Kapitel 13

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Bumm, bumm, bumm, ...
Ich presste meine Hand auf mein Herz und versuchte tief durchzuatmen. Das schnelle, beständige Schlagen war so laut, dass ich Angst hatte, dass es zu hören war.
Bumm, bumm, bumm, ... 
Mein zittriger Atem verließ meine Lippen und ich schaffte es einfach nicht, meinen Atemrhythmus zu kontrollieren. Je mehr ich es versuchte, desto mehr steigerte ich mich hinein und desto höher schlug mein Herz, bis das Pulsieren durch meinen ganzen Körper strömte.

Verdammt, was machte er hier?
Nicht nur, dass das ein Frauen-Unterwäsche-Geschäft war und er sich am vollkommen falschen Ort befand, nein, er hatte mich auch noch auf magische Art gefunden! Das war mehr als seltsam, das war beinahe abnormal und wenn mein Herz nicht so verräterisch schnell schlagen würde, würde ich ernsthaft darüber nachdenken, die Polizei zu rufen.

"Miriam, ich weiß, dass du da drinnen bist." Nolans Stimme erklang direkt hinter dem Vorhang und die Härchen auf meinen Armen stellten sich bei seinem Klang auf. Warum hatte er nur so eine Auswirkung auf mich? Oder lag es daran, dass er plötzlich hier aufgetaucht war und ich kein Shirt anhatte?
Mein Gedanke ließ mich blinzelnd in die Realität zurückkommen und mir wurde bewusst, dass ich wirklich kein Gewand sondern nur den schwarzen BH anhatte. Ich schnappe leise nach Luft.

"Hey, wie lange willst du dieses Spielchen noch mit mir spielen?", fragte er mich und ich konnte vor mir sehen, wie er die Augenbrauen zusammenzog. "Oder soll ich reinkommen?"
"Nein!", schrie ich beinahe und krallte mich mit meinen Fingern an den Rand des Vorhangs, als dieser zu rascheln begann. "Lass mich in Ruhe, du Perversling!"
Wenn ich gedacht hätte, dass mein Herz zu Beginn schnell geschlagen hatte, dann lief es jetzt den Sprint seines Lebens. Ich konnte nicht mal mehr die Schläge zählen, denn seit Sekunden wurde es zu einem monotonen Rauschen geworden.

Hinter dem roten Samtvorhang ertönte ein tiefes Lachen und ich erwischte mich dabei, wie ich gerne mehr davon hören würde. Ich mochte den Klang seines Lachens, wenn ich ehrlich war. Aber da ich mir versprochen hatte, während des Semesters keine Probleme zu machen, würde ich mir das nie eingestehen und ihm das schon gar nicht sagen.

"Shhh~", versuchte er mich glucksend zu beruhigen. "Ich werde schon nicht reinkommen."
Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Worten trauen konnte, aber ruhiger wurde ich deswegen nicht wirklich. Vielmehr war es so, dass mich seine Aura irgendwie anzustacheln schien. 
"Warum bist du überhaupt hier?", wollte ich wissen und meine Stimme war erfüllt von Misstrauen. Also hier ging es echt nicht mehr mit rechten Dingen zu, das war gruselig.
"Du bist nicht im Kurs aufgetaucht und ich habe mir Sorgen gemacht." Sollte ich das süß oder seltsam finden? Wahrscheinlich beides.

"Das erklärt nicht, wie du mich gefunden hast.", erwiderte ich scharf und der Griff um den Vorhang wurde fester, bis meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Und die Stille, die auf meine Aussage folgte, machte die Sache nicht wirklich leichter. Ich wartete und wartete, doch er antwortete nicht. Überlegte er sich gerade eine Lüge aus?
Ich war mir nicht sicher, was mich mehr verwirrte: Die Tatsache, dass er hier war und ich es nicht so schlimm fand wie ich sollte oder dass mich der bloße Gedanke, dass er mich anlügen könnte, enttäuschte. Sonst war ich doch auch nicht so ein Sensibelchen...

"Ich habe mich bei deinen Freundinnen erkundigt und als sie bei dir im Appartement angerufen haben und du nicht rangegangen bist, haben sie mir gesagt, dass du wahrscheinlich im Center sein wirst. Dann haben wir durch deine Nummer dein Handy geortet und so habe ich dich gefunden. Und jetzt bin ich hier.", sagte er schließlich.
"In einem Dessous-Geschäft für Frauen.", fügte ich hinzu.
"In einem Dessous-Geschäft für Frauen.", bestätigte er und in seinem Satz schwang ein Lächeln mit, dass meine Mundwinkel ebenfalls zucken ließ. Verdammt, das war viel zu einfach.

Ich zwang mich zu einem neutralen Gesichtsausdruck und schaltete meine Gefühle aus, um rational denken zu können. 
"Das ist gruselig. Vielleicht bist du doch ein Stalker.", meinte ich sachlich und starrte Löcher in den Vorhang, wo ich glaubte, dass er stand.
Nolan lachte. "Ach komm, darf ich mir keine Sorgen machen?"
Ich verdrehte meine Augen. "Ich kenne dich nicht mal gut."
"Echt?", fragte er süffisant. "Das ist mir gestern aber anders vorgekommen."

