Nolan's Sicht

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Der Abend war wunderschön gewesen.
Miriam und ich hatten eine schöne Zeit zusammen gehabt. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie sie sich ihre Sommersprossen überschminken konnte und ich es noch nie bemerkt hatte. Die Sommersprossen überzog ihre Nase und die obere Partie ihrer Wangen und schmeichelte ihren Augen in einer unglaublichen Art. Ohne der Schminke wirkte ihre Iris viel blauer, beinahe türkis, wie der karibische Ozean. Und ich hatte das ernst gemeint, was ich vor wenigen Stunden zu ihr gesagt hatte. Sie war schön und ihre Sommersprossen machten sie nur noch schöner.
Auch als die anderen gekommen sind, als es schon lange dunkel war, hatte ich wirklich Spaß und meine Sorgen waren unbegründet gewesen. Ich hatte befürchtet, dass sich Miriam von mir abwenden würde und zu Nico oder Valerie gehen würde, doch das tat sie nicht. Am Ende hatten wir uns alle in einem Halbkreis auf das Sofa und erzählten uns gegenseitig lustige Erinnerungen aus unserer Kindheit.
Dass ich der einzige war, der nichts erzählte, schien nur Miriam aufzufallen, denn im Laufe der Geschichte griff sie nach meiner Hand und streichelte mit ihrem Daumen über meinen Handrücken. Ihre Berührung hatte mir kleine Stromstöße den Arm hinaufgejagt.
Gedankenverloren strich ich mir über die Stelle und bildete mir ein, ihren Daumen noch immer auf meiner Haut zu spüren.
Ja, der Abend war definitiv wunderschön gewesen.

Mein Atem entwich mir in Form einer Wolke und ich sah zu, wie sie im Licht der Laternen, die den Rasen säumten, in den Nachthimmel aufstieg.
Mir war selten so kalt gewesen. Eigentlich immer nur, wenn ich mit Miriam gestritten hatte, aber jetzt war ich mir sicher, dass es an der Temperatur lag.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich meine Augen geschlossen und nachgedacht hatte und merkte es erst, als etwas Kaltes meine Nasenspitze berührte und ich mich erschrocken umschaute.
Es brauchte ein paar Sekunden, bis ich bemerkte, dass winzige, weiße Punkte langsam vom Himmelszelt hinabglitten und auf dem Boden zergingen. Schnee.
Fasziniert drehte ich mich im Kreis und nahm die fallenden Schneeflocken in Augenschein, betrachtete das winterliche Naturwunder zum ersten Mal von einer anderen Perspektive. Ich sah den Schnee, wie ihn die Menschen sahen.

Ein Knacksen hinter mir holte mich augenblicklich zurück in die Realität und ich wirbelte herum.
Meine Augen suchten die Dunkelheit ab und ich fixierte die Silhouette eines Baumes, hinter dem ich eine Bewegung im Schatten erhaschte.
Eine Sekunde später trat eine Gestalt auf den Kiesweg und kam gemächlich auf mich zu.

Mehrere Meter vor mir, direkt unter dem Licht einer Laterne blieb er stehen und ich nutzte die Stille, um ihn zu mustern.
Er hatte braune, aufgegellte Haare und etwas hellere Augen, die mich unter seinen dunklen Augenbrauen anfunkelten. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich mir die aggressive Ausstrahlung nicht einbildete, die ihn umgab.
Ich hatte diesen Jungen noch nie gesehen, aber von seinem Alter und der Selbstsicherheit her, die ihn umgab, war er ein Student.

Es irritierte mich ein wenig, dass er nicht weiterging, sondern mich nur durchgehend finster musterte.
Ich legte meinen Kopf schief und versenkte die Hände in meinem Manteltaschen. "Kann ich dir irgendwie helfen?"
Der Junge schwieg und nur durch das Verengen seiner Augen zu Schlitzen wurde mir bestätigt, dass er mich gehört  hatte.
Normalerweise würde ich ihm ein wenig Zeit geben, doch mir war wirklich verdammt kalt und ich wollte nur noch in mein Bett. Oder vorher vielleicht noch eine heiße Dusche nehmen, das hörte sich wirklich sehr verlockend an.

Gerade, als ich mich schnaubend umdrehen und ihn einfach stehen lassen wollte, öffnete er seinen Mund.
"Du hast einen großen, großen Fehler gemacht."
Seine Aussage ließ mich innehalten und ich war noch mehr verwirrt, wenn das überhaupt noch ging. "Kennen wir uns?"
Er ignorierte meine Frage komplett und ging einen Schritt auf mich zu, eine indirekte Drohung, die sogar ich verstand. Meine Finger zuckten, doch ansonsten blieb ich ruhig, noch ruhig.

Protect HerWhere stories live. Discover now