Kapitel 42

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Kapitel 42

Hermine ließ ihren fremden Patronus wieder verschwinden und schob jeden Gedanken daran von sich. Natürlich wusste sie, was es mit sich ändernden Patroni auf sich hatte, aber in ihr war gerade kein Platz, um sich damit zu befassen.

Trotz der sechsundzwanzig Grad, die es draußen hatte, wickelte sie sich in eine Decke ein, ganz fest, bis sie es nicht mehr aushalten konnte. Es half etwas, die Grenzen ihres Körpers zu spüren. Zu realisieren, dass die Trauer um ihre Mutter, die sie gerade überwältigte, nicht unendlich groß sein konnte. Hermine ließ sich zur Seite kippen und blieb weinend liegen für einen Zeitraum, der Sekunden genauso gut wie die Ewigkeit hätte umfassen können. Irgendwann schlief sie ein und zum ersten Mal seit Wochen schlief sie ohne einen einzigen Traum.

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Sie war desorientiert und hatte einen steifen Nacken, als sie wieder aufwachte. Das Zwitschern der Vögel vor ihrem Fenster war grotesk. Sie setzte sich auf, ihr Herz pochte heftig. Sie fühlte sich leer, wie betäubt. Der Tsunami hatte sich zurückgezogen und stumme Verwüstung hinterlassen.

Hermine blieb noch eine weitere Stunde in ihrer Wohnung, um sich zu sortieren. Es war später Nachmittag, als Severus ihr die Tür öffnete. Eine Falte stand zwischen seinen Augenbrauen. „Das war ein langes Interview", stellte er fest.

Hermine antwortete nicht, ging an ihm vorbei.

„Du siehst nicht gut aus."

Sie wandte sich zu ihm um. „Es war hart, über meine Mutter zu sprechen. Deswegen komm ich erst jetzt. Ich brauchte Zeit für mich."

Severus nickte. „Wir können ein anderes Mal weitermachen."

„Nein. Ich brauche jetzt nicht noch mehr Ruhe. Ich habe geschlafen und ich möchte mich mit etwas anderem beschäftigen. Wenn also von deiner Seite aus nichts dagegen spricht ..." Sie biss die Zähne aufeinander und sah ihn flehentlich an.

Er erwiderte ihren Blick, seiner schien sich regelrecht in ihren zu bohren. Vielleicht erkannte er etwas von sich in ihrem Verhalten wieder und überlegte, ob es sich lohnte, weiter nachzuhaken. Aber zu ihrer großen Erleichterung entschied er sich dagegen, denn nach ein paar Sekunden nickte er wieder. „Also gut." Er schluckte, wandte sich ab und setzte sich.

Hermine folgte ihm. „Stehst du immer noch hinter dem Plan oder hast du Zweifel bekommen?"

„Ja und ja", entgegnete Severus, warf ihr einen kurzen Blick zu.

Sie lächelte freudlos und rieb ihre Hände gegeneinander. „Wenn du merkst, dass es schwierig wird, kannst du die Strategien ausprobieren, die dir bei den Dissoziationen helfen. Rechnen oder Dinge finden, sofern die Erinnerung das hergibt. Ich werde versuchen, mit dir zu reden und ... irgendwie da zu sein."

„Ich werde es im Hinterkopf behalten", sagte er mit dunkler Stimme.

„Okay ... Dann lass es uns angehen." Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und als er nickte, dehnte Hermine ihren Geist aus und berührte Severus', bis er sie hineinließ.

Der Erinnerungsstrang war immer noch sicher in der elastischen Blase, in der sie ihn eingesperrt hatte vor einer gefühlten Ewigkeit, die erst etwas über eine Woche zurücklag. Er pulsierte und bewegte sich unruhig hinter der milchigen Haut. Hermine befahl dieser Haut, dünner zu werden und sich schließlich komplett aufzulösen, aber anstatt sich zurückzuziehen, wartete sie ab, bis Severus in die Erinnerungen hineingezogen wurde – und sie damit auch.

Sie waren in einem schummrig beleuchteten Raum ohne Fenster. Severus – er sah noch aus wie ein halbes Kind – saß mit geradem Rücken auf einem Holzstuhl in der Mitte, das Kinn gereckt. Erst eine Bewegung in der Dunkelheit machte Hermine auf ihn aufmerksam: Voldemort. Noch sah er nicht aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Noch hatte sein Gesicht etwas Menschliches, wenn auch nichts mehr von der Schönheit, die Tom Riddle nach Harrys Berichten in jungen Jahren gehabt hatte. Es war wächsern und sah aus, als wäre es von Brandnarben überzogen.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now