Nolan's Sicht

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Kaum war ich wieder alleine, umgeben von nächtlicher Stille, stürzten sich meine Gedanken von allen Richtungen auf mich und prasselten wie kalter Regen auf mich ein.

Ich hatte mir das vorhin nicht eingebildet. Dieses seifenblasen-ähnliche Gefühl, das mich wie bei einer Achterbahnfahrt einen rasanten Wechsel zwischen hoch und tief spüren, das mein Herz in Hochtouren schlagen und das mich beinahe durchdrehen ließ. Ich hatte mich unbesiegbar gefühlt und ich wünschte, dass diese Ekstase niemals vorübergehen würde.
In dem Moment war mir die Falschheit der Situation aufgefallen und ich hatte mich in der letzten Sekunde gefasst und zurückgerudert.

Was hatte ich mir nur gedacht? Ich hätte beinahe eine der wichtigsten Regeln gebrochen, hatte mich auf menschlichen Ebenen bewegt und gefühlt, was nur Menschen fühlen können. Dabei sollte ich nie so etwas derartiges fühlen, es war mir schlicht und einfach verboten. Und doch hatte ich Dämonen immer munkeln gehört, dass die verbotene Frucht der größte Genuss für den Gaumen war. Ich fragte mich, ob sie nicht recht hatten. Waren Dämonen böse, weil sie auch bei schlechten Situationen der Wahrheit ins Auge blickten und die Sachen aussprechen, die niemand hören wollte? War eine Sünde wirklich eine Sünde oder bedeutete es einfach, zu leben? War ich schon alleine deshalb nicht mehr engelsgleich, weil ich so dachte?

Ein Flügelschlagen riss mich aus meinen Gedanken und als ich nach hinten blickte, sah ich eine schemenhafte Gestalt aus den Büschen hervortreten.
Das schale Mondlicht ließ blonde, kurze Locken ausgeblichen aufleuchten und ich presste meine Lippen zusammen, als der Neuankömmling sich neben mich stellte und in den Sternenhimmel hinaufblickte. "Von unten sieht unser Reich irgendwie prachtvoller aus. Was für eine Ironie, dass die Menschen eine schönere Aussicht auf den Himmel haben als wir selbst."
"Was willst du, Baliel?", fragte ich schlecht gelaunt und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

Der Engel des Nordens warf mir einen Seitenblick seiner eisblauen Augen zu und seine Mundwinkel erzeugten perfekte Fältchen, als er mich anlächelte. Ich wusste nicht, wie es schaffte zu lächeln und dabei gleichzeitig so emotionslos und unnahbar auszusehen.
"Man sagt mir, dass ich einen Fehler gemacht habe, dich auf die Erde geschickt habe. Bist du derselben Meinung?"

Seine Worte jagten mir Eisspeere direkt ins Herz und mir war von einen Moment auf den nächsten so kalt, dass ich mich zusammenreißen musste, um die Arme nicht um meinen Oberkörper zu schlingen. Das war nicht real, er konnte unmöglich etwas von dem wissen, was ich getan hatte. Oder besser gesagt: was ich nicht getan hatte.
Also entweder improvisierte er, um mich aus den Reserven zu locken oder er spielte eines seiner Spielchen mit mir, die ich so verabscheute.

Betont gelassen wandte ich mich ihm zu und hob spöttisch eine Augenbraue. "Und du bist so naiv, den Gerüchten zu glauben? Du solltest es besser wissen, Baliel."
Der Engel schüttelte bloß den Kopf und ging nicht auf meine Stichelei ein. "Die Gerüchte besagen so einiges, dass mich misstrauisch machte. Sie lassen dich wie, wie soll ich sagen" er legte den Kopf schief "wie einen Rebellen dastehen."
Ich erschauderte. "Das ist doch lächerlich", meinte ich, doch meine Stimme klang seltsam dünn. Einen weiteren Fehltritt konnte ich mir unmöglich leisten. Ich hatte gedacht, dass mein Verhalten im Verkehr untergehen würde, doch anscheinend hatte ich mich getäuscht. Wahrscheinlich hätte ich es besser wissen müssen, denn speziell als Engel wusste ich, dass wir unsere Augen und Ohren überall hatten.

"Das finde ich auch", antwortete Baliel mir und schenkte mir wieder dieses leichte, distanzierte Lächeln, das ihn mehr wie einen Eisprinzen darstellte, als wie einen Engel. Aber das Ideal, dass wir alle blond und blauäugig waren, traf nur auf die wenigsten zu. Außerdem würden ihm, selbst wenn Baliel herumbrüllte, dass er ein Engel sei, nur die wenigsten glauben. Dafür sorgte schon seine kühle Ausstrahlung, denn von einem Engel nahm man an, dass sie warm und gutherzig seien. Baliel war eher die menschliche Version einer gefrorenen Scheibe.

