Kapitel 19

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Den letzten Tag vor dem Wochenende schaffte ich es, Nolan aus dem Weg zu gehen und das war auch gut so, denn mit dem Wissen, das ich jetzt mit mir trug, konnte ich ihm unmöglich in die Augen sehen, ohne auszurasten.

Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Website, die ich gestern abends aufgerufen hatte. Engel. Dämonen. Gott. Das war doch absurd, vollkommen gestört. Das war die Realität und kein Fantasie-Film, so etwas kann es unmöglich geben. Andererseits... hätten sie bei jedem Vorfall unsere Gedanken manipuliert und so ihre Aktionen unter dem Radar gehalten...

Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Jetzt fingen meine Gedanken sogar von ganz alleine an, in diese Richtung zu gehen.
Aber alles würde passen... alles würde so verdammt perfekt passen, es würde alles erklären...
Ich biss mir auf meine Unterlippe und schmeckte eine metallische Note, anscheinend war ich mehr angespannt, als ich dachte. Wenn man die Situation, in der ich mich befand bedachte, war meine Reaktion wahrscheinlich angebracht, aber woher sollte ich wissen, wie ich reagieren muss, wenn ich gerade überlegte, ob es nicht Engel gibt!?

Mit einem frustrierten Stöhnen ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken und zählte meine Atemzüge. Das hatte doch alles keinen Sinn, ich würde noch verrückt werden.

"Also nach Lernen sieht mir das nicht wirklich aus.", gab Valerie von sich und ich hörte, wie ihr Gel-Nagel auf ihrem Handybildschirm herumtippte. Eigentlich hatten wir uns am Nachmittag zum Lernen in der Bibliothek verabredet, aber kaum hatten wir uns in eine der hinteren Sitznischen fallen lassen, war ich mit meinen Gedanken abgedriftet und sie hatte ihr Handy gezückt. So viel zum Plan, dass wir lernen.

Ich blinzelte und blickte zu der Bücherwand hoch, die sich vor uns aufbaute und uns vom Rest der Bibliothek abschottete. Ich mochte diesen Teil, er war so privat und fühlte sich vertraut an. Unzählige Male war ich schon hier gesehen, in Bücher vertieft und hatte gelernt, doch heute wollte das irgendwie nicht so klappen. Und dass mich Valerie zum Lernen motivieren würde konnte ich überhaupt in die Tasche stecken.
Miss 'Meine Nägel sind mir wichtiger als der Test in Geschichte' verachtete das Lernen noch mehr als Platzregen, der ihre Frisur ruinieren könnte.

"Mhm...", gab ich von mir und hob meinen Kopf wieder von der runden Holztischplatte und sah zu ihr rüber. Sie saß mir gegenüber in einem grauen Ohrensessel versunken und starrte mit einem leichten Lächeln auf ihr Handy. Die Helligkeit des Screens betonte ihre graziösen Wangenknochen und ich verdrehte meine Augen. Ich würde alles für so ein Aussehen geben, aber lieber würde ich das gesamte College putzen, als ihr das zu sagen.

"Du lernst ja auch nicht.", erwiderte ich und ließ mich seufzend in den Sessel sinken. Auch wenn es mich selbst überraschte, ich hatte absolut keine Lust, mein Wissen zum Thema "Anatomische Monokularzyklen" aufzufrischen.
Val blickte endlich von ihrem Handy auf. "Ich? Du kennst mich doch. Was mich viel mehr verwundert ist, dass du nicht lernst." Sie sah mich durchdringend an. "Probleme mit Nolan?"

Als sie seinen Namen erwähnte, schoss mir Hitze in die Wangen und ich blinzelte hektisch. "Was?", stammelte ich und versuchte, nicht zu schuldbewusst rüberzukommen. "Was meinst du? Ich meine- ich meine, wen meinst du? Nolan und ich haben- er ist- wir sind nicht-"
Valeries Augen blitzten triumphierend auf und ich gab erneut ein Stöhnen von mir. "Ach, lass mich doch!"

"So schlimm?" Ihr Grinsen verschwand und sie musterte mich mitleidig.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. "Woher weißt du das überhaupt?"
"Naja, man hört und sieht Dinge...", deutete sie grinsend an und wackelte mit den Augenbrauen. Eigentlich wollte ich gar nicht mehr wissen, was sie so 'gehört und gesehen' hat.

"Es ist kompliziert.", sagte ich und ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
Langsam beugte sich meine Freundin vor, strich sich ihre geglätteten Haare zurück und legte ihr Handy beiseite. "Hat er von anderen Mädchen geredet?"
Alleine bei dem Gedanken wurde mir ein wenig übel und ich dachte nach. Hatte er je von jemand anderem geredet? Nicht wirklich oder? Aber das hatte doch nichts zu bedeuten?

Protect HerWhere stories live. Discover now