Nolan's Sicht

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Wenn man mich gefragt hätte, ich hätte den ganzen Abend bei Miriam verbringen können. Ich hätte die ganze Zeit bei ihr im Zimmer in ihrem Bett liegen und sie ansehen können. Und sei es nur, dass ich sie beim Lesen beobachtet hätte.
Bei Miriam sein zu können ließ mich alles andere abschalten. Meine nervigen Gedanken wurden in den Hintergrund gestellt, weil ich in ihrer Gegenwart an erster Stelle für ihren Schutz zu sorgen hatte. So blieb mir keine Zeit, an andere Sachen zu denken und das war auch gut so. Wenn ich bei ihr war, dann war alles okay.

Der Abend war schön gewesen und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Angst gehabt hätte. Angst. Etwas, dass Engel nie fühlen sollten, genauso wie Eifersucht, Furcht und Panik. Man erwartete, dass ein Engel allzeit bereit war und alles immer unter Kontrolle hatte. Engel verkörperten absolute Perfektion, nicht mehr und nicht weniger und deswegen war es unakzeptabel, wenn sie Fehler begingen. Fehler, die sie dazu brachten, menschlicher zu werden, so zu denken wie die Kreaturen, die Gott erschaffen hatte und so zu leben.

Doch es war meine Schuld gewesen, dass ich Miriam verletzt hatte. Als ihr Schutzengel sollte ich genau das Gegenteil machen, doch ich konnte sie nun mal nur vor physischen Schmerzen schützen und nicht vor dem psychischen Schmerz, dem ich sie ausgesetzt hatte.
Gestern hatte ich sie echt verletzt, weil ich mich selbst nicht unter Kontrolle hatte. Nicht zu wissen, wo sie gewesen war, hatte mich wahnsinnig gemacht. Wenn ich sie nicht im Kurs gesehen hätte, hätte ich wahrscheinlich angefangen, das College auseinanderzunehmen. Ich hatte keine Sekunde klar denken können und mein Körper hatte sich angefühlt, als würden sich tausende von Tausendfüßlern unter meine Haut bewegen. Ich konnte weder still sitzen noch klar denken, war ein gereiztes Wrack und obwohl ich hätte wissen müssen, wo sie war, hatte ich es aussehen lassen, als wäre es ihre Schuld, dass sie mir nicht verraten hatte, wo sie gewesen war.

Ich konnte von Glück sprechen, dass ihr meine Cupcakes geschmeckt hatten und dass sie ein Herz hatte, das groß genug war, um mir meine Dummheiten zu verzeihen. Um ehrlich zu sein wüsste ich nicht, was ich getan hätte, wenn sie mir nicht verziehen hätte.
Sie würde mich als ihren Schutzengel nicht vollkommen auf Abstand halten, das war schlicht und einfach nicht möglich. Und wenn sie mich nicht akzeptiert hätte, dann hätte sich unser Verhältnis von Tag zu Tag verschlechtert, weil ich trotzdem in ihrer Nähe sein musste, ob es ihr nun passte oder nicht.

Am Liebsten würde ich mich herausreden mit der Tatsache, dass das einfach nicht ich war und ich noch weniger als alle anderen verstand, warum ich mich eigentlich so verhielt. Das war tatsächlich nicht ich und ich wusste nicht, warum ich mich in manchen Momenten so verhielt, wie ich mich nun einmal verhalten hatte. Sprach da der Drang, als Schutzengel zu schützen aus mir heraus? Oder machte sie mich so?

Die eisige Kälte der Nacht kam mir mehr als gelegen und während ich den Kiesweg entlangtrottete spürte ich förmlich, wie sich mein Gedankensturm nach und nach legte. Ich ließ meine Hände in meine Taschen sinken und stieß ein Seufzen aus, das in Form einer Wolke in die Nacht aufstieg.

Ich hatte immer gedacht, dass das Schlimmste, das passieren konnte, wäre wenn sie von der Existenz der Engel erfahren würde. Nicht nur, dass das strengstens verboten war und ich das dem Engelsrat längst hätte melden müssen, sondern dass das vom Anfang der Engel als eine der größten Sünden galt. Menschen durften von uns nicht erfahren, weil sie dann verrückt wurden oder habgierig und uns besitzen wollten.
Doch wenn ich ehrlich war, dann war genau das das Beste, das mir passieren konnte.
Miriam hatte es zwar ohne mein Zutun erfahren und anfangs wollte ich es auch nicht, aber wie es schien, war es ihr Schicksal, von uns zu erfahren. Und dafür, dass sich ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt hatte, hatte sie das ziemlich schnell wieder geschlichtet und gut aufgefasst. Mittlerweile hatte ich genau dieselbe Meinung über das wie sie über die Engel. Es war cool.

Protect HerWhere stories live. Discover now