Der Engel fuhr sich durch seine Locken und atmete aus. "Doch ich bin nicht hier, um dir meine Meinung mitzuteilen, sondern um dir eine Botschaft vom hohen Rat zu überbringen."
Ich versuchte, seinen emotionslosen Blick standzuhalten und forderte ihn mit einem knappen Nicken dazu auf, weiterzureden.
"Die Engel sind unruhig, Nathaniel", sagte er und es klang mehr wie eine finstere Prophezeiung als wie eine normale Nachricht. "Dein Name wird immer öfter ausgesprochen und nicht immer wird er im Guten verwendet. Du solltest vorsichtig sein, denn sie sind misstrauisch."

Seine Worte nahmen mir den Atem und ich brauchte mehrere Momente, um Luft zu holen.
Sie waren auf meinen Rettungsversuch aufmerksam geworden, sie schöpften Verdacht. Wenn ich das nicht umgehend die Kurve kratzte, dann würde ich meine Karriere gefährden. Das war es doch, was ich unbedingt vermeiden wollte. Ich hatte vorgehabt, professionell an die Sache heranzugehen und sie sauber zu beenden, doch irgendwie...

Rote Locken blitzten in meinen Gedanken auf und ich unterdrückte ein Lächeln.
Irgendwie war mir bloß das Beenden meiner Zeit als Schutzengel nicht mehr so wichtig. Natürlich wollte ich zu einem vollständigen Engel werden, aber nicht, wenn das bedeutete, sie auf Distanz zu halten. Nicht auf körperlicher, sondern auf seelischer Distanz. Das konnte und wollte ich nicht und das zu realisieren ließ mein Herz verräterisch schnell schlagen.

"Und was soll ich jetzt machen?" Ich leckte mir über meine trockenen Lippen. "Der Rat kann mich beobachten, doch sie werden nichts finden."
"Wie gesagt, ich bin nur ein Botschaftler." Baliel zuckte mit den Schultern und sah mich an.
"Was? Baliel der Engel des Nordens ist nur ein Botschaftler?", fragte ich hämisch.
Für einen Moment blitzte etwas in Baliels Augen auf, dass aus seinem kühlen Blau ein eisiges Feuer werden ließ. Doch dann blinzelte er und das Feuer war wieder verschwunden, zurück blieb die gewohnte leere in seinem Blick.
"Mach dich nicht lächerlich. Ich habe einfach nichts besseres zurzeit zu tun", gab er zurück.

Ich zuckte mit meinen Schultern und wandte mich ab. "Wie du meinst. Ich für meinen Teil habe genug geplaudert und werde nun zurück in mein Appartement gehen und ein gutes, kaltes Bier trinken", meinte ich und winkte ihm zu. "Da ich nicht annehme, dass du mitkommen willst, sondern dich wie ein Heiliger zu deinen Nonnen-Freunden gesellen wirst, verabschiede ich mich."
"Nathaniel", sagte Baliel kühl und hielt mich ab, zu gehen. "Engel sind Heilige, zumindest wenn sie ihre Zeit als Schutzengel absolviert haben. Das verstehst du noch nicht, aber du wirst verstehen, was ich meine, wenn du selbst einer bist."
"Oh ja, ich verstehe jetzt schon, dass eure Zeit so viel langweiliger ist als meine."

Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich in Bewegung und entfernte mich von Baliel. Das Gespräch hätte ich eigentlich streichen können, denn es hatte meine Laune gerade in den Keller gesenkt.
"Der Engelsrat hat dich im Auge!", rief mir Baliel unheilvoll hinterher, doch ich blieb nicht stehen und sah nach hinten. Er konnte sich die Seele aus dem Leib schreien. Die Ironie des Satzes ließ mich grinsen.
Vielleicht ließ sich der Abend doch noch retten.

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Halli-Hallo, meine lieben Leser!
Ich hoffe, dass euch die letzten paar Kapitel gefallen haben und ihr noch nicht das Interesse an der Story verloren habt.
Dabei will ich gar nicht um den heißen Brei reden und komme schon zu meinen Fragen:

#) wie würdet ihr reagieren, wenn ihr erfährt, dass es Engel gibt?

#) findet ihr es gut, wie Miriam die Sache aufnimmt?

#) was wird im Engelsrat passieren?

Tada, tada, tada und das wäre es auch schon wieder gewesen! Das begehrte Fragen-Quiz ist vorbei und wir sehen uns in 5 Kapiteln, hihi, sehen wir mal, wie sehr ich das eskalieren kann und wie viele Cliffhanger noch kommen ^^

mysaac~

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