Kapitel 3

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Leider hat sich meine Hoffnung nicht erfüllt und ich war tatsächlich die Letzte, die den runden, amphietheaterähnlichen Unterrichtssaal betrat. Ich konnte nur von Glück reden, dass der Lehrer noch nicht da war und so eilte ich die Stufen hinab zu einer Reihe, wo zwei alte Holzschreibtische nebeneinander frei waren.
Ächzend setzte ich mich auf den einen Sessel und legte meinen Block und einen Stift auf den Tisch vor mir ab, ehe ich die Tasche auf den freien  Stuhl neben mir schmiss.

Keine Sekunde später betrat ein Mann Mitte vierzig mit braunem Anzug den Saal und der Unterricht fing an.

Wenn man mich fragte, warum ich mich für Chemie entschieden habe, dann würde ich diese Antwort wahrscheinlich nicht in einem Satz beantworten können. Chemie lag mir in den Genen, genauer gesagt lag es in den Genen meiner Familie, denn meine Mutter war auch eine großartige Chemikerin. Ich fand Chemie einfach total interessant. Was für andere langwierige Zeichnungen waren, waren für mich Geschichten, die nur der lesen konnte, der es wollte.

Ich liebte diesen Kurs einfach wirklich schlimm. Das, was ich nicht ausstehen konnte, waren Einzelvorträge oder Referate. Mein Lampenfieber machte es mir nicht wirklich leicht, vor anderen zu reden, aber ich hatte nie aufgehört, im Internet nach Lösungen zu suchen.
Blöd nur, dass 'Stelle dir das Publikum nackt vor.' genauso sinnlos für mich war wie 'Atme tief durch und kontrolliere deine Atmung.'

"Miss Taylor", sprach mich der Lehrer mit dem schwarzen, bereits leicht ergrauten Haar von seiner Position unten am Ende der Treppen an. Ich schreckte auf und mein Kopf rutschte dabei von meiner Hand ab. Hastig richtete ich mich auf und schob mir eine rote, nach vorne verirrte Strähne zurück.

"Ja?", fragte ich und überspielte meine Verlegenheit mit einem intensiven Blick auf meinen Lektor. Er stand um die 10 hinunterführenden Stufen entfernt am Rand der kleinen saalähnliche Fläche, die mit zwei Tafeln und einem Lehrertisch ausgestattet war und blickte mich erwartungsvoll an. "Miss Taylor, ihr Vortrag.", erinnerte er mich.

Ach ja, ich hatte ja schon erwähnt, wie sehr ich so etwas hasste. Doch heute bestand mein Vortrag über das Ionenprodukt, eines von vielen Themen, die mir lagen, also würde es hoffentlich nicht so schlimm sein.

Ich nickte dem Lehrer zu und fischte meinen USB-Stick, ehe ich aufstand und langsam die Treppen hinab auf die offene Fläche stieg. Mit klopfendem Herzen ging ich auf den Laptop zu und fuhr meine PowerPoint-Präsentation hoch. Dann stellte ich mich in die Mitte des Saals und wartete, bis sich die ungefähr 70 Studenten beruhigten.

"Heute werde ich euch ein wenig über das Ionenprodukt erzählen. Das Ionenprodukt ist das Produkt der Stoffmengenkonzentrationen aller in einem Medium, wie zum Beispiel Wasser, durch elektrolytische Dissoziation gelösten Ionen. Handelt es sich um eine gesättigte Lösung, so entspricht das Ionenprodukt dem Löslichkeitsprodukt..."

Während ich redete, verlor ich mich selbst in einer Hülle aus Nebel. Es war wie, als würde ich mich selbst beim Reden zuhören, wäre ein weiterer Student auf einem der Sitze.
Je länger ich redete, desto ruhiger wurde ich und mein Vortrag nahm einen entspannten Verlauf.

"Mit Kenntnis des Ionenproduktes von Wasser lassen sich die pH-Werte von gelösten Salzen, Säuren, Basen in Wasser, wie etwa Natriumacetat, Natriumkarbonat, Kalziumoxid, Salzsäure, Schwefelsäure oder-"

Mein inniger Vortrag wurde jäh unterbrochen, als sich die Türen zum Chemie-Saal so schwungvoll geöffnet wurde, dass sie gegen die Wand flogen. Wenn nicht alle schon beim Klang der öffnenden Türen verstummt wären und sich umgedreht hätten, dann hätten sie das spätestens bei dem Knall, der entstand, als die Türen gegen die Wände schlugen.
Ich schloss meinen Mund und sah hinauf.

Im Türrahmen stand eine dunkle Silhouette, deren Aussehen ich nicht sehen konnte, denn das Sonnenlicht, dass vom Fenster des gegenüberliegenden Ganges hereinschien, machte seine Gestalt vollkommen dunkel.

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