Kapitel 48

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Kapitel 48

In dieser Nacht waren es andere Träume, die Hermine heimsuchten. Träume, in denen sie neben einem toten Severus aufwachte. Träume, in die sie sein markerschütterndes Schluchzen verfolgte. Träume, in denen sie versuchte, einen schimmernden, fast unsichtbaren Stoff zusammenzunähen, begleitet von dem Gefühl, etwas Schreckliches würde passieren, wenn es ihr nicht gelänge.

Es war der Sonnenaufgang, der sie weckte. Severus hatte sich inzwischen auf den Rücken gedreht und schlief, sein Atem ging tief und ruhig. Er war immer noch blass und sah befremdlich klein und schmal aus. Als wäre er unter der Macht seiner Reue geschrumpft. Aber er schien es überstanden zu haben. Seine Vitalwerte sahen besser aus.

Einen Moment lang betrachtete Hermine sein Gesicht, das im orangenen Licht der Sonne lag. Es sah entspannt und friedlich aus. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen war komplett verschwunden, der verspannte Zug um seinen Mund auch. Er wirkte als ... gäbe es nichts, das ihn verfolgte. Als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich losgelassen. Selbst nach all den Wochen, die sie jetzt schon bei ihm schlief, hatte sie ihn so noch nie gesehen. Falls er schon mal so ausgesehen hatte, war es immer zu dunkel gewesen, als dass sie es hätte sehen können, und wenn er fest genug geschlafen hatte, um vom Licht nicht aufzuwachen, hatte er meistens tief in einem Albtraum gesteckt und alles andere als gelöst gewirkt.

Hermine war nicht so naiv zu glauben, dass dieser Zustand über das Aufwachen hinaus anhalten würde. Er war immer noch Severus und es gab immer noch eine Menge, mit dem er umzugehen lernen musste. Aber in diesem Moment schien er ein kleines Stück Frieden gefunden zu haben und sie lächelte wacklig.

Dann belegte sie die Vorhänge mit einem Zauber, der den Stoff verdichtete, bis es wieder dunkel war im Wohnzimmer, und ließ sich von ihrer Müdigkeit zurück in den Schlaf ziehen.

Als sie das nächste Mal aufwachte, war sie allein. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie sich daran erinnerte, wo sie war und was passiert war. Mit der Erinnerung durchfuhr sie ein Schreck und sie setzte sich auf. „Severus?"

Sie hörte ihn ein „Ja" knurren. Es kam aus der Küche. Hermine stand auf und als sie um die Ecke bog, hob er den Blick vom Tagespropheten. Jetzt sah er wieder aus wie immer, inklusive der Falte zwischen den Augenbrauen und dem verspannten Zug um seinen Mund.

„Geht ... Geht es dir gut?", fragte sie.

„Offensichtlich." Aber als er von seinem Kaffee trank, zitterte sein Arm.

Hermine setzte sich zu ihm. „Können wir reden über das, was gestern passiert ist?"

„Was gibt es darüber zu reden?" Er sah sie nicht an.

„Severus ..." Sie wollte nach seiner Hand greifen, aber er zog sie weg.

Sah sie scharf an. „Es geht mir gut, Hermine. Können wir es bitte dabei belassen?"

Sie presste die Lippen aufeinander und noch bevor sie sich für eine Antwort entschieden hatte, stand er auf und verließ die Küche. Sie holte schon Luft, um ihn zurückzurufen, schloss den Mund dann aber wieder, ohne etwas gesagt zu haben.

- - -

Obwohl es ihr schwer fiel, Severus' Rückzug hinzunehmen und ihn allein zu lassen, verließ Hermine das Haus in Spinner's End, nachdem sie geduscht und gefrühstückt hatte. Sie war mit Patrick verabredet. Heute wollten sie ins Ministerium und den Antrag für die Gesetzesänderung einreichen. Am kommenden Sonntag würde der Artikel über ihre Mutter erscheinen und spätestens dann würde das Ministerium bemerken, dass Ignoranz sie nicht aufhalten würde. Sie wollten, dass der Antrag vorlag, bevor es dazu kam.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now