Kapitel 48

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Ich, Miriam Taylor, war offiziell der glücklichste Mensch der Welt. Und das war ich wirklich - unübertrieben.

Erst diesen Morgen war ich aufgewacht, weil ich mich so verdammt wohl gefühlt hatte. Würde ich das je selbst nachvollziehen können? Wahrscheinlich nicht, denn normalerweise schlief man ein, wenn es einem verdammt angenehm vorkam und nicht umgekehrt, aber es stimmte. In der Früh war ich aufgewacht mit dem Gefühl, nie besser gelegen zu haben und ich hätte mich nie wieder bewegen wollen.
Als ich blinzelnd die Augen öffnete und mich dann doch gähnend umdrehte, wurde ich gleich viel wacher, als ich direkt auf einen noch schlafenden Nolan blickte. Das war der göttlichste Anblick, den ich je gesehen hatte.

Seine Gesichtszüge waren geglättet und ihn ohne seiner beinahe dauerhaft gerunzelten Stirn zu sehen ließ ihn gleich um mehrere Jahre jünger aussehen.
Die Lippen standen einen Spalt offen und ich lauschte seinen tiefen, gleichmäßigen Atemzügen so gespannt wie einer Geschichte.
Leider musste ich sagen, dass er sein Shirt zum Schlafen angelassen hatte und es auch nicht im Laufe der Nacht irgendwie hochgerutscht war, aber man konnte nicht alles haben. Ich war mehr als glücklich mit dem, was ich hatte.

Doch war er auch glücklich mit dem, was er hatte?
Diese Frage kam etwas ungünstig in meine Gedanken und gab meiner Euphorie einen minimalen Dämpfer, der seine Schatten zog.
Ich war mir durchaus bewusst, dass Nolan nur eine bestimmte Zeit auf der Erde hatte, aber ich wusste nicht, wie lange das genau war. 1 Jahr? 1 Monat? Oder vielleicht sogar nur eine Woche?
Mehr als einmal hatte ich mich das gefragt, doch ich hatte mich nie getraut, das auszusprechen, denn ich wusste, dass es dafür nicht den richtige Moment gab. Es würde ihn nie geben. Wenn ich fragen würde, würde ich die Stimmung komplett ruinieren, ganz egal, wie gut sie war.
Und deswegen hatte ich geschwiegen und die Zweifel in mich hineinfressen lassen.

Ich stützte meinen Kopf auf einen Arm und betrachtete mit einem leicht verbitterten Lächeln. Mir ging es gut, wirklich. Ich wusste nur nicht, ob ich darüber hinwegkommen würde, irgendwann von ihm von einen Tag auf den nächsten getrennt von ihm zu sein. Für immer.
Die Gefühle, die ich für ihn empfand, waren echt. Und sie waren echt, echt stark. Ich hatte Angst, dass sie mich zerstören würden, wenn er ging. Davor hatte ich wirklich Angst, aber das war für mich noch lange kein Grund, ihn auf Abstand zu halten, sondern eher, um jeden Moment auszukosten, den ich noch mit ihm hatte.

War es überhaupt möglich, dass ein Engel und ein Mensch zusammen sein konnten?
Ich holte leise Luft und hielt sie an. Waren ein Engel und ein Mensch überhaupt je zusammen gewesen?
Rein theoretisch war es ja nicht schwer, denn alles, was wir tun müssten, um zusammen zu sein, war zusammen zu kommen. Aber war es überhaupt das, was Nolan wollte?
Ich meine, gestern hatten wir nicht wirklich die Zeit gehabt, darüber zu reden, weil wir uns den ganzen Abend geküsst hatten, aber was bedeutete das jetzt für uns? 

Je mehr ich darüber nachdachte, desto verrückter machte es mich, dass wir keine klare Grenze gesetzt hatten. Und desto bewusster wurde mir, dass ich ihn genau deswegen nicht gleich jetzt aus dem Schlaf rütteln konnte und ihn fragen konnte, was zwischen uns jetzt war. Nicht jetzt, nicht morgen und auch nicht übermorgen. Eigentlich überhaupt nicht, denn ich würde darauf warten, bis er das Thema ansprach. 
Erst, wenn Nolan sich mir von ihm aus öffnete, konnte ich mit Sicherheit wissen, dass ihm die Sache wichtig genug war. Und so sehr es mich quälen würde, ich würde warten.

Just in dem Augenblick begann sich Nolan zu regen und bevor ich so tun konnte, als würde ich schlafen, schlug er seine Augen auf und blickte mich verschlafen an.
"Also die Art von Aufstehen könnte ich mich gewöhnen", murmelte er heiser und ich bekam eine Gänsehaut von seiner Morgenstimme.
"Ach hör auf." Verlegen wand ich mich, bis er einen Arm um meine Hüfte schlang und mich festhielt. Dann zog er mich näher an ihn und ich keuchte, als er seine Lippen auf die dünne Haut direkt über dem Schlüsselbein drückte.
"Macht es dir Spaß, mich beim Schlafen zu beobachten?"
Grinsend blickte ich ihn an. "Ja, du schläfst wie ein Engelchen."
Gespielt genervt verdrehte er die Augen und ließ ein Schnauben erklingen. "Ich bitte dich, hör auf."
"Und was, wenn nicht?", erwiderte ich frech.
Er leckte sich über die Lippen und schenkte mir ein verführerisches Grinsen. "Ich glaube, dass ich schon Wege finde, um dich zum Schwiegen zu bringen."

