Kapitel 1.05 - In den Tiefen der Seele

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Kapitel 1.05 – In den Tiefen der Seele 

 Am nächsten Spätnachmittag hatte Severus sich mit einem Buch auf die Terrasse zurückgezogen. Er hatte das absurde Gefühl, dass das Haus sich seit dem Wintereinbruch gestern noch nicht wieder aufgeheizt hatte. Aber das war Irrsinn. Die Sonne machte aus ihrer Dimension unter der Barriere eine Art Gewächshaus. Es war wieder warm. Viel zu warm!

 Dennoch überzog eine Gänsehaut seinen Körper, immer und immer wieder fröstelte es ihn. Deswegen war er freiwillig rausgegangen und hatte sich in die pralle Sonne gesetzt. Ein bisschen besser war es hier geworden, doch bis in sein Innerstes schien auch diese Wärme nicht vorzudringen. Selbst hier zitterte er hin und wieder. 

 Mit Granger hatte er seit gestern kein Wort mehr gewechselt. Sie waren sich aus dem Weg gegangen und angesichts der miesen Laune, die er heute hatte (dreimal hatte ein verdammter Traum ihn letzte Nacht aus dem Schlaf gerissen!), war das auch besser für sie beide. Bei ihrem hitzigen Gemüt und seinen strapazierten Nerven konnte er für nichts garantieren. 

 Als hätten seine Gedanken sie heraufbeschworen, trat Granger in diesem Moment auf die Terrasse hinaus. „Professor Snape?" 

 Er knurrte zum Zeichen, dass er sie hörte. 

 „Möchten Sie auch etwas essen? Ich habe gekocht." 

 „Nein." 

 Sie blieb stehen, schwieg einen Moment, dann: „Sie sollten wirklich etwas essen, Sir."

 Widerwillig sah er von seinem Buch auf und blinzelte sie gegen die Sonne. „Ich habe keinen Hunger, Miss Granger." 

 Sie runzelte die Stirn und musterte ihn mit den aufmerksamen Blicken einer Heilerin. Severus' Finger pressten sich fest gegen den Buchdeckel. „Schlechter Tag?", fragte sie dann vorsichtig und vielleicht war es ein Versöhnungsangebot. 

 Unter normalen Umständen wäre er auf dieses Angebot nicht eingegangen. Aber das hier waren keine normalen Umstände. Er war des Kämpfens müde. Deswegen nickte er. „Ja, schlechter Tag." Und das bereits seit dem Frühstück, welches er nicht länger als zehn Minuten bei sich behalten hatte. Sein Körper war in einem entsetzlichen Zustand. 

 Sie nickte. „Kommen Sie nachher zu mir wegen der Wunden auf Ihrem Rücken", erinnerte sie ihn mit ruhiger Stimme, dann wandte sie sich ab und kehrte ins Haus zurück. 

 Severus sah ihr hinterher. Nach ein paar Sekunden wandte er sich wieder seinem Buch zu, aber er konnte sich nicht auf die Worte konzentrieren. Seine Gedanken schweiften ab, wanderten in die Vergangenheit zurück. Sein Geist zerrte eine Erinnerung hervor und zwang ihn, sie anzuschauen. Dabei wollte er sie doch so dringend hinter sich lassen ... 

 Er konnte nichts sehen. Es regnete. Es war dunkel. Und diese verdammte Maske machte es nicht besser! Severus stolperte und wäre beinahe in den Schlamm gestürzt. Schwankend fand er sein Gleichgewicht wieder. Blieb stehen, den Zauberstab erhoben. Sein Atem kondensierte in der kühlen feuchten Luft. Wasser sickerte durch seine Umhänge. Vor seinen Augen verschwamm der Regen mit den schwarzen Umrissen der Kämpfenden vor den blitzenden Lichtern der Flüche. Es war laut. Jemandes Schrei war trotzdem deutlich zu hören. 

 Er konnte nichts sehen! Mit dieser Maske war es noch gefährlicher als ohne sie. Egal. Er riss sie sich vom Gesicht und warf sie achtlos in den Dreck. 

 Jemand rempelte von hinten gegen ihn. Severus geriet wieder ins Straucheln, fing sich, drehte sich um. „Tut mir leid!" Die Stimme von Avery. 

 Severus nickte mechanisch. Avery lief in die Masse der Kämpfenden zurück. Severus hob seinen Zauberstab, zielte und jagte ihm einen Stupor auf den Hals. „Keine Ursache." 

Advocatus DiaboliWhere stories live. Discover now