Kapitel 11

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Ich war noch nicht mal wirklich aufgewacht, sondern gerade von meiner Schlaf- in die Dämmerungsphase gekommen, da spürte ich die hämmernden Schädelschmerzen bereits, die mich pochend in die Realität holten.
Mit einem Stöhnen massierte ich mir meine Schläfen und rieb mir über mein Gesicht, doch der Schmerz wollte einfach nicht verschwinden. Gott, war das nervig. Ich hasste Kopfschmerzen über alles und in diesem Ausmaß konnte ich überhaupt nicht damit klarkommen.

Blinzelnd öffnete ich meine Augen, doch es war viel zu hell, um etwas zu erkennen. Ich gab ein unwirsches Geräusch, das einem Knurren ähnelte, von mir und zog mir die Decke über meinen Kopf. Ich. hasste. mein. Leben. Schon wieder.
Was war gestern überhaupt alles passiert? Ich konnte mich nur noch vage an Bruchstücke erinnern und daran, dass ich die meiste der Zeit draußen verbracht hatte. Wie war ich hier überhaupt hergekommen?

Aber daran was auch immer passiert war, das konnte warten, bis ich meine Kopfschmerzen bekämpft hatte, denn das hielt ich nun wirklich nicht mehr aus.
Seufzend strampelte ich die Decke hinab und wollte schon aufstehen, als mich eine Welle der Übelkeit erfasste und ich mich schwankend setzen musste. Fieberhaft klammerte ich mich an die Bettkante und starrte auf den Parkettboden, bis ich nicht mehr glaubte, mich übergeben zu müssen.
Also ich hatte gestern echt nicht viel getrunken. Was war dann in den Drinks drinnen gewesen?

Langsam stand ich auf und schlurfte zu Türe, die ich so leise wie möglich öffnete, da jedes lautere Geräusch eine unerträgliche Qual für mich war.
Von der Küche her erklang ein geschäftiges Treiben, das mich anlockte und in der Küche entdeckte ich Jamie, die hastig Eier in die Pfanne schlug. Es roch echt verdammt lecker.

"Morgen...", murrte ich und holte aus einem Schrank Tabletten. Ich warf 2 Brausetabletten in ein Glas, leerte warmes Wasser darüber und sah zu, wie sich das Pulver auflöste.
"Oh, du hier? Ich dachte du bist schon gegangen.", sagte Jamie fröhlich und rührte mit einem Kochlöffel die Rühreier um. Was das Kochen anging, war sie eine geborene Meisterin. 

"Waaas?", fragte ich langsam und war froh, dass sich die Tabletten endlich aufgelöst hatten. Ich stürzte den Inhalt des Glases runter und stellte es in die Spüle. "Warum sollte ich gegangen sein?"
"Ach ich weiß auch nicht, es ist ja nicht Samstag oder Sonntag und du hast heute sicher Kurse.", summte Jamie und schaufelte sich ihr Frühstück auf ihren Teller, wo schon Speck und Brot mit Butter wartete, von ihr verspeist zu werden.

Ihre Worte sackten langsam, aber sicher in mich ein und als ich den Sinn ihres Satzes realisierte, riss ich meine Augen auf. Verdammt, ich hatte gewusst, dass da etwas gewesen war!
Kurz schlug mir mein Herz in einer Art Panikanfall bis zum Hals und ich zog kurz in Erwägung, in mein Zimmer zu rennen und mich fertig zu machen. Doch ich würde so oder so zu spät kommen und in meinem Zustand hatte ich echt keine Lust.

Ich breitete meine Arme aus. "Sieh mich an.", sagte ich zu ihr. "Sieh mich an und dann sag mir, dass ich bereit bin, den heutigen Tag im College zu überleben."
Jamies musternder Blick glitt über mich und ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, was für einen billigen Abklatsch ich abgeben musste: Blasse Haut, Make-up Reste, die mir noch im Gesicht klebten, es aber nicht zu meinem Vorteil abdeckten, verknotete Haare, Augenringe und alles gesteckt in einen XXL-Pulli in schwarz mit einem weißen Micky Maus Gesicht.
Oh ja, ich war das Model des Jahres.

"Okay.", war schließlich ihr Resultat. "Vielleicht solltest du dich heute krankmelden lassen. Soll ich das meinem Dad sagen oder rufst du ihn an?"
Ich schenkte ihr ein schwaches Grinsen und stahl mir ein Brot von ihr. "Bitte mach du das.", erwiderte ich kauend und sie verzog ihr Gesicht.
"Na klar, das sagst du, weil du ihm nicht erklären willst, was gestern bei uns abgegangen ist. Du weißt, wie sehr er das hasst!", rief sie aus und verdrehte die Augen. "Mann, manchmal hasse ich dich." 
"Ich hab dich auch lieb.", antwortete ich und sah ihr dabei zu, wie sie ihr Frühstück in Windeseile aß. 

