Kapitel 27

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Im Vergleich zu der warmen, stickigen Luft, die noch immer nicht aus unserem Appartement durch die Fenster ziehen wollte, war der Novemberwind eisig. Ich zog mir den Schal über die Nase und versuchte, die Kälte auszublenden, was nicht wirklich leicht war, wenn man bedachte, dass die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt lag. Warum tat ich mir das an, dass ich am Sonntag Vormittag rausging, statt es mir gemütlich zu machen?
Ah ja, weil ich mit dem Einkaufen dran war und es vergessen hatte. Und mich eine ausgehungerte Valerie und ein pingelige Jamie dazu gezwungen hatten, am Sonntag noch einkaufen zu gehen. An einem Sonntag.

"Also eigentlich würde ich ja den Supermarkt bevorzugen, da der wenigstens drinnen ist, aber da am Sonntag alles zuhat, müssen wir uns wohl mit dem Straßenmarkt zufrieden geben", meinte ich zu Nolan, der sich erfreulicherweise bereitgestellt hatte, mich zu begleiten. Als ich heute aufgewacht war, hatte ich Nolan schlafend auf unserer Couch entdeckt. Sein Shirt war ihm ein wenig hochgerutscht und die Decke hatte sich um seine Hüften geschlungen und seinen Körper fabelhaft betont. Ein bloßer Gedanke an die nackte Haut ließ meine Wangen rot werden.
Als ich ihn aufgeweckt und gefragt hatte, was zur Hölle er auf unserer Couch zu suchen hatte, hatte er komplett nüchtern erwidert, dass er nicht nochmal riskieren wollte, dass ich in Gefahr geriet.
Ich würde niemals zugeben, dass mir seine Wort das Herz erwärmt hatten.

"Also ich finde das gar nicht so schlimm", antwortete mir Nolan und blickte gen Himmel, der ganz bewölkt war. "Mir ist nur kalt, weil dir kalt ist."
"Dann bin ich ja nicht alleine." Meine Zähne schlugen gegeneinander und ich war stolz, wenigstens bei meinem Satz das Zittern verbergen zu können.
Nolan schüttelte mit einem seligen Lächeln seinen Kopf und ich war schon wieder versucht, durch seine vom Wind verwehten Haare zu fahren. Ob sie so weich waren, wie sie aussahen?

Mit einer energischen Bewegung wandte ich mich ab und schenkte meine Aufmerksamkeit den Ständen. Zu beiden Seiten einer Nebengasse waren kleine, liebenswürdige Zelte aufgebaut, in denen ältere Menschen ihre Waren anpriesen oder locker miteinander plauderten.
Für die kalte Jahreszeit waren die alten Leute schon früh und erstaunt energievoll unterwegs. 

Ich blieb vor einem rot-weiß gestreiften Zelt stehen und betrachtete die in Schalen hergerichteten Tomaten. Sie waren weder gleich groß, noch hatten sie annähernd dieselbe Form, aber alle hatten einen gesunden Schimmer und sahen saftig aus.
Nolan war neben mir stehen geblieben und blickte fasziniert auf das Gemüse herab. Seine Hand pflückte sich eine kleinere Tomate von der Rispe. Bevor ich ihn davon abhalten konnte, führte er die Tomate zu seinen Lippen und steckte sie sich in den Mund.

"Nolan, die darfst du nicht essen, bevor wir sie nicht gekauft haben", zischte ich und verdrehte die Augen. Ich hatte gedacht, dass es eine gute Idee gewesen wäre, ihn mitzunehmen, aber nach allem war er immer noch ein Engel, der keinen blassen Schimmer von der Welt hatte. Oder vielleicht hatte er ein Basis-Wissen, aber ganz sicher nicht über den Straßenmarkt.

Er neigte kauend den Kopf zur Seite und blickte mich aus grauen Augen offen an.
"Dann kauf sie", meinte er schmatzend und rieb sich die Hände. "Sie sind ausgesprochen lecker." 
Ungeduldig stampfte ich mit einem Fuß auf den Pflasterstein-Boden. "Das ist nicht der Kern des Problems. Du darfst nicht einfach das Gemüse von den Ständen essen, wenn wir es nicht gekauft haben."

Ich verstummte, als eine ältere Frau zu uns trat. Sie trug eine dreckige Jacke und darüber eine Kochschürze, was sie echt süß aussehen ließ. Ihr von Falten gegerbtes Gesicht machte einen freundlichen Eindruck und sie sah Nolan voller Nachsicht an.
"Es kommt nicht selten vor, dass sich Kunden bei meinen Tomaten bedienen, weil sie einfach nicht widerstehen können. Auch, wenn es bis jetzt nur Kinder waren." Sie zwinkerte Nolan zu, der sich mittlerweile ein wenig unwohl in seiner Haut zu fühlen schien. Er erwiderte ihr herzliches Lächeln unsicher und trat von einen Fuß auf den anderen.

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