht gewusst, dass er damit ins Schwarze getroffen hatte. Dem Armen wurde erst viel zu spät die Anerkennung geschenkt und nun würde er nie erfahren, was für ein Genie er gewesen war.
Es konnte sein, dass Konfuzius ein verwirrter Greis war, doch genau dieses Zitat von ihm zeigte wohl am Besten, dass College-Studenten allesamt gewöhnlich waren.

Entweder wir lernen stundenlang unter Stress und versuchten, das Semester irgendwie über die Runden zu bringen. Oder wir gehörten zu dem Teil, die es schon längst aufgegeben hatten und die Zeit des Colleges nutzten, um Partys zu machen und zu einer Legende zu werden. Und gerade jetzt gehörten meine Freundinnen und ich zu denen, die unter Stress versuchten, ihren College-Tag auf die Reihe zu bringen, indem wir nicht zu spät kamen. Das stellte sich als Herausforderung heraus, denn wir hatten genau 5 Minuten für über 400 Meter Campus-Rasen und mindestens 100 weitere Meter, um in unsere Säle zu gelangen. Eine Herausforderung, die unmöglich zu meistern war, schon gar nicht für Valeries babyrosa High Heels.

"Macht langsamer Leute.", hörte ich ihre keuchende Stimme irgendwo hinter mir. "Sonst knick ich noch um und breche mir beide Beine..."

Da war ich mit meinen schwarzen Boots  wirklich besser dran, doch als ich meinen Kopf mit einer ruckartigen Bewegung umdrehte, um zu sehen, wie weit sie hinter uns war, stolperte ich beinahe selbst über meine eigenen Füße. Ich erkämpfte mir wieder meine Balance zurück, bevor ich hinfiel und blickte wieder nach vorne.

Heute war ein echt hässliches Wetter für einen Herbsttag. Die Wolken ließen keinen Sonnenstrahl durchkommen und hielten die Temperatur unter 15 Grad. Doch es war nicht die Temperatur, sondern eher der starke Wind, der mich in regelmäßigen Abständen frösteln ließ. Außerdem machte der Wind aus meinen Haaren schnell ein Nest voller Knoten, was nicht dazu beitrug, dass sich meine Laune besserte.

"Wer zieht sich auch hohe Schuhe an, wenn man nur einen Kurs besucht?", rief ich über meine Schulter und Jamie hängte sich hastig bei mir ein, als ich mein Tempo noch mehr beschleunigte. "Wenn du umknickst ist es deine Schuld! Das ist ein Kieselweg und kein Catwalk!"

Die riesige Rasenfläche, die normalerweise von Studenten als Lernplatz oder Spielfeld genutzt wurde, war gähnend leer. Kein einziger Schüler war zu sehen.

Ich blickte erneut auf meine Armbanduhr und fluchte leise. Wir hatten noch 2 Minuten, was hieß, dass wir zu spät kommen würden.
"Valerie, beweg dich! Du hättest diese dämlichen Schuhe nicht anziehen sollen!"
"Ich kann nicht!", brüllte sie zurück. "Und die High Heels sind nicht dämlich! Ich achte halt auf mein Aussehen in der Öffentlichkeit!"

"Mein Vater wird mir wieder einen Vortrag halten zum Thema 'Hausordnung' und 'Deine Zukunft'.", jammerte Jamie neben mir und versenkte ihr Gesicht in ihrem Kaschmirschal.
Mitfühlend streichelte ich ihre Hand, mit der sie sich an mir festhielt. Dass ihr Vater der Direktor des Colleges war, war zwar vorteilhaft und bewahrte sie größtenteils davor, dass man sie als gewöhnlichen Nerd abstempelte, aber er sah seine Tochter während den Kurs-Zeiten wie eine gewöhnliche Studentin, was hieß, dass sie bei Regelverstößen genauso bestraft wurde wie jeder andere.

Ich zog Jamie die breiten Steintreppen, die in die Eingangshalle führten hoch und stellte fest, dass sich nur noch wenige Studenten dort aufhielten. Immerhin war das der Beweis, dass wir nicht die aller letzten Schüler sein würden. Das war trotzdem nicht wirklich tröstend.

Ungeduldig warteten wir neben den Eingangstoren aus Eichenholz auf Valerie, die sich noch ihre Haare zurückstrich, ehe sie die Treppen hochstieg und uns kurz umarmte.
"Na dann, wir sehen uns.", meinte sie, nachdem sie zu Atem gekommen war und stöckelte graziös den Gang entlang. Die Blicke der Jungs folgten ihr automatisch.

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