Kapitel 19

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Kapitel 19

„Ich will – nicht mehr – darüber reden!"

„O-kay!" Hermine sagte es im gleichen Tonfall und in der gleichen Lautstärke, die er genutzt hatte. Das überraschte ihn genug, um sie endlich anzusehen. „Ich habe nichts dergleichen verlangt", fuhr sie ruhiger fort.

Severus schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. „Es tut mir leid."

„Erklär es mir, das reicht schon."

Er massierte sich die Nasenwurzel. „Du verlangst es nicht, aber ich kann an nichts – anderes – denken. Ich ertrage das nicht mehr, Hermine."

Sie neigte den Kopf zur Seite und zupfte mit den Zähnen an einem Stück Haut an ihrer Unterlippe, bis es wehtat. „Ich wünschte, ich könnte mehr tun, als dir zuzuhören."

Er schnaubte. „Es ist mir schon unbegreiflich, dass du das immer noch tust. Hängt es dir noch nicht zu den Ohren raus?"

„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich höre auch nur das, was du mir erzählst, und nicht das, was dein Kopf dir die ganze Zeit aufzwingt. Ich sehe, wie sehr es dich zermürbt und wenn es dir hilft, darüber zu reden, dann höre ich mit Freuden zu."

Er zog eine Augenbraue hoch. „Das 'mit Freuden' war zu dick aufgetragen."

„Ich werd's mir merken", entgegnete sie und genoss das kleine Lächeln, das über seine Lippen huschte. „Lass uns trotzdem reden."

Er holte tief Luft, dann stand er auf und begann durch das Wohnzimmer zu laufen. Eine Runde, zwei. Schließlich blieb er stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Er schien mit sich selbst zu debattieren, blickte zur Decke und sagte schließlich: „Es ist die Erleichterung."

Hermine zog die Augenbrauen hoch, aber sie wagte es nicht, etwas zu sagen. Sie wartete, dass er weitersprach. Bevor er das tat, wandte er sich ihr wieder zu. Er reckte das Kinn vor und sagte: „Seitdem Lucius diese Erinnerungen weggesperrt hat, hatte ich kein so starkes Bedürfnis mehr, mich ... absichtlich zu erbrechen." Er presste die Zähne aufeinander, so dass seine Kiefermuskeln deutlich hervortraten. „Aber jetzt ..." Er stand da, wandte plötzlich den Blick ab.

„Verstehe", sagte sie leise.

Er sah sie verdrossen an und sie formte ein lautloses „Entschuldigung!" mit den Lippen. Severus schnaubte. Dann wurde er wieder ernst. „Ich kann kaum noch an etwas anderes denken. Nicht mal Okklumentik hilft."

Sie atmete langsam aus. „Es tut mir leid, dass dich das so quält. Aber ... überraschen tut es mich nicht."

„Natürlich nicht", grollte er.

Sie seufzte. „Das war für eine sehr lange Zeit eine deiner Bewältigungsstrategien. Natürlich ist mit den alten Gefühlen auch wieder der Drang da, sie auf die alte Art zu bewältigen. Du hast diesen Weg so oft gewählt, da ist eine gewaltige Autobahn in deinem Kopf. Und auch eine seit Jahrzehnten nicht mehr befahrene Autobahn bleibt eine Autobahn ..."

„Und wie werde ich die los?", fragte er gepresst.

„Nimm den Trampelpfad daneben, so oft du es kannst. Und verzeih es dir, wenn du es nicht kannst."

Er rümpfte die Nase und wandte sich ab. Ging zu den Fenstern und sah hinaus auf die menschenleere Straße. Hermine musste sich weit herumdrehen auf ihrem Sessel, um ihn weiterhin sehen zu können. Seine Schulterblätter zeichneten sich unter dem weißen Hemd ab. „Was denkst du jetzt von mir?", fragte er nach einer Weile leise.

Medicus IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt