Kapitel 31

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Die rostbraunen Blätter raschelten unter meinen Füßen, als ich gemütlich durch den Wald spazierte. Für die frühe Uhrzeit war es erfrischend kalt und ich hatte mich selten wacher gefühlt. Zwar war meine Nasenspitze bereits taub, aber das war mir der traumhafte Ausblick, der mir der Herbstwald bot, wert. Ich unternahm nicht selten Ausflüge in die Natur, schon gar nicht alleine, aber nach dem, was gestern passiert war, brauchte ich einfach Zeit für mich und musste den Kopf frei bekommen.
Ich war ganz alleine, nur in der Ferne kam mir ein Läufer entgegen.

Hatte mich Nolan gestern für einen Moment küssen wollen? Oder hatte ich mir das alles eingebildet, weil meine Hormone in Aufruhr waren und ich einfach ein schräges Teenager-Mädchen war, dass sich die Sachen einbildete, die sie auch sehen wollte?
Gestern war mir so vieles zweideutig vorgekommen, dass ich nicht wusste, was wahr und was falsch war. Der Abend mit Nolan war mir wie durch einen zauberhaften Schleier vorgekommen und wenn ich jetzt daran zurückdachte, dann konnte ich kaum glauben, dass das wirklich passiert war.
Dieses Gefühl, es war wahr gewesen. Ich hatte es ganz deutlich spüren können.

Ein Rascheln ließ mich aufblicken und ich bemerkte, dass der Läufer, der eben noch ein Punkt in der Ferne war, nun auf einmal sehr viel näher war. Der Pfad war sehr schmal und um den Läufer nicht aus seinem Rhythmus zu bringen, sprang ich schnell zur Seite.
Der Läufer passierte mich mit einem dankbaren Lächeln und ich wollte schon wieder auf den Pfad zurückgehen, als ich auf den nassen Blättern ausrutschte. Es zog mir die Füße unter dem Körper weg und ich versuchte vergeblich mein Gleichgewicht zu halten.
Mit einem dumpfen Aufschrei ging ich zu Boden und verzerrte mein Gesicht, als ein schmerzvoller Stich von meinem rechten Knie ausging. Verdammt, ich war falsch aufgekommen, ich konnte nur hoffen, dass ich mir nichts verrissen hatte.
Soviel zu einem entspannten Ausflug in die Natur, um meine Gedanken zu sortieren.

"Alles okay? Das sah ziemlich schmerzhaft aus."
Überrascht schaute ich auf und sah direkt in ein Paar karamellfarbene Augen, die besorgt funkelte. Mein Blick wanderte von seinem Gesicht zu seinen braunen Haaren, die vom Wind zerzaust wurden zu seinem schwarz-grauen Sportoutfit.
Der Läufer, wie ich erstaunt feststellte. Er war kaum älter als ich und hatte ein charmantes Lächeln auf seinen Lippen.

"Es geht schon", winkte ich ab und stand auf. Zu meinem Glück war der Sturz wirklich nicht so schlimm gewesen, wie ich befürchtete und mein Knie tat schon fast nicht mehr weh.
"Es tut mir wirklich leid, ich hätte auch vom Weg abweichen können. Es ist alles meine Schuld, dass so ein bezauberndes Mädchen hingefallen ist. Normalerweise müssten die Jungs dir zu Füßen fallen und nicht umgekehrt."

Ich hob eine Augenbraue und klopfe mir Blätterstücke und Erde von meinem Mantel. Der Dreck würden erst mit Fleckenentferner rausgehen, darum würde ich mich kümmern, wenn ich zuhause war. Dann konnte ich gleich auch noch meine matschigen Schuhe putzen, deren Säuberung ohnehin hinfällig waren.

"Ist das dein Standardanmachspruch?", fragte ich belustigt und klopfte ein letztes Mal auf meinen Mantel, um eventuelle lose Dreckpartikel loszuwerden. "Ist das deine Masche, um die Mädchen rumzubekommen?"
"Das ist meine Art, mich bei schönen Mädchen zu entschuldigen, denen ich Unrecht angetan habe", erwiderte er und sah betreten auf die Spitzen seiner Sportschuhe.
Ich strich mir meine wirren Haare aus dem Gesicht und lächelte ihm zu. Der Schmerz, der von meinem Knie ausgegangen war, war beinahe vergessen. "Dann hat es ja geklappt."

Überraschung blitzte in seinen Augen auf, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Zwar nicht so schnell, dass ich es nicht gesehen hätte, aber ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt. Warum, wusste ich auch nicht wirklich.
"Das... freut mich", sagte er zögerlich und wärmte seine Hände mit seinem Atem auf. Die kleinen Dampfwolken, die dabei aufstiegen, sahen ästhetisch aus. Als er mich wieder anblickte, hatte sich der Ausdruck in seinen Augen verändert. Das Leuchten war verschwunden und er wirkte äußerst nachdenklich, beinahe gedankenverloren.

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