Kapitel 36

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Kapitel 36

Es war nicht so, wie Hermine befürchtet hatte. Die Erinnerung zog sie nicht komplett mit sich. Sie lief nicht mal ganz, geschweige denn chronologisch ab. Hermine hörte das Kaminfeuer und ihre eigene Stimme, als sie sagte: „Rede mit mir!" Sie klang nur nicht so, wie sie sich kannte. Sie klang eher wie ihre Patienten, bevor sie ihnen einen dringend nötigen Schmerztrank gab – gepresst und höchst angespannt.

„Nein, Hermine, rede du mit mir! Was siehst du?"

Sie schüttelte den Kopf, als ihr Geist einen Sprung tat und sie urplötzlich das Echo des Cruciatus spürte. Sie schrie leise auf, es war so unerwartet passiert. Rons Gesicht. Sein leerer Blick. Dann wurde das Knistern des Kaminfeuers wieder lauter. „Nein", sagte sie. Sie wollte raus aus den Bildern, nicht noch tiefer rein.

Severus stieß einen unzufriedenen Laut aus. „Schön", knurrte er. Und dann begann er, ihr einen Vortrag über die Zubereitung des Wolfsbanntrankes zu halten. Hätte Hermines Geist sie nicht gerade wieder mit den Einzelheiten ihrer Folter gequält, hätte sie gelacht.

Während ihr Geist sich also an ihr abreagierte, ihre Muskeln sich unter den alten Schmerzen verspannten und der ständige Wechsel zwischen Heute und Damals sie so schwindelig machte, dass ihr übel wurde, war Severus' Stimme wie ein Fixpunkt. Er sprach in einer gleichmäßigen Geschwindigkeit und so ruhig, dass ein Teil ihres Verstandes die ganze Zeit wusste, dass sie in Sicherheit war. Es hinderte ihren Körper nicht daran, sie mit so viel Adrenalin zu überschwemmen, dass sie glaubte, ihr würde gleich das Herz aus der Brust springen, aber es gab etwas in ihr, das sich erinnerte.

Eine kleine Ewigkeit später ließ es endlich nach. Mit wunden Muskeln und geschlossenen Augen ließ sie sich in ihren Sessel sinken und atmete tief durch. Allmählich ebbte auch die Übelkeit ab. Ihre Zunge war so trocken, dass sie ihr am Gaumen festklebte. „Hast du ein Glas Wasser für mich?", fragte sie erschöpft.

„Natürlich." Sie hörte ihn aufstehen und das Wohnzimmer verlassen.

Hermine zählte ihren Herzschlag, den sie noch immer in ihren Ohren pulsieren hörte. Langsam kehrte die Erinnerung an die Momente vor dieser kleinen Eskalation zurück. Er hatte darüber nachgedacht, den Kontakt abzubrechen? Es sollte sie nicht so sehr schockieren, wie es das tat. Er war immer noch Severus, auf seine Art ergab dieser Impuls wohl Sinn.

Dann kamen seine Schritte zurück und sie quälte sich, die Augen zu öffnen, um ihm das Glas aus der Hand zu nehmen. Das Wasser war eiskalt, sie trank es in kleinen wohltuenden Schlucken. Und begegnete Severus' Blick. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen.

„Es ist Wahnsinn, was du dir antust, Hermine."

„Ich tue mir nichts an, diese Erinnerung macht das."

„Das meine ich nicht", entgegnete er ungeduldig. „Ich meine, dass du weiterhin Kontakt zu Ronald hast. Dass du weiterhin Kontakt zu mir hast. Und was du in Kauf nimmst, um das auszuhalten ..." Er presste die Lippen aufeinander und atmete scharf aus. „Du hast mir heute morgen gesagt, du würdest auf dich aufpassen, aber das tust du nicht."

Sie schluckte. Senkte den Blick. Strich mit dem Daumen am Rand des Glases entlang. Er hatte recht. Sie sollte diejenige sein, die den Kontakt zu Ron und möglicherweise auch den zu Severus abbrach, und sich woanders Hilfe suchen. Vielleicht einen Muggeltherapeuten. Wenn sie ein paar Details ausließ, könnte sie die meisten quälenden Aspekte ihrer Erinnerung vielleicht besprechen. Aber allein der Gedanke schnürte ihr den Hals zu. Allein der Gedanke war wie ein schweres Gewicht auf ihrer Brust und ihren Schultern und irgendwie wie ... fallen. Als würde sie den Halt verlieren und das Gefühl war so überwältigend, dass sie den Gedanken von sich schob. „Ich würde mehr leiden, wenn ich dich und Ron aufgeben würde", sagte sie leise.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now