Vere dictum

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Vere dictum 

 „Du solltest hingehen", hatte sie gesagt. 

 „Es ist wichtig für dich", hatte sie gesagt. 

 „Vielleicht hilft dir das, damit abzuschließen", hatte sie gesagt. 

 Dass schon beim Anblick von Lucius' blondem Haarschopf die alte Angst zurückkehren würde, hatte sie nicht gesagt. 

 Severus holte tief Luft und hielt sie einen Moment lang an. Er spürte seinen Herzschlag überall, seine Hände waren kalt und feucht und er sank ein bisschen tiefer auf der Bank im Gerichtssaal 3 des Zaubereiministeriums. Er hatte sich ganz außen an den Gang gesetzt und sah sich zu den Türen um. Ja, sie waren offen. 

 Der Saal war voll. Ein Summen hunderter flüsternder Stimmen lag in der Luft. Es waren so viele Menschen hier und Lucius war darüber offensichtlich sehr zufrieden. Er sah skandalös gut aus angesichts der Tatsache, dass er die letzten fünf Jahre in Askaban verbracht hatte. Seitdem das Gefängnis nicht mehr von Dementoren bewacht wurde, konnte man es dort offensichtlich aushalten. 

 Fünf Jahre. 

 Solange hatte es gedauert, bis alle Opfer dazu in der Lage gewesen waren, ihre Aussage zu machen. Fünf Jahre bis Lucius alle Rechtsmittel ausgeschöpft hatte. Severus hatte immer geglaubt, diese unendlich langen Prozesse wären ein Problem der Muggelwelt, aber nein. Die magische Rechtsprechung gab das auch her, wenn man über genug Geld verfügte. Nun hatte Lucius sein Vermögen anscheinend aufgebraucht. 

 In der vordersten Reihe saß Narcissa. Ihr blondes Haar fiel in diesem düsteren Saal genauso auf wie das von Lucius. Severus konnte nur ihren Hinterkopf sehen, aber Lucius schien nicht zufrieden mit ihr. Er rümpfte die Nase und wandte den Blick ab. 

 Aufrecht saß er auf der Anklagebank. Das Haar ein bisschen unordentlich, aber alles in allem sah er gut aus. Viel zu gut, wenn es nach Severus ging. Sein Blick schweifte über die Menge der Hexen und Zauberer, die das Ende dieses Prozesses miterleben wollten. An Severus blieb er hängen. Erst weiteten sich seine Augen ein bisschen, dann grinste er hämisch. 

 Severus schluckte und reckte das Kinn vor. Ohne es wirklich zu merken, drehte er den Ring an seiner linken Hand. 

 Nein, er hatte Hermine nicht darum gebeten, ihn zu heiraten. Das hätte er niemals getan. Ein Teil von ihm war immer überzeugt davon gewesen, dass sie eines Tages ihren Irrtum bemerken und gehen würde. Er hatte sie nicht fester als nötig an sich binden wollen. Nein, Hermine hatte ihn gefragt. Und dieser Teil von ihm hatte kein Problem damit gehabt. 

 Inzwischen hatte er sich an den Ring gewöhnt und er hatte angefangen, aufrichtig daran zu glauben, dass Hermine bleiben würde. Und eben diesen Ring drehte er nun also an seinem Finger. Er tat das oft, wenn er nichts mit seinen Händen anzufangen wusste. Der Ring verband ihn mit Hermine und Hermine gab ihm Kraft. Genug Kraft, um Lucius' Blick standzuhalten. Vielleicht war es das, was auch Narcissa getan hatte, denn Lucius war mit diesem Blickkontakt genauso unzufrieden wie mit ihrem. 

 Je länger Severus in diesem Gerichtssaal saß und Lucius beobachtete, desto ruhiger wurde er. Lucius war unbewaffnet. Lucius war gefesselt. Er konnte nicht mal alleine aufstehen, denn als die Mitglieder des Zaubergamots den Gerichtssaal betraten und der Sprecher sie darum bat, zur Urteilsverkündung aufzustehen, musste einer der hinter Lucius stehenden Auroren einen Bann aufheben, damit er der Bitte nachkommen konnte. 

 Severus war so in seine Gedanken vertieft, dass er beinahe das Urteil verpasst hätte. „... erklären wir den Gefangenen Lucius Malfoy für schuldig in allen Anklagepunkten. Er wird mit dem Dementorenkuss bestraft." Severus zog die Augenbrauen hoch. Als Wärter hatte man sie aussortiert, aber so ganz konnte die Magische Welt sich offensichtlich nicht von den Dementoren verabschieden. 