"Wo ist Val?", fragte ich, während sie mir ihren leeren Teller reichte und ich ihn in den Geschirrspüler steckte. 
"Ach, die ist schon vorausgegangen."
Ich neigte meinen Kopf überrascht zur Seite. "Wie bitte? Was hast du gesagt? Hat sich angehört wie 'Sie ist schon vorausgegangen'."
Jamie stieß ein Lachen aus, während sie sich ihren Mantel überwarf und in den Flur eilte. Ich folgte ihr, das halbe Brot hielt ich noch immer in der Hand. Es schmeckte fantastisch und ich könnte wahrscheinlich Tonnen davon essen, aber ich wollte es mit meinem Magen nicht gleich übertreiben. Trotzdem konnte ich nicht verstehen, wie Jamie so schlingen konnte.

Während Jamie in ihre Schuhe schlüpfte und sich hastig den Schal umband, lehnte ich mich mit einer Schulter gegen die Wand und beobachtete sie.
"Ja also du wirst es nicht glauben, aber als ich aufgestanden bin, war sie gerade beim Weggehen. Sie wollte nicht sagen wieso, aber ich glaube sie trifft sich noch mit Ethan.", meinte sie und gab mir einen Blick á la 'What the actual fuck'.

Ich kicherte und war erleichtert, dass die stechenden Kopfschmerzen dank der doppelten Dosis zu einem dumpfen Pochen zurückgegangen sind. Statt länger zu leiden sollte ich einfach immer mehr nehmen, das half einfach prima und ich fühlte mich auch nicht mehr so innerlich tot. 
"Lass sie doch ihren Spaß haben. Mich würde vielmehr interessieren, was gestern noch alles mit Daemon abgegangen ist."
Jamies Gesicht wurde in wenigen Sekunden rot und sie wandte sich ab. "Also... ich muss jetzt dann los...", murmelte sie vor sich hin, drückte mir schnell einen Kuss auf die Wange und rauschte hinaus. 
Lachend schloss ich die Türe hinter mir und genoss die Stille, die mich erwartete.

Vor mich hin summend ging ich wieder zurück in die Küche, wo ich erstmal zu Ende frühstückte und das Kopfweh ganz abklingen ließ. Wahrscheinlich benahm ich mich wie ein Kind, wenn ich behauptete, dass ich den Moment liebte, wenn die Kopfschmerzen vorüber waren, aber es war halt so und das wollte und würde ich nicht an mir ändern.
Dann putzte ich mir die Zähne, wusch mir das restliche Make-up runter und trat singend unter die Dusche, wo ich meinen Körper und meine Haare ausgiebig shampoonierte. 
Nach meiner Morgenroutine huschte ich in mein Zimmer, wo ich aus meinem Schrank mein Outfit herausholte: Zart-rosa Hoodie und eine ausgewaschene blaue Jeans.
Dazu überschminkte ich meine Sommersprossen und tuschte meine Wimpern etwas, ehe ich meinem Spiegelbild einen Blick zuwarf. So schlecht sah ich gar nicht mehr aus.

Besser gelaunt als am Anfang des Morgens schaute ich in meine Gewandladen und bemerkte, dass die Winterklamotten ziemlich spärlich dalagen.  
Vielleicht sollte ich... aber ich was ja krank... vielleicht sollte ich wirklich...
Ich warf einen Blick auf die Uhr. 8.34.
Rein theoretisch könnte ich shoppen, was sollte ich denn sonst tun? Meine Präsentation hatte ich schon hinter mir und ich war so gut in Chemie, dass ich mir mindestens ein paar Fehlstunden leisten konnte. Also warum nicht?

Angeheitert von meiner spontanen Idee zog ich mir meinen Mantel über und schlüpfte in meine Boots, die voll Erde und Grashalmen war. Ich hielt in der Bewegung inne.
Dieser Anblick rief viele Erinnerungen in mir hoch: Nolan, wie er mich gejagt, gefangen und zurückgetragen hatte. Nolan, wie er sich nochmal vorgestellt und sich quasi entschuldigt hatte. Nolan, wie er mich anlächelt oder Witze macht. Wir zusammen, draußen auf einer Bank, alleine.
Eigentlich... war es echt schön, soweit ich mich erinnern konnte... er war echt nett.
Aber ich war auch echt betrunken, also keine Ahnung, was die Wahrheit war.

Ich schob meine Gedanken zur Seite, als ich spürte, wie mein Herz schneller zu schlagen anfing und packte mit beinahe abgehackten Bewegungen meine Tasche. Ich sollte nicht an ihn denken, wenn er nicht da ist, das wäre seltsam. Wahrscheinlich saß er jetzt im Unterricht und lachte mich im Stillen aus, wie ich mich verhalten habe und dass ich jetzt nicht da war...
Ein Seufzen entglitt meinen Lippen und ich verließ das Appartement.

Am Weg zum Shoppingcenter steckte ich mir Kopfhörer rein und hörte meine Playlist rauf und runter. Der Tag hat eine unerwartete Wendung zum Besseren genommen und als ich durch die automatischen Schiebetüren mit der Menschenmasse in das Center trat, fühlte ich beinahe Euphorie durch mich hindurchströmen. Ich liebte Shoppen einfach über alles.
Alleine war es zwar ein wenig fad, aber das änderte nichts an meiner Liebe.

Außerdem hatte ich ein Vorgefühl, dass es noch ganz lustig werden würde. Vor allem, da mir das Victoria's Secret Geschäft mit ihrer neuen Kollektion ins Auge stach und ich gerade daran gedacht hatte, dass ich neue Unterwäsche echt notwendig hatte.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht gewusst WIE lustig es werden würde...

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