Mein Herz schlug plötzlich schneller und mir wurde heiß.
"Erzähl mir mehr", flüsterte ich rau.
"Also eigentlich würde ich es dir lieber zeigen."
Mit diesen Worten legte er seine Lippe federleicht auf mein Kiefer, direkt unter meinem Ohr und begann, einen Weg zu meinem Kinn zu küssen. Ich seufzte wohlwollend auf und legte meinen Kopf in den Nacken, als er bei meinem Kinn angelangt war und nun meine Mundwinkel küsste. Doch so geduldig war ich leider nicht und als er den anderen Mundwinkel küssen wollte, drehte ich einfach leicht meinen Kopf und legte meine Lippen auf seine.
Er knurrte überrascht auf und vertiefte den Kuss sofort. Mit einer brennenden Leidenschaft teilte er meine Lippen und tauchte mit seiner Zunge in meinen Mund. Unsere Zungen tanzten einen heißen Tanz und ich hatte keine Ahnung, wie das passiert war, aber als ich den Kuss unterbrach, um keuchend Luft zu holen, saß ich rittlings auf seinem Becken und stützte mich mit seinen Armen gegen seine Brust.

Mit vergnügt funkelnden Augen lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, wobei ich eine fantastische Aussicht auf das Spiel seiner Armmuskeln hatte.
Ich konnte es nicht verhindern, dass ich mir über meine Lippen leckte, als würde ich das leckerste Dessert vor mir sehen. Naja, da gab es nur wenig Unterschiede, wenn man davon ausging, dass ich ihn liebend gerne vernaschen würde.
Es war einfach so, dass ich es mir unmöglich vorstellen konnte, irgendwo anders ohne ihn zu verbringen. Und ich hatte berechtigt Angst vor meinen Gefühlen, weil sie einfach so unerwartet stark waren, dass ich mir nicht sicher war, ob ich richtig damit umgehen konnte. Ich hatte noch nie so etwas gefühlt und ich hatte Angst, etwas falsch zu machen oder verletzt zu werden.

"Oh nein", unterbrach Nolans Stimme meine düsteren Gedanken und ich blinzelte verwundert. "Du hörst sofort auf zu grübeln. Vor allem, wenn du auf mir sitzt."
Meine Wangen fingen an zu kribbeln und ich konnte mir jetzt schon vorstellen, dass ich aussah wie eine Tomate. "Woher weißt du, dass ich grüble?"
Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln. "Ich kenne dich gut. Du ziehst dann immer deine Nase kraus und deine Augen haben diesen bestimmten Ausdruck."
Ungläubig sah ich ihn an. "Du hast meine Grübel-Miene studiert?"
"So kann man es auch sagen", sagte er und zuckte mit seinen Schultern, worauf sich seine Muskeln wieder so wunderbar bewegten. Ach, ich könnte ihm den ganzen Tag dabei zusehen.

"Soll ich uns Frühstück machen?"
"Klar! Ich verhungere", erwiderte ich freudig und rollte von ihm runter, um aufzustehen. Kurz sah ich an mir hinunter und bemerkte, dass ich mir in meiner Verwirrung anscheinend meinen roten Rentier-Pyjama angezogen hatte.
Als ich mich jetzt zu Nolan umdrehte, war der gerade am Aufstehen und betrachtete mich grinsend. "Der ist aber süß", neckte er mich und seine Augen funkelten amüsiert.
Lachend schüttelte ich den Kopf. "Ach lass mich."

Zielstrebig verließ ich mein Zimmer, darauf bedacht, leise zu sein, und tappte in die Küche.
Nolan folgte mir und lehnte sich an der Kücheninsel an.
"Also, was willst du Essen?", fragte er mich und sah sich um, als würde er nach Ideen suchen, was er vorbereiten könnte.
"Wie wäre es mit einem Fruchtjoghurt und Müsli?"
Er nickte. "Was auch immer die Lady sagt."

Ich setzte mich auf einen der Barhocker und gab ihm Anweisungen, wo er was finden konnte, damit er das zusammen hatte, das er brauchte, um uns das Frühstück zuzubereiten.
Erstaunt sah ich zu, wie geschickt er sich beim Schneiden der Früchte anstellte und wie perfekt er sie in die Joghurt gefüllten Schüssel legte, als würde er ein Kunstwerk anstatt ein Frühstück herrichten.
Nach ungefähr zehn Minuten hatte ich ein äußerst schmackhaft aussehendes Joghurt vor mir stehen, bei dem die Krönung die Müsliflocken bildeten. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und ich musste mich zusammenreißen, um das Essen nicht hinunter zu schlingen, sondern es langsam zu essen und zu genießen.
Trotzdem war es viel zu schnell weg und obwohl ich satt war hätte ich gerne noch eines gehabt. Nur so als Reserve quasi...

"Das Frühstück war fantastisch", schwärmte ich, als ich mich nach hinten lehnte und die Schüssel von mir schob.
Nolan hatte ebenfalls zu ende gegessen und lächelte mich über den Tisch hinweg an. "Also hat es dir geschmeckt?"
"Geschmeckt?" Ich stieß ein Lachen aus. "Es war so unfassbar lecker. Die Früchte haben das Joghurt so süß gemacht!"
Er legte sein Kinn auf einen abgestützten Arm und musterte mich mit einem zwinkern. "Nicht so süß wie du."
Ich brach in lautes Gelächter aus und in dem Moment war es mir egal, dass ich alle im Appartement aufwecken könnte.
"Du Schleimer", stieß ich lachend aus.

Und in dem Moment spürte ich es wieder. 
Dieses Gefühl, der glücklichste Mensch auf der Welt zu sein.

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