Kapitel 16

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Kaum hatte ich die Türe zu unserem Appartement hinter mir ins Schloss fallen lassen, näherten sich mir Schritte und Valerie tauchte im Gang auf. Ihre eisblauen Augen erfassten mich und sie schlitterte wortwörtlich über den Parkettboden auf mich zu, wobei sie es gerade noch so schaffte, vor mir zum Stehen zu kommen.
Ich hatte nicht erwartet, dass ich überhaupt eine von den beiden antreffen würde, aber als Jamie auch aus der Küche ihren Kopf streckte, musste ich auf die Uhr blicken. Es war später, als ich erwartet hatte, dabei war es mir gar nicht so lange vorgekommen...

Und so, wie Jamie und Valerie aussahen, hatten sie vor einer ganzen Weile schon ihren letzten Kurs gehabt, denn Valerie steckte in einem schwarzen, flauschigen Einteiler mit Kapuze, den man vorne mit einem Reißverschluss zumachen konnte und Jamie trug einen grauen, viel zu großen Hoodie und eine graue Jogginghose mit roten Socken, auf denen Schneeflocken aufgedruckt waren.
Irgendwie fühlte es sich gleich viel weihnachtlicher an... 

"Da bist du endlich.", stellte Val fest und zog mich in eine feste Umarmung. Als sie mich losließ, beäugte sie mit einem kritischen Blick meine Sackerl und runzelte die Stirn. "Sag bloß, dass du ohne uns shoppen warst und uns nicht mal was mitgenommen hast!"
Ich zuckte entschuldigend mit den Schulter und überreichte ihr zwei Plastiksackerl. "Ich habe euch Essen mitgebracht, gebt euch damit zufrieden.", erwiderte ich, stellte meine Tasche auf den Boden und zog meinen Mantel und meine Schuhe aus.

Als ich mich wieder aufrichtete, hatte meine Freundin meinen BH aus dem Victoria's Secret Sackerl gefischt und hielt ihn triumphierend hoch. "Na, was haben wir denn da?", krakeelte sie und wackelte mit dem Teil in der Luft. "Und für wen ist der?"
"Val, lass meine Sachen!", schimpfte ich und wollte ihr den BH abnehmen, aber sie hatte sich kichernd abgewandt und flitzte in die Küche. "Jamie, schau mal, was sich Miriam gekauft hat!", hörte ich sie rufen und verdrehte meine Augen, als ich ihr in die Küche folgte.
Dort kam mir der leckere Geruch von Mangold und Knoblauch entgegen und ich schielte kurz zum Herd, an dem Jamie jetzt lehnte und sich ein Grinsen verkniff. Ein kläglicher Versuch.

"Gib mir meinen BH.", grollte ich und jagte Valerie einige Runden um die Kücheninsel, bis wir uns beide keuchend auf die Barhocker fallen ließen und sie mir den BH zuwarf. Ich legte ihn auf meine Schoss und schloss meine Augen, wartete, bis ich wieder zu Atem kam.

"Und...", stieß Val schließlich aus. "Für wen ist der?"
"Für mich."
"Aber für welchen Jungen?"
Ich riss meine Augen auf und starrte meine Freundin an, die mich aufmerksam musterte.
"Muss ich einen Grund haben, warum ich mir einen schönen BH kaufe?", versuchte ich mich zu rechtfertigen, doch der Blick, den sie mit Jamie tauschte, sagte mehr als tausend Worte.

"Naja..." Valerie spielte mit ihren Fingern und blickte betont unbeteiligt auf die Platte der Kücheninsel, als gäbe es nichts interessanteres auf der Welt. Langsam kam ein seltsames Gefühl in mir auf und ich hegte den Verdacht, dass da noch mehr dahinter war.
"Als Jamie aus hatte, ist sie gleich ins Appartement gekommen, um nach dir zu sehen, weil es dir ja nicht gut ging. Aber als du nicht da warst, haben wir uns echt Sorgen gemacht und dich auch angerufen, doch du bist nicht rangegangen. Wir dachten, dir ist etwas passiert..."

Sofort schaute ich auf mein Handy und sah, dass ich 7 verpasste Anrufe von Jamie hatte und 12 von Valerie. Ich schaltete mein Handy auf laut und legte es auf den Tisch. Da ich gedacht hatte, dass ich heute meine Kurse besuchen würde, hatte ich ganz vergessen, mein Handy auf laut zu stellen.

"Tut mir leid, ich habe vergessen, euch zu-"
Ich hielt mitten im Satz inne und blinzelte. Warte mal, da passte irgendetwas nicht. In Gedanken ging ich nochmal Valeries Aussage durch und versuchte herauszufinden, was mich daran störte. Was war es nur, was war es nur... Irgendein Satzteil, ein Wort, was nicht in die Geschichte passte, störte mich massiv und ich brauchte mehrere Minuten, um zu realisieren, was es war.
Als sich dann alles zusammenfügte, riss es mich hoch und ich fuhr erschrocken zusammen, weil mein auf den Tisch abgestützter Arm abrutschte.

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