Kapitel 12

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'But now it's all good baby
Roll that Backwood baby
And play me close'Cause girls like you
Run around with guys like me'

Ich bewegte mich im Takt zur Musik durch die Gänge des riesigen Victoria's Secret Geschäft und wippte dabei leicht mit meinen Hüften auf und ab. Das Lied war zurzeit Platz 1 der Charts und außerdem Platz 1 in meinem Herzen. Der Text und die Musik gingen mir einfach unter die Haut.

Obwohl es offiziell ein Arbeits- und Schultag war, war es im Shopping Center gestopft voll und auch hier im Geschäft herrschte geschäftiges Treiben. Ich konzentrierte mich auf die Musik und auf die neue Herbst-Kollektion des Geschäfts und ignorierte die Menschenmengen, eigentlich nur Frauen, die sich um mich tummelten.
Wie viele von denen wohl auch schwänzten, um sich stattdessen einen schönen Tag zu machen?

Wenn ich von Anfang an geplant hätte, heimlich ins Center shoppen zu fahren, hätte ich Jamie und Valerie gefragt, ob ich ihnen etwas mitnehmen hätte können, aber so hatten mich meine Ideen selbst überrascht und der Tag hatte eine unerwartet geniale Wendung gemacht. Sowas könnte ich ruhig öfter machen, vielleicht würde ich das nächste Mal sogar meine Freundinnen mitnehmen...

Glücklich summte ich zur Musik mit, durchforstete die Ausstelllagen, nahm schöne Einteiler oder Kombinationen auf meinen Arm und freute mich bei dem Gedanken, was Valerie über meine Auswahl sagen würde.
Ihrer Meinung nach war ich ja schüchtern, beinahe prüde, aber ich würde ihr das Gegenteil beweisen, denn ich konnte so sein, wenn ich es nur wollte. Die würde Augen machen!

'Und danach kann ich auch noch Lebensmittel kaufen, denn unser Kühlschrank ist eh schon leer und wenn sie sauer sind, dass ich ohne ihnen shoppen war, dann werde ich ihnen als Entschädigung einfach etwas Leckeres kochen.', dachte ich gut gelaunt und durchkämmte weiter die Gänge. 'Oder vielleicht kann ich ihnen doch etwas mitnehmen? XXL-Pullis kann jedes Mädchen brauchen...'

"Kann ich Ihnen helfen?", unterbrach eine hohe, klare Stimme meine Gedanken und ich hätte vor Schreck beinahe meine Dessous fallen lassen. Ich blinzelte und meine Sicht von leckerer Pasta mit Ravioli verblasste und ich sah die ältere Frau vor mir an.
Sie war um die 40, hatte blassblonde Haare, die zu einem Pagenkopf geschnitten waren und trug eine weiße Bluse, die ihre blauen Augen noch mehr hervortreten ließ. Auf ihrer Brust steckte ein Schild mit dem Namen 'Amanda P.'.

Ich riss mich zusammen und schenkte ihr ein Lächeln. "Ich bin eigentlich nur auf der Suche nach schöner Unterwäsche...", fing ich an, doch sie unterbrach mich, in dem sie heftig mit dem Kopf schüttelte.
"Liebes, hier sucht niemand einfach nur nach schöner Unterwäsche. Die Leute kommen hierher, um wundervolle Mode für wundervolle Momente zu finden. Also, für wen suchen Sie ihre Mode?" Sie zwinkerte mir zu. "Ihren Freund?"
"Nein!", erwiderte ich heftiger als nötig und meine Wangen röteten sich leicht. Das war doch lächerlich. Ich hatte nicht mal einen Freund.
Auf einmal tauchte Nolan vor meinem inneren Auge auf und ich erstarrte. Einen Moment später schüttelte auch ich den Kopf und verscheuchte den Gedanken so schnell wie er gekommen war.

"Ich habe keinen Freund.", bekräftigte ich und schluckte. Warum tauchte er gerade jetzt auf? Warum musste ich gerade jetzt an ihn denken?
Doch so sehr ich auch versuchte, ihn aus meinen Gedanken zu verdrängen, er tauchte jedes Mal wieder auf, die ganze Zeit. Die Frau hatte sich dazu entschlossen, mir auf meiner Suche nach Dessous zu helfen und ich musste zugeben, dass das eine der besten Entscheidungen heute war, direkt nach der Idee, shoppen zu gehen.
Am Ende hatten wir mehrere wunderschöne Dessous-Kombinationen ausgewählt und ich wusste jetzt schon, dass ich Stress bei der Auswahl haben würde...

Die Dame führte mich nach hinten zu den großen Umkleidekabinen, die mit schweren, roten Samtvorhängen voneinander getrennt waren und hielt mir einen auf, damit ich eintreten konnte. Als ich mich zu ihr umdrehte, lächelte sie mich breit an und musterte mich.
"Wissen Sie...", sagte sie beinahe liebevoll und nachdenklich. "Es hat mich überrascht, als sie gesagt haben, dass Sie keinen Freund haben. Sie sehen echt schön aus, also machen Sie sich keinen Kopf. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie einfach nach mir und ich komme."

Nachdem die Assistentin gegangen war und mich in der Umkleidekabine allein gelassen hatte, musterte mich im deckenhohen Spiegel und versuchte das zu finden, was die Frau in mir sah.
Blaue Augen, groß und rund, blickten mir offen und unschuldig entgegen, als könnte ich kein Wässerchen trüben, obwohl ich gerade meine Kurse schwänzte. Meine Sommersprossen waren als leichte Spuren hinter dem Make-up zu sehen und ich wünschte mir plötzlich, dass ich doch meinen Concealer mitgenommen hätte. Meine roten Haaren umrahmten nicht mehr glatt, sondern lockig mein Gesicht.
Seufzend wandte ich mich ab. Warum versuchte ich zu sehen, was andere sahen, wenn sie mich anblickten? Im Thema Selbstreflexion war ich schon immer schlecht gewesen.

