Kapitel 1.11 - Leidenswilligkeit

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Kapitel 1.11 – Leidenswilligkeit 

 Severus nahm die Flasche Feuerwhiskey aus der Vitrine im Wohnzimmer und ging in die Küche. Er goss sich ein normales Wasserglas halb voll und nahm einen großen Schluck davon. Der Whiskey brannte in seiner Kehle. Er stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte, fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. 

 „Sie sollten nicht zu viel Alkohol trinken, während Sie den Trank nehmen. Das verträgt sich nicht besonders." 

 Er sah auf. Granger stand im Türrahmen. „Ich hab letztens mehr Alkohol getrunken", erinnerte er sie mit dunkler Stimme. 

 „Ich weiß. Alkohol ist nicht tabu, er beeinträchtigt nicht die Wirkung oder so, aber ... Sie reagieren empfindlicher darauf. Übertreiben Sie es nicht." Sie ging an ihm vorbei und setzte sich an den Tisch. 

 Severus schloss kurz die Augen. Fand, dass sie gerade nicht die richtige Person war, um mit ihm über gemäßigten Alkoholkonsum zu sprechen. Ließ den Gedanken aber fallen, weil ... Minerva. Er setzte sich auf die andere Seite des Tisches. Seine Knie fühlten sich weich an und das lag nicht am Alkohol. 

 Sie schwiegen. Grangers Blick lag auf ihm und Severus bemerkte, dass es ihn nicht störte. Es lag nichts Forderndes darin. Irgendwie wusste er, würde er jetzt eine Stunde lang schweigen und dann kommentarlos aufstehen und gehen – es wäre okay. Und irgendwie konnte er genau deswegen, als er sein Glas längst geleert hatte, erzählen: „Lucius hat sie entführen lassen. Ich weiß nicht, wie lange sie schon dort war." 

„Professor McGonagall verschwand am 25. Mai." 

 Severus schnaubte und wischte sich wieder über die Augen. „Miss Granger, ich habe keine Ahnung, wann was passiert ist." Er stockte, blinzelte einige Male, bis die weißen Punkte verschwunden waren, und fügte dann hinzu: „Gerade jetzt fühlt es sich an, als wäre es eben erst passiert." 

 Stille. Vier, fünf, sechs Sekunden lang. Dann: „Was ist passiert?" 

 Severus runzelte die Stirn. Er schaffte es nicht, Granger anzusehen, als die Erinnerung wieder lebendig wurde vor seinen Augen. „Ich denke, sie war schon länger da. Sie trug nur ein ... dreckiges Leibchen. Ihre Haare waren offen, ich hatte sie so noch nie gesehen." Sein Daumen strich über das Glas, das er immer noch in der Hand hielt. „Sie war gefesselt. Hatte einen Sack über dem Kopf." Er schluckte. 

 Er hörte Granger langsam ausatmen. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen, die Augen geschlossen. Dann stand sie auf, nahm sich ebenfalls ein Glas aus dem Schrank und goss sich Whiskey ein. Bot auch ihm etwas an. Severus zog eine Augenbraue in die Stirn, sie zuckte mit den Schultern. Als er nickte, schenkte sie ihm nach. 

 Severus trank einen Schluck, bevor er fortfuhr: „Lucius zwang sie, zu entscheiden, wer von uns gefoltert wird. Er nannte es ein Spiel ..." Severus schnaubte und wischte sich über den Mund. „Natürlich wollte sie alles auf sich nehmen." 

 „Wollte?", fragte Granger. 

 „Hat", korrigierte er sich, „Sie hat alles auf sich genommen." Es war unwichtig, was er abbekommen hatte. Das war nur fair gewesen. Aber als er Grangers Blick begegnete, wusste er, dass sie es trotzdem verstanden hatte. 

 „Sie hat das getan, um Sie zu schützen", sagte Granger heiser. 

 „Ich weiß!", sagte er scharf und sah Granger ungehalten an. Langsam senkte er den Blick wieder. „Ich weiß ... Sie hätte lieber sich selbst retten sollen. Sie war ein ... so viel besserer Mensch, als ich es jemals sein könnte. In jeder Hinsicht." Er wandte den Blick ab, als etwas in seiner Brust anschwoll, und leerte sein Glas in einem Zug, schluckte es mit runter. 

Advocatus DiaboliWhere stories live. Discover now