Kapitel 8

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Kapitel 8

Hermine gab ihm ein paar Minuten Zeit, dann stand sie auf und folgte ihm in die Küche, wo er am weit aufgerissenen Fenster stand. Er stützte sich mit beiden Händen auf der Arbeitsplatte ab, sein Atem kondensierte in der kühlen Aprilluft.

Sie schauderte, als sie aus der Hitze des Kaminfeuers hinter ihn trat. Deswegen und weil der Anblick der Küche sogar in ihrem Kopf schlimme Bilder heraufbeschwor. Sie versuchte, sie mit einem Kopfschütteln loszuwerden. „Wie geht es dir?", fragte sie, während sie die Arme um ihren Körper schlang. Ihn zu duzen, kostete sie immer noch Überwindung.

Er schnaubte. „Ziemlich mies ...", wiederholte er ihre Worte.

„Bitte schau mich an." Einige lange Sekunden reagierte er nicht. Dann löste er die Hände von der Arbeitsplatte, was so mühsam aussah, als hätten sie bereits Wurzeln geschlagen, die er mit reiner Willenskraft aus dem Holz ziehen musste. Sein Augenlid zuckte, während er versuchte, ihrem Blick standzuhalten. „Es geht mir gut", sagte sie dann eindringlich. „Es dauerte ein paar Minuten, aber dann vergingen die Gefühle."

„Es war auch nicht deine Erinnerung."

„Stimmt. Für dich wird es sicherlich schwieriger. Aber ich werde da sein. Ich werde dir helfen, so gut ich es kann. Und wenn du es nicht mehr aushalten kannst, dann werde ich dir einen Trank geben, mit dem du dich entspannen kannst."

„Was ist, wenn du mir nicht helfen kannst?"

Hermine holte tief Luft. „Dann werde ich jemanden finden, der es kann." Er sah nicht überzeugt aus. Sie seufzte. „Du wolltest das mit mir machen. Ich hab dir gesagt, dass ich keine Erfahrungen damit habe." Jedenfalls nicht auf der helfenden Seite, fügte sie in Gedanken hinzu. „Ich hab zwar viel gelesen, als ich versucht habe, in deinen Geist einzudringen, aber das ersetzt keine Erfahrung. Ich hab nur meine medizinische Ausbildung. Und mein Bauchgefühl." Sie biss sich auf die Unterlippe. „Wenn du Zweifel hast, sollten wir es lassen."

Er rieb sich die Stirn. „Nein."

Ihr Blick glitt über ihn. Über die Falte zwischen seinen Augenbrauen, die linke Hand, die er zur Faust geballt hatte, die schmalen Lippen. Diese Erinnerung schien ihm sehr zuzusetzen. „Bist du dir sicher?", fragte sie.

„Nein. Du etwa?", fragte er scharf.

Sie schüttelte den Kopf. „Das hier ist keine gute Idee", murmelte sie.

„Potter den Dunklen Lord umbringen zu lassen, war auch keine gute Idee und trotzdem hat es irgendwie funktioniert", entgegnete Severus.

„Du willst das unbedingt mit mir machen, oder?"

Er schnaubte, verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will es gar nicht machen."

Hermine zitterte in der Kälte, die vom offenen Fenster zu ihr drang. Seine Ambivalenz verunsicherte sie, auch wenn sie sie verstehen konnte. Sie konnte verstehen, dass er sich mit diesen Erinnerungen nicht befassen wollte, und sie konnte verstehen, dass er nicht länger abhängig sein wollte von einem Käfig in seinem Geist, der nicht seiner Kontrolle unterlag. Sie konnte alles davon verstehen – und trotzdem verunsicherte er sie damit.

Ihr Blick schweifte durch die Küche. Rechts neben dem Fenster war die Hintertür, durch die sein Vater ihn gezerrt hatte, als ... Schräg hinter ihnen stand der Tisch, an dem er ... Hermine schloss kurz die Augen. „Wie hältst du es aus, in diesem Haus zu leben?"

Severus sah sich ebenfalls um. „Ich kenne es nicht anders."

Sie neigte den Kopf zur Seite. Er schien tatsächlich keinen Zugang zu den eingeschlossenen Erinnerungen zu haben. Es war ein beunruhigender Gedanke, dass sie einen Teil seines Lebens kannte, auf den er keinen Zugriff hatte. Als hätte sie heimlich sein Tagebuch gelesen. Ein Tagebuch, von dem er nicht mehr wusste, was darin stand.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now