Ich stellte meine Tasche ab, zog mir den Mantel und den Pulli aus. Als ich meine Schuhe abstreifte und meine Socken den kühlen Marmorboden berührten, schauderte ich kurz, doch ich entledigte mich auch meiner Hose. Bei meinem BH zögerte ich kurz, doch auch ihn zog ich aus, damit ich die Dessous-Kombinationen anprobierten konnte.

Je mehr ich probierte und je länger ich vor dem Spiegel posierte, desto lustiger fand ich es und desto lockerer wurde ich.
Ich hatte bereits die letzte Kombination an -einen grauen Einteiler, der mit Seidenbänder in schwarz und goldene Rüschen zum Verzieren- und machte noch eine letzte Umdrehung vor dem Spiegel, warf meinem zweiten Ich eine Kusshand zu und warf meine Haare über meine Schulter.
Kichernd zog ich den Einteiler aus und zog mir meine Jeans und meine Schuhe an, da ich nur noch BHs in der Auswahl zum Anprobieren hatte.

Mit einem sehnsüchtigen Blick sah ich zu dem Haufen, der sich vor mir aufstapelte. Im Endeffekt waren es viel mehr Kombinationen gewesen als ich dachte und es waren viel mehr Teile dabei gewesen, die mir passten und mir gefielen. Die Auswahl würde wie erwartet schwer werden.

"Na klar, und natürlich kann Victoria's Secret nicht so billig sein, dass ich mir all das kaufen kann, was ich will...", grummelte ich vor mich hin und zog mir meinen ersten BH an, einen schwarzen mit zartrosa Blüten. Während ich ihn anhatte, um zu sehen, ob er irgendwo kratzte, sortierte ich schweren Herzens die Kombinationen aus, denn ich konnte mir nur zwei Kombinationen und allerhöchstens einen BH leisten, mehr ließ mein Konto nicht zu. Der graue Einteiler kam leider nicht in die Auswahl und würde auf eine andere Käuferin warten müssen.

Der BH, den ich gerade trug, zwickte leider ein wenig, also wechselte ich ihn, gegen ein Exemplar, das auch schwarz war, halt nur mit mehr Spitze, einer kleinen hellen Masche zwischen den Körben und süßen Mustern. Er passte irgendwie perfekt.
Voller Bewunderung drehte ich mich vor dem Spiegel. Ich wollte nicht sagen, dass ich narzisstisch war, ganz im Gegenteil, aber dieses BH hatte etwas an sich, dass mich glänzen ließ. Er schob meine Haut in ein sanfteres Licht, ließ sie heller und makelloser wirken, als sie war. Ich wirkte beinahe wie eine Puppe mit roten, lockigen Haaren.

Als ich meinem Spiegelbild scherzhaft die Zähne zeigte, raschelte der Vorhang und ich drehte mich um. Amanda, die Assistentin, schob ihren Kopf zwischen den Vorhängen hindurch und lächelte, als sie mich sah. "Der steht Ihnen sehr gut.", meinte sie gutmütig und bei ihrer warmen Ehrlichkeit ging mir das Herz auf. Sie sagte das nicht, um etwas zu Verkaufen, in ihren Augen konnte ich sehen, dass sie das, was sie sagte, ernst meinte.

"Danke, Sie haben mir sehr geholfen.", erwiderte ich freundlich. "Gibt es einen Grund für Ihr kommen? Habe ich zu lange gebraucht?" Unruhe kam in mir auf, als ich überlegte, ob ich nicht zu sehr getrödelt und den Unmut der anderen, die Schlange standen, auf mich gezogen hatte.
Doch die Assistentin schüttelte den Kopf. "Nein, nein, machen Sie sich keine Sorgen, aus diesem Grund wollte ich nicht vorbeischauen. Es hat sich ein junger Mann nach Ihnen erkundigt.", sagte sie und ihr Lächeln wurde zu einem schelmischen Grinsen, als würden wir ein Geheimnis teilen. "Erst wollte ich ihn nicht zu Ihnen durchlassen, aber er hat sie haargenau beschrieben und gemeint, er sei Ihr Freund."

Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Bitte was? Ich konnte mich nicht erinnern, einen Freund zu haben. Oder hatte ich zu einem der Jungen, die bei unserer Party waren, etwas gesagt, an das ich mich jetzt nicht mehr erinnern konnte...?

"Beschreiben Sie ihn bitte.", sagte ich zögerlich.
Die Frau nickte mir zu und ihr Blick würde schwärmerisch. "Also, er sieht sehr gut aus. Ein engelsgleiches Gesicht, mit schwarzen Haaren und unfassbar grauen Augen."
Mein Herz setzte bei ihrer Beschreibung einen Schlag aus. Nein, nein, das konnte nicht sein! Wie hatte er mich gefunden!?

"Er ist nicht...", setzte ich an, doch mein Gesichtsausdruck dürfte etwas Anderes gesagt haben, denn die Frau drehte sich mit einem Kichern um und verschwand, bevor ich sie daran hindern konnte. Einen Moment später hörte ich Schritte, die vor meinem Vorhang stehen blieben.
"Hey Miriam.", ertönte Nolan's sinnliche Stimme, direkt hinter dem Vorhang.

Protect HerWhere stories live. Discover now