Kapitel 26

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Kapitel 26

Durch die sich aufdrängenden Bilder und die Panik hindurch tastete Hermine nach ihrem Zauberstab und sorgte für Licht. Atemlos huschten ihre Blicke durch das Schlafzimmer und sie konzentrierte sich darauf aufzuzählen, was sie sah: „Der Schrank. Drei Schubladen, zwei Türen. Runde Griffe, Eiche", murmelt sie, während ihr Herzschlag in ihren Ohren wummerte und sie immer noch Rons Lachen hörte, als käme es aus einem schlecht eingestellten Radio. „Die Kommode. Vier Schubladen." Sie stockte und kniff die Augen zusammen, als ihr das Bild von Ron mit dem Messer in der Hand so deutlich vor Augen stand, dass alles andere dahinter verblasste. Sie atmete mehrmals tief durch, dann blinzelte sie und war wieder in ihrem Schlafzimmer.

Sie stand auf und stolperte durch die dunkle Wohnung ins Bad, schaltete das Licht an und hielt ihre Hände unter das eiskalte Wasser, das aus dem Hahn ins Waschbecken schoss. Ihr war übel. Eine Gänsehaut zog sich über ihren Rücken, ihre Füße froren und als sie ihre Hände an den Hals legte, zuckte sie unter der Kälte zusammen, fühlte sich aber endlich wieder klarer im Kopf.

Erschöpft ließ sie sich auf den Badewannenrand sinken. Sie spürte die Erinnerung in ihrem Geist, sie wollte sie mit sich ziehen. Hermine wehrte sich aktiv dagegen. Es kostete sie Kraft, sie musste sich fokussieren. Als würde sie die ganze Zeit versuchen, einen Faden durch ein Nadelöhr zu fädeln – nur dass die Nadel kein Öhr hatte.

Nach ein paar Minuten hatte sich ihr Puls etwas beruhigt, dafür zitterte sie erbärmlich. Sie zog ihren Bademantel über und ging in die Küche. Das leise Ticken ihrer Uhr empfing sie, es war halb zwölf. Hermine seufzte.

Sie kochte sich einen Tee und ging hinüber ins Wohnzimmer. Mit einer Decke über den Füßen setzte sie sich aufs Sofa und schloss die Augen. Sie hatte es schon mal geschafft, in ihren eigenen Geist einzudringen, sie würde das wieder hinkriegen.

Aber es war schwerer, den Weg ohne Severus' Stimme zu finden. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wo genau sie ihn gehört hatte, als er gestern in ihrem Geist gewesen war. Es war irgendwo hinter ihren Augen gewesen. Hermine konzentrierte sich darauf und auf das Gefühl des Kippens, das sie gestern empfunden hatte. Trotzdem dauerte es gut zehn Minuten, ehe es ihr gelang. Und dann kippte sie fast augenblicklich wieder zurück.

Sie schnaufte unzufrieden, wischte sich mit einer Hand über die Stirn und stellte fest, dass sie schwitzte. Erst da wurde ihr bewusst, wie heiß ihr war. Ihr Herz schlug viel zu schnell, es fühlte sich beklemmend an. Sie warf die Decke von sich und schlug ihren Bademantel auf. Die Kälte des nächtlichen Wohnzimmers floss über ihre erhitzten Haut.

Wieder schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf den Punkt hinter ihren Augen. Je öfter es ihr gelang, in ihren eigenen Geist einzudringen, desto einfacher musste es doch auch werden. Und tatsächlich brauchte sie dieses Mal nicht so lange, bis sie den Weg fand. Sie schaffte es auch, sich länger gegen das Zurückkippen zu wehren. Es fühlte sich an, als würde sie gegen den Widerstand eines Gummibandes anlaufen. Sie brauchte das geistige Äquivalent zu einem stabilen Stand.

Beim dritten Mal, als sie in ihren Geist fand, fokussierte Hermine sich so schnell sie konnte auf das, was sie sah. Als erstes fiel ihr Blick auf die Erinnerung, gegen die sie die ganze Zeit kämpfte. Sie behielt sie im Auge und stemmte sich gegen den Widerstand, der sie zurückzuziehen versuchte. Die Sekunden schlichen vorüber und ganz langsam wurde es leichter.

Als sie sich sicher war, dass sie es dieses Mal schaffen würde, in ihrem Geist zu bleiben, wandte sie sich der Erinnerung zu. Entfesselt schwebte sie durch Hermines Geist, wie ein Wolf in einem viel zu kleinen Käfig. Sie beobachtete sie eine Weile, überlegte, wie sie sie einsperren konnte. Und das möglichst so gut, dass erst Hermines eigene Entscheidung sie wieder befreien würde.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now