Kapitel 33

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Kapitel 33

Es war viertel nach eins, als Hermine vor Severus' Haus apparierte, und auch wenn das tatsächlich etwas früh war für nachmittags, hatte sie mit einem nicht gerechnet: Dass er nicht zu Hause war.

Sie hatte damit sogar so wenig gerechnet, dass ihr diese Erkenntnis erst dämmerte, nachdem sie bereits mehrere Minuten vor seiner Tür gewartet hatte. Zugegeben, sie hatte die meiste Zeit davon eine kleine Delle im Holz angestarrt, völlig in ihren Gedanken verloren. Aber irgendwann drang die Erkenntnis sogar in ihren umnebelten Verstand vor und sie sah irritiert an der Fassade hinauf, bevor sie die drei Stufen, die zur Eingangstür führten, wieder hinunterstieg.

Langsam ging sie zur Straße und sah sich nach rechts und links um. Die Häuser hier waren allesamt alt, dreckig und viele von ihnen leerstehend und baufällig. Vor den verlassenen Häusern sammelten sich Sperrmüllberge, ein alter Fabrikschornstein ragte hoch in den Himmel. Zum ersten Mal realisierte sie, in was für einer Gegend Severus wohnte. Bei ihrem Spaziergang am Anfang ihres Arrangements war es dunkel gewesen und wenn sie sonst zu ihm kam, war sie immer so auf ihn fixiert, dass sie keinen Blick für die Umgebung hatte.

Da es sie nicht in ihre Wohnung zog, lief sie ziellos durch die schmalen Gassen, bog mal rechts und mal links ab, sah auf ihrem Weg wenige bewohnte und noch mehr verlassene, baufällige Häuser. Das ganze Viertel schrie Muggel, nichts deutete darauf hin, dass außer Severus noch andere Magier hier wohnten. Es gab keine Häuser, deren Existenz sich durch nichts anderes als Magie erklären ließ, keine Eulenstangen an den Fenstern, keine Zauber oder Banne – jedenfalls keine, die sie hätte wahrnehmen können. Falls es hier noch andere Magier gab, versteckten sie sich genauso geschickt wie Severus.

Schließlich bog sie in eine Gasse, die sie fort führte vom Wohnviertel und irgendwann hörte sie neben ihren Schritten auf dem Kopfsteinpflaster noch ein anderes Geräusch. Ein Plätschern. Als sie eine Baumreihe passiert hatte, fand sie sich an einem Fluss wieder. Er war dreckig wie die Straßen und etwa fünf Meter breit an der Stelle, an der sie stand. Das trübe Wasser brach sich an einem Findling nahe des Ufers. Überall lag Müll herum. Auch das gegenüberliegende Ufer war mit Bäumen und Büschen bewachsen und von Müll verdreckt, so dass sie nicht sehen konnte, was dahinter lag.

Die Stelle, an der der Weg endete, war eine der wenigen, an der die Sonnenstrahlen bis auf den Boden fielen. Hermine schloss die Augen und genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. Trotz des dreckigen Wassers und des vermüllten Ufers war es irgendwie friedlich hier – solange sie die Augen zu ließ.

Sie sah sich nachdenklich um und mit einem Wink ihres Zauberstabes verschwand der Müll. Der Fluss war zwar immer noch dreckig, aber wenigstens die Ufer waren auf einige Meter hinaus sauber. Sie zeichnete eine Bank in die Luft und setzte sich, sobald sie sich materialisiert hatte.

Zuerst hörte sie neben dem Wasser nur die Bäume rauschen und spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie glaubte ein schrilles Lachen in der Ferne zu hören. Dann schaffte sie es, sich auf das vereinzelte Vogelgezwitscher zu konzentrieren. Sie wurde schläfrig, aber auch das machte ihr Angst, denn in letzter Zeit war Schlaf die Folter geworden, die ihr eigener Geist ihr antat.

Hermine stützte die Ellbogen auf ihre Knie und den Kopf in die Hände, starrte erschöpft auf den Fluss. War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen, die Erinnerung an die Nacht im Wald frei zu lassen? Vielleicht hatte Severus recht gehabt und es war einfach zu viel für sie. Vielleicht war sie nicht stark genug, um damit zu leben. Vielleicht konnte sie nur schlaue Reden schwingen, scheiterte aber an dem Versuch, ihre eigenen Ratschläge umzusetzen.

Sie schniefte und wischte sich eine Träne vom Gesicht.

Einem inneren Impuls folgend riss Hermine sich von diesen Gedanken los und konzentrierte sich darauf, ihren eigenen Geist zu betreten. Sie wusste nicht, was sie sich davon versprach; am ehesten vielleicht ihre Neugier zu befriedigen. Ihr Kopf fühlte sich so voll an, es war so beschwerlich zu denken – sie fragte sich, wie es wohl aussah.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now