Kapitel 1.03 - Der Geist ist willig ...

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Kapitel 1.03 – Der Geist ist willig ... 

 Severus öffnete eine Schranktür nach der anderen. Hinter jeder fand er entweder Essen oder Geschirr oder beides. Und jede schlug er wieder zu. 

 Er schloss die Augen, stützte sich mit einer Hand auf der Arbeitsplatte ab, griff sich mit der anderen an die Nasenwurzel. Er wollte nichts essen. Der Heiltrank, mit dem Granger ihn gestern gequält hatte, quälte ihn auch heute noch. Er reagierte empfindlicher darauf als andere Patienten – jedenfalls hatte Poppy das gesagt. 

 Nicht dass er an dieser Information interessiert gewesen wäre. 

 Und Granger hatte den Trank auch noch höher dosiert als üblich. Er stöhnte. Ob sie wohl wusste, was sie ihm damit angetan hatte? 

 Aber er musste etwas essen, damit hatte sie recht. Er fühlte sich schwach und zittrig, es lagen Monate hinter ihm, in denen er nur mit dem absoluten Minimum an Nahrung und Wasser versorgt worden war. Und die letzte Nacht hatte zumindest seinen Ernährungszustand nicht verbessert. 

 Mit verkniffenem Mund wandte er sich wieder dem Schrank zu, in dem er ein Toastbrot entdeckt hatte. Er nahm eine Scheibe aus der Tüte und sah sich um. Es gab keine Muggelhaushaltsgeräte hier, keinen Toaster. Und er hatte keinen Zauberstab mehr, Lucius hatte ihn zerbrochen, als er ihn gefangen genommen hatte. Verdrossen sah er auf das weiße, labbrige Brot hinab. Also gut, dann eben so. 

 Gestern Abend hatte Granger ein Labor erwähnt. Während Severus langsam das weiche Brot aß, plante er, es sich anzusehen. Vielleicht könnte er sich den einen oder anderen lindernden Trank selbst zubereiten; er war es leid, dass sie ihm zu jeder sich bietenden Gelegenheit einen unbeschrifteten Trank zuschob. Und er vermisste es, am Kessel zu stehen. 

 Seitdem Lucius die Führung der Todesser übernommen hatte, hatte Severus kaum noch Gelegenheit gehabt, im Labor zu arbeiten. Lucius war ein Zauberstab-Magier. Für den Dunklen Lord hatte Severus hin und wieder noch Tränke zubereiten müssen, insbesondere Veritaserum und diverse Gifte. Lucius ging die Dinge anders an. Er folterte Gefangene lieber, um an die Informationen zu kommen, die er suchte. Nicht dass der Dunkle Lord nicht gefoltert hätte, aber er verlor schnell die Geduld und bevor er versehentlich jemanden umbrachte, den er noch brauchte, griff er lieber auf wirksamere Methoden zurück. Lucius hingegen ließ sich gern Zeit.

 Und wenn es Monate dauerte ... 

 Severus riss sich blinzelnd aus seinen Gedanken. Wo war er stehen geblieben? Ach ja, er hatte lange nicht mehr im Labor gearbeitet. 

 Und gleichzeitig hatte er es die ganzen letzten Monate getan. 

 Das Labor war sein Zufluchtsort gewesen, seitdem er zum ersten Mal hinter einem Kessel gestanden hatte. Hier war alles geplant, vorhersagbar, geordnet, wunderschön. Es war auch in den letzten Monaten seine Zuflucht gewesen. Er hatte sich so lange und so tief in dieser Vorstellung versteckt, dass er sie jetzt vermisste. Vor allem vermisste er die Gesellschaft von Meister Dendron, seinem damaligen Ausbilder. Die Realität fühlte sich irreal an. Vielleicht konnte er dieses Empfinden etwas lindern, wenn er hier Zeit im Labor verbrachte. 

 Aber vorher ging er zurück in sein Zimmer und suchte nach der Kiste mit den persönlichen Gegenständen, die Granger erwähnt hatte. Er fand sie ganz hinten am Boden des Schrankes. Es war eine kleine Kiste, etwa von der Größe einer Zigarrenschachtel. Severus schob den Deckel ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Albus hatte alle seine Sachen magisch verkleinert, damit sie in diese kleine Kiste passten. „War das wirklich nötig?", grollte Severus. 

 Er stand einen Moment lang bewegungslos vor seinem Tisch. Es widerstrebte ihm, Granger um ihren Zauberstab zu bitten. Aber wenn er mit seinen Sachen etwas anfangen wollte, dann blieb ihm nichts anderes übrig. 

Advocatus DiaboliWhere stories live. Discover now