 Lucius war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen, als er sein Urteil gehört hatte. Und die Zuschauer im Gerichtssaal? Sie begannen zu klatschen. 

 Zum ersten Mal wandte Severus den Blick von Lucius ab und sah sich im Gerichtssaal um. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass die Mehrheit der Anwesenden nicht irgendwelche Schaulustigen waren, sondern Opfer und Angehörige von Opfern. Genauso wie er. Er holte tief Luft und es fühlte sich an, als würde er auch das gerade zum ersten Mal tun, seitdem er beschlossen hatte herzukommen. 

 Schließlich landete sein Blick bei den Mitgliedern des Gamots, die in ihren pflaumenblauen Roben auf den Bänken saßen. Wie von allein suchte er nach Albus und fand ihn in einer der hinteren Reihen. Er sah ihn an und nickte kaum wahrnehmbar. Sie hatten in den letzten fünf Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Hermine hatte ihm erzählt, was tatsächlich in diesem Haus passiert war, und er hatte es akzeptiert. Aber sie hatten beide kein Bedürfnis danach gehabt, weiter Kontakt zueinander zu haben. Abgesehen vom Kampf gegen den Dunklen Lord und später Lucius hatte es nichts gegeben, das sie miteinander verbunden hatte. Für Severus war es befreiend gewesen, Abschied von Albus zu nehmen. 

 Und nun durfte er auch Abschied von Lucius nehmen. Er wurde jetzt durch den Gang der Zuschauerbänke hindurch aus dem Saal geführt und als er an Severus' Platz vorbeikam, stemmte er die Füße in den Boden und sagte: „Severus! Du hier?" 

 Severus fing den Blick des Aurors ein, der Lucius vor sich hergetrieben hatte und nickte. „Offensichtlich", schnarrte er dann. 

 Lucius sah ihn geringschätzig an. „Ich hab gehört, du hast dir nicht nur ein neues Schlammblut gesucht, sondern es auch noch geheiratet." 

 Das Raunen, das sich nach der Urteilsverkündung und wegen der Verzögerung erhoben hatte, wurde lauter. Nur in ihrem direkten Umfeld waren die Leute still und horchten. Severus hätte erwartet, dass all die Leute hinter ihm ihn stören würden. Aber so war es nicht. Im Gegenteil. Sie stärkten ihm wortwörtlich den Rücken. Er stand nicht allein vor dem Mann, der seine monatelange Folter befehligt hatte. Er zog die Schultern zurück, streckte den Rücken durch. 

 „Ich hab sie nicht gesucht, Lucius. Sie hat mich gefunden und sie hat mich in mehr als einer Hinsicht befreit. Insbesondere von dir." 

 Lucius verzog das Gesicht, als hätte er einen üblen Geruch in der Nase. „Du widerst mich an", zischte er. 

 Und Severus lächelte, bevor die Auroren Lucius weiter den Gang hinunter schoben. 

- - -

 „Wie war es?", fragte Hermine, als er später an diesem Tag nach Hause kam und sich neben ihr auf das Sofa setzte. Sie hatte ein Buch auf ihrem runden Bauch liegen und steckte nun einen Finger zwischen die Seiten, ehe sie es zuklappte. 

 „Gut", entgegnete Severus. „Wo ist Eric?" 

 „Mit meinen Eltern am Anleger, Boote gucken." Sie verdrehte die Augen, lächelte aber. „Ist das alles, was du dazu sagen wirst? Nur gut?" 

 Severus sah sie an, während er eine Hand auf ihren Bauch legte. Ja, diese Schwangerschaft war geplant gewesen, auch wenn er immer noch nicht so richtig wusste, wie sie ihn davon überzeugt hatte. Aber Eric war ... ganz gut geraten, würde er behaupten. Sie beide zusammen mit der Hilfe von Isobel ergaben offensichtlich ein passables Umfeld für ein Kind. Er hoffte sehr, dass sie es auch für zwei sein würden. 

 „Severus?" Sie neigte den Kopf zur Seite und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. 

 Er lächelte. „Du hattest recht. Es war wichtig für mich hinzugehen." Und dann küsste er sie und sein Körper fand das immer noch so außergewöhnlich und wundervoll, dass er ein bisschen Adrenalin ausstieß.

Advocatus DiaboliOnde histórias criam vida. Descubra agora