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und machte es mir schwer, zu schlucken. "W-was ist denn gestern passiert?" Eigentlich wollte ich es nicht wissen, aber die Neugier siegte über meine Zweifel und beseitigte sie.
"Nun ja, also du hast mir eine Kurzfassung deiner Lebensgeschichte erzählt und wolltest dich vor mir ausziehen. Sei froh, dass ich genug Anstand hatte, um dich daran zu hindern. Und dann hast du dich mehrmals übergeben und wolltest bei mir schlafen. So hat der Abend geendet."

Ich konnte förmlich fühlen, wie meine Gesichtszüge einfroren und ich innerlich starb. Das war mit Abstand der peinlichste Tag in meinem Leben gewesen, kurz gefolgt von dem peinlichsten Moment, den ich jetzt gerade durchlebte. Ich wünschte mir, dass sich der Boden unter mir auftat und mich verschlang, damit ich von hier entfliehen konnte. Ich würde ihm nie wieder in die Augen sehen können.
Am leichtesten wäre es wahrscheinlich, einen Feueralarm auszulösen, damit alle aus dem Shopping Center liefen. Versteckt in der Menge würde ich es nach draußen schaffen und mich direkt auf den Weg nach Hause machen, wo ich meine Sachen packen und in ein anderes Land ziehen würde. Dann würde ich meinen Namen wechseln und-

Ein lautes Auflachen durchbrach meinen Gedankenstrudel und ich kam nicht zum ersten Mal heute in der Realität wieder an.
"Ich wette, du überlegst gerade, wie du mir für den Rest deines Lebens entgehen kannst.", stieß er aus. "Ach, ich wünschte, ich hätte nicht die Hemmung, den Vorhang zur Seite zu ziehen, um dein Gesicht sehen zu können."
Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, was er meinte und wieso er lachte.
"Du Idiot!", rief ich zornig aus und war hin- und hergerissen, zwischen dem Verlangen, ihn zu schlagen und mit ihm zu lachen.
"Sag mir gefälligst die Wahrheit!"

Nolan hüstelte. "Nun ja, also die absolute Wahrheit zu kennen, ist sicher schädlich, aber ich kann dir sagen, was an dem Abend wirklich geschehen ist." Er machte eine dramatische Pause, bevor er weitersprach.
"Eigentlich war es ganz nett. Du hast mir zwar an den Kopf geworfen, dass ich ein Arschloch bin, aber ich verstehe endlich warum. Dann hast du dich entschuldigt, wir haben uns nochmal vorgestellt und einen Neustart gemacht. Als du später aufgestanden bist, bist du auf einmal davongerannt und ich musste dir hinterherrennen und habe dich dann zurückgetragen. Am Ende bist du an meiner Schulter eingeschlafen und ich habe dich zurück ins Bett getragen."

Ich schwieg. Ja, das hörte sich definitiv nach mir an.
"Danke.", meinte ich nach einem längeren Schweigen. "Für alles, was du an dem Abend für mich getan hast."
"Kein Problem.", sagte er leichthin. "Es war meine Entscheidung und ich wollte bei dir bleiben. Du warst betrunken, ich hatte das Gefühl, auf dich aufpassen zu müssen."
Überrascht blinzelte ich. "Echt? Warum das?"
"Ach, weißt du...", fing er an. "Das war einfach so ein Gefühl."

Ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus, bis er wieder das Wort ergriff.
"Sag mal...", begann er langsam. "Willst du nicht rauskommen?"
"Nein?" Ein nervöses Lachen kam in mir auf und ich hielt den Vorhang noch fester, falls das überhaupt möglich war. Meine Hände taten mir schon weh und waren verkrampft.
"Dann darf ich reinkommen?" Seine tiefe Stimme kombiniert mit der Frage jagte mir Schauer über den Rücken und ich erzitterte.
"Nein!", quickte ich und schüttelte mich. "Bleib draußen!"

Durfte er überhaupt hier sein? War es Männern erlaubt, in einen Unterwäsche-Laden für Frauen zu gehen? 
Es regte mich ungemein auf, dass er hier war, auch wenn ich nicht genau wusste, warum.
Vielleicht lag es daran, dass meine Freundinnen ihm geholfen hatten, mich zu finden. Darüber würde ich noch später mit ihnen reden müssen...

"Miriam, eine Spinne krabbelt deinen Arm hinauf!"
Was!? Ich riss meine Arme hoch und sprang vor Schreck zurück, sodass ich mit meinem nackten Rücken gegen die kalte Scheibe des Spiegels knallte und aufkeuchte. Mein Blick scannte hastig über meine Arme, doch ich konnte kein Insekt sehen.
Warte mal... wie konnte er überhaupt sehen, ob mir eine Spinne über den Arm kroch, wenn der Vorhang zwischen uns war...

Im nächsten Moment glitten die roten, schweren Vorhänge auseinander, als Nolan eintrat und die Samtvorhänge sich hinter ihm wieder schlossen.
"Hallo Miriam."
Seine grauen Augen glitten über mich, als würde er meinen Anblick in sich aufnehmen, mich quasi verschlingen. Der Ausdruck in seinem Blick ließ mich gleichzeitig stark und verwundbar fühlen, schön und ihm ausgeliefert, mächtig und doch schwach.
"Hast du mich vermisst?"

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