Kapitel 11

302 24 4
                                    


Kapitel 11

Hermine hatte gedacht, sie wäre inzwischen einigermaßen vorbereitet auf das, was mit Severus passierte, während er in einer Erinnerung steckte. Vorbereitet auf die Geräusche, die er machte. Auf die unwillkürlichen Bewegungen seines Körpers. Auf ihr eigenes Kopfkino.

Aber sie war nicht vorbereitet gewesen auf das.

Er ruderte mit den Armen, als würde er etwas suchen, an dem er sich festhalten konnte. Schnappte nach Luft, wieder und wieder. Hustete. Sie hätte so gern irgendetwas getan, um ihm zu helfen ...

Aber was?

Sie konnte ihn nicht festhalten, das würde womöglich alles nur noch schlimmer machen. Sie traute sich nicht mal, ihn zu berühren. Sie könnte ihn nur aus der Erinnerung rausholen, aber das würde das Problem nur verschieben, nicht lösen.

„Es geht ihm gut, er schafft das", murmelte sie also wie ein Mantra, immer wieder. „Es geht ihm gut, er schafft das."

Bis er es nicht mehr schaffte.

Er rang plötzlich so sehr nach Luft ... Hermine hatte derartige Geräusche bisher nur bei Asthmapatienten gehört und nicht gewusst, dass eine eigentlich gesunde Lunge solche Geräusche produzieren konnte. Adrenalin peitschte durch ihre Adern, ihr Herz begann zu rasen. „Severus!", rief sie und war mit zwei Schritten bei ihm. Er röchelte, klang, als versuchte er, etwas auszuspucken. „Severus, hör auf meine Stimme!", sagte sie laut. „Du bist in Sicherheit! Niemand tut dir etwas, du bist sicher. I-Ich pass auf dich auf."

Aber das konnte sie nicht. Seine Lippen wurden blau.

„Nein!", japste Hermine und sog scharf die Luft ein. Sie zückte ihren Zauberstab und sprach einen Beatmungszauber über ihn. Er röchelte weiter und schnappte nach Luft, aber seine Lippen nahmen wieder eine gesunde Farbe an. Er litt noch immer, aber er würde nicht ersticken.

Danach schaffte sie es nicht mehr, sich zurück auf ihren Sessel zu setzen. Sie blieb vor ihm stehen, den Zauberstab in der Hand, den Blick fest auf ihn gerichtet, und kaute auf ihrem Daumennagel. Was war es, das er gerade durchlitt? Was war es, das ihn beinahe umgebracht haben musste, damals, als er es erlebt hatte?

Sie wagte es kaum zu blinzeln, ihre Hände waren eiskalt. Die kleinen Muskeln in seinem Gesicht zuckten, seine Fingernägel kratzten über die Sessellehnen und die Sehnen an seinem Hals traten hervor. Sein Adamsapfel zitterte. Zweimal beschwor sie seine Vitalwerte herauf, um sicher zu gehen, dass er aushalten konnte, was gerade mit ihm passierte.

Nur aushalten.

Dann – plötzlich – wurde er ganz still. Plötzlich sank er in sich zusammen. Plötzlich hörte er auf zu atmen.

Hermine hielt die Luft an, als es ihr eiskalt den Rücken hinablief.

Dank des Zaubers, den sie über ihn gesprochen hatte, wurde sein Körper trotzdem weiter mit Sauerstoff versorgt, sein Herz schlug – was auch immer gerade mit ihm passierte, er würde auch heute nicht daran sterben. Aber Hermine sah es trotzdem mit Entsetzen, die Augen weit aufgerissen. Ihr Zauberstab zitterte.

Weitere quälende Sekunden später fuhr Severus so überraschend aus seiner Erinnerung, dass Hermine spitz auf schrie. Sie sprang einen Schritt nach hinten. Und dann noch einen zur Seite, denn sie war dem Feuer bedrohlich nahe gekommen.

„Severus!" Sofort war sie wieder an seiner Seite.

Er sog gierig Luft in seine Lungen, die Augen aufgerissen, beugte sich nach vorn und zerrte am obersten Knopf seines Hemdes. Endlich schlüpfte er durch das kleine Loch und wieder holte er tief Luft, so als hätte er seit Minuten nicht mehr atmen können.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now