Kapitel 26

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Ich fühlte mich wie gerädert. Es fühlt sich erstaunlicherweise tatsächlich so an, als wäre eine Kutsche samt sechs Pferden über mich drüber gerattert. Daher kam also der Ausdruck, eine sehr weise Formulierung um auszudrücken, dass man sich beinahe wie tot fühlt.

Mein Vater war erst vor kurzem gegangen und ich beobachtete ihn aus dem Fenster meines Zimmers, wie er würdevoll und in aller Ruhe über den Kiesweg zum schmiedeeisernen Tor marschierte. Ich wollte nur sicher gehen, dass er auch wirklich ging und es sich nicht anders überlegte. Eine weitere Überraschung konnte ich unmöglich mitmachen.

Als ich auf die Uhr blickte, war es beinahe 5 und ich war entsetzt, wie spät es schon geworden war. Der Besuch meines Vaters hatte mich mehr mitgenommen, als ich gedacht hatte. In aller Eile hatte ich in der früh ein passendes Outfit in den Tiefen meines Schranks finden können und hatte mich fertig gemacht. Kaum war er in den Flur getreten, war mein Gesicht zu einer makellosen Maske geworden, so wie er es mir jahrelang beigebracht hatte. Ich hatte nichts dagegen tun wollen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich war einfach komplett in mir selbst versunken und hatte alles andere ausgeblendet.
Jamie hatte mir im Nachhinein erzählt, dass Nolan auch gekommen war und nun fühlte ich mein schlechtes Gewissen an mir nagen, weil ich nicht mal das richtig mitbekommen hatte.

"Soll ich Nolan schreiben, dass er kommen kann?", fragte Jamie, die lautlos neben mich getreten war und ebenfalls aus dem Fenster blickte. Ich konnte ihr die ehrliche Erleichterung ansehen, als mein Vater unser Appartement verlassen hatte und konnte es ihr nicht verübeln. 
"Können wir ihm überhaupt schreiben, nachdem ich ihn so vor den Kopf gestoßen habe?"
Ich hasste es, dass meine Stimme zitterte, aber es war echt zum Heulen, dass mein Vater mir den Samstag ruiniert hatte. Und nicht nur das, er hatte mich auch vor Nolan vorgeführt.

Jamie blickte mich von der Seite an. "Klar können wir das. Ich bin mir sicher, dass er versteht, was in die abgegangen ist", beruhigte sie mich und umarmte mich. Seufzend ließ ich es zu, dass ich mich in ihren Armen entspannte und schloss meine Augen.
"Wie habe ich mich benommen?", murmelte ich.
"So wie immer", gab Jamie zurück und ich stöhnte. 
"Na super, also war das wieder eine totale Freak-Show!"
Jamie grinste. "So in etwa."

Missmutig starrte ich nach draußen, aber zum Glück war mein Vater bereits verschwunden. Nach einem Treffen mit ihm fühlte ich mich jedes mal ausgelaugt und total fertig. Doch nun musste ich all die Erschöpfung zur Seite schieben, denn es gab noch eine Party, für deren Planung und Herrichtung ich verantwortlich war.

"Schreib Nolan." Ich hielt inne. "Schreib ihm, dass er nicht kommen soll, um uns zu helfen. Er kann später mit den Gästen kommen, aber jetzt brauche ich noch meine Ruhe."
Ich ignorierte Jamies Blick geflissentlich und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer, um Valerie aus ihrer Höhle zu zerren, damit sie uns half. Wenn ich nicht an ihre Türe klopfte, dann würde sie den Rest des Abends damit verbringen, sich zu schminken und dann würde sie wieder mal vollkommen overdressed erscheinen.

Mit meiner Faust hämmerte ich gegen die Türe. "Komm raus, komm raus, Schätzchen!", rief ich übertrieben laut und wich überrascht zurück, als die Türe aufgerissen würde. Valerie trug eine Avocado-Gesichtsmaske und funkelte mich an.
"Geht's noch lauter oder willst du gleich einbrechen?", keifte sie und rauschte an mir vorbei in die Küche. Grinsend folgte ich ihr und nahm ihr die Kiwi weg, die sie sich gerade schneiden wollte. 
"Nichts da. Als erstes wird aufgeräumt, dann kannst du essen."

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Ich war überrascht, wie effizient meine Drohung war, denn wir hatten es geschafft, in einer knappen Stunde das Appartement zu putzen, herzurichten und alle heiklen Dekorationen außer Reichweite betrunkener Hände zu geben. 
Valerie hatte sich danach einen Snack genehmigt, hatte sich im Eiltempo fertig gemacht und Jamie ebenfalls bei ihrem Outfit geholfen. Kurz darauf waren auch schon die ersten Gäste eingetroffen und die Party war langsam ins Rollen gekommen.

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