Kapitel 1

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Kapitel 1

 „Nein."

 „Miss Granger, wenn es eine andere ..."

 „Nein!" 

 Professor McGonagall setzte erneut zum Sprechen an, aber bevor sie auch nur ein Wort hervorgebracht hatte, sagte Hermine erneut: „Nein." Sie hob eine zitternde Hand, um ihre ehemalige Lehrerin vom Sprechen abzuhalten, schloss kurz die Augen. Wie fremdgesteuert tastete sie nach der Kette, die sie trug, nach dem kleinen goldenen Herzanhänger. Sie atmete tief durch. „Es tut mir ... wirklich leid, dass Sie extra hergekommen sind für diese Antwort, aber ... nein." Ihre Stimme bebte. 

 Professor McGonagall sah sie über den Rand ihrer Brille hinweg an, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Sie wirkte völlig deplatziert auf Hermines kleinem Sofa. Ihre sonst so korrekte Körperhaltung wollte ihr nicht richtig gelingen, die Art, wie sie die Knie zusammenhielt, sah anstrengend aus.

 Hermine versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Professor McGonagall hatte diese Fähigkeit, einem nur mit Blicken ein schlechtes Gewissen bereiten zu können. Und ein schlechtes Gewissen war der erste Schritt zur Kapitulation, die sie sich in diesem Fall nicht erlauben konnte. Nicht wenn es um Severus-verdammt-noch-mal-Snape ging. 

 Die Stille dehnte sich wie ein Vakuum, das ihre Selbstbeherrschung zu zerreißen begann. Sie spürte das Pochen ihres Herzschlages in ihrem erhitzten Gesicht, ihre Hände waren eiskalt. „Ich kann nicht, Professor McGonagall", sagte Hermine flehentlich. „Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben."

 Professor McGonagall fasste sich an den Ärmel ihrer Robe und versuchte erneut, sich auf dem weichen Sofa gerade hinzusetzen, wieder erfolglos. „Ich möchte mir nicht anmaßen zu behaupten, ich könne verstehen, was Sie zu diesem Entschluss geführt hat, Miss Granger. Wenn die Lage anders wäre, würde ich es respektieren – und wie Sie gemerkt haben, tat auch Severus das in den letzten zwei Jahren. Aber jetzt hat sich die Lage geändert und ich ... er ... wir brauchen Ihre Hilfe." 

 Hermine vermied es noch immer, Professor McGonagall anzuschauen. Stattdessen fixierte sie einen Krümel auf ihrem Couchtisch, der vor ihren Augen zu hüpfen schien, je länger sie ihn ansah – und das auch noch im Takt ihres Herzschlages. Sie schloss die Augen. 

 Ihre Gedanken rasten und kamen dabei keinen Zentimeter vorwärts. Seit den ersten Notfällen in der Muggelnotaufnahme hatte sie sich nicht mehr so überfordert und ratlos gefühlt, während sie gleichzeitig nur schwer den Impuls beherrschen konnte, irgendetwas zu tun. In ihren Beinen kribbelte es.

 Sie hatte geglaubt, sie hätte den Tod ihrer Mutter verwunden; sie hatte geglaubt, sie hätte inzwischen ihren Frieden geschlossen mit dem Verlauf der Dinge vor zwei Jahren. Nun, offensichtlich war dem nicht so. Es hatte nur eine Person gebraucht, die diesen Namen aussprach, und schon war alles wieder da. Der Kloß in ihrem Hals, das Rauschen in ihren Ohren und das Gefühl auf einem Karussell zu sitzen. Sie hasste es, dass dieser Mann das bei ihr auslösen konnte. 

 Hermine blinzelte. „Bitte verlangen Sie das nicht von mir", sagte sie so leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte.

 Professor McGonagall rutschte ein Stück nach vorn und griff nach Hermines Händen. Die Wärme der Berührung überraschte sie so sehr, dass Hermine scharf einatmete und sie nun doch ansah. Die Augen ihrer ehemaligen Lehrerin waren größer als sonst, sie war blasser geworden in den letzten Minuten und die dunklen Ringe unter ihren Augen bemerkte Hermine erst jetzt. „Ich kann nur vermuten, wie schwer es für Sie gewesen ist, Ihre Mutter auf diese Art zu verlieren. Ich weiß allerdings, wie tief die Wunden sind, die ein Verrat schlägt. Auch ich habe schon mehrmals geglaubt, Severus hätte mich verraten und ich habe jedes Mal beschlossen, ihn für immer aus meinem Leben zu streichen. Aber es hat sich jedes Mal herausgestellt, dass er eine Wahl innerhalb begrenzter Möglichkeiten treffen musste. Dass es keine richtige Entscheidung gab in diesen Situationen. Irgendwen musste er verletzen und vor so einer Wahl zu stehen, wünsche ich niemandem." 

Medicus IIIWhere stories live. Discover now