Nolan's Sicht

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Die Welt hatte sich so sehr verändert, wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste.
Autos hatten Kutschen ersetzt, Häuseranlagen wurden Palästen vorgezogen und jeder starrte wie besessen in dieses kleine eckige Teil, dass sie Smartphone nennen.
Ungehalten verzog ich mein Gesicht. Ich konnte diese Dinger jetzt schon nicht ausstehen, aber wie es schien, zählte meine Meinung nicht und Raphael, dieser Idiot, hatte mir sogar eins von diesen Teilen besorgt. 'Damit du nicht herausstichst wie ein Glühwürmchen in der Nacht.', hatte er mit einem Augenzwinkern gemeint.

Eigentlich sah das Ding nicht schlecht aus. Es war ganz schwarz und hatte einen großen Bildschirm. Außerdem hatte ich gratis Datenvolumen im ganzen Land. Was auch immer das heißen mochte. Und trotzdem hatte es keine Internetverbindung zum Himmel, weil die Zentrale dort oben nun mal kein Festnetz hatte. Also war das Teil mehr Zierde als nützlich.
Zwar hatte ich mir einen Wälzer in der Dicke eines weltweiten Wörterbuches über die Begriffe, Kleidung und anderem nützlichem Zeug der heutigen Zeit durchlesen müssen, aber manches würde mir wohl immer ein Rätsel bleiben.

"Hey."
Ich sah von dem schwarzen Bildschirm auf und blickte zu einem Mädchen mit schwarzen Pagenkopf und stechend blauen Augen. Sie trug einen schwarz-weiß gestreiften Pullunder und einen schwarzen Rock, der viel zu viel Haut zeigte. Und dass, obwohl es so kalt war.
Bei ihrem Anblick zog ich die schwarze Jacke enger um mich, obwohl mich das auch nicht wirklich wärmte. Warum war ich nochmal hier draußen?

Gleich, nachdem die Stunde geendet hatte, war das Mädchen mit den feuerroten Haaren neben mir aufgestanden und hinausgehastet. Das war gut so, denn ich hatte ohne Grund meinen Mund geöffnet, weil ich zu ihr etwas hätte sagen wollen. Ich war mir nicht sicher warum, aber ich hätte wahrscheinlich irgendeinen Blödsinn von mir gegeben, der total bedeutungslos war und mich ins Lächerliche gezogen hätte. Warum hatte ich meinen Mund überhaupt aufgemacht?
Normalerweise war ich nicht der Typ, der unbedacht drauf losredete, aber bei ihr hatte ich einfach das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen.

Während sie ihre Präsentation gehalten hatte, hatten wir die ganze Zeit Blicke getauscht. Sie hatte echt schöne blaue Augen, aber die haben ihren Vortrag auch nicht besser gemacht. Ständig hatte sie sich versprochen, hatte gestottert und schien generell total nervös gewesen zu sein. Ich hatte schon viele Vorträge mit angehört und das war definitiv nicht die Beste gewesen.

Taylor. Der Lektor hatte sie Miss Taylor genannt.
Konnte es sein... Konnte es wirklich sein...? Oder war es nur Zufall? In dieser Generation dürfte 'Taylor' nicht so ein seltener Nachname sein, also könnte rein theoretisch noch alles offen stehen.

Jedenfalls war ich aufgestanden, um ihr zu folgen und sie nach ihrem Namen zu fragen, aber ich hatte sie in der Menge verloren. Beim Erzengel, in diesen Gängen bekam man ja regelrecht Platzangst...
Um es milde auszudrücken war ich extrem erleichtert, als ich durch die Aula endlich nach draußen gelangen konnte und hatte mich am Rand des Rasens auf eine freie Bank gesetzt, um in Ruhe nachzudenken. Naja, bis jetzt jedenfalls.

"Ich habe dich noch nie hier gesehen, bis du-"
"Bist du Miriam Taylor?", unterbrach ich sie und kniff meine Augen zusammen, da mir die Sonne direkt in die Augen schien.
Das Mädchen warf mir einen verwirrten Blick zu. "W-was? Wer?", fragte sie komplex.
Ich stieß ein Seufzen aus. Waren alle Menschen hier schwer von Begriff? "Miriam Taylor. Bist du Miriam Taylor?"

Erkenntnis zeichnete sich auf dem Gesicht des Mädchens ab und noch bevor sie den Mund öffnete wusste ich bereits die Antwort.
"Nein, ich bin nicht Miriam Taylor."
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Hände hinter meinem Kopf. "Gut. Dann interessierst du mich nicht.", meinte ich leichthin und gähnte.
Sie blinzelte langsam und ihre Wut funkelte erst in ihren Augen, dann verzerrte sie ihre Gesichtszüge. "Was soll das heißen?", keifte sie und ihre Stimme wurde unangenehm hoch. "Nur weil ich nicht Miriam Taylor bin heißt das, dass ich nicht gut genug für dich bin? Ich bin sogar tausend mal besser als sie, das kannst-"
"Du kennst sie?", fiel ich ihr schon wieder ins Wort. Eigentlich hatte ich nicht die geringste Lust, mich mit diesem Mädchen zu unterhalten, aber wenn sie in irgendeiner Verbindung zu Miriam Taylor stand, musste ich da wohl oder übel durch.

Protect HerWhere stories live